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Sustainable Finance

Wagniskapital

Größter Impact-Fonds für Cleantech startet

Die erfolgreichsten Start-up-Investoren Deutschlands, unterstützt von alteingesessenen Industriellen, wollen gemeinsam Cleantech voranbringen. Mit einem Volumen von 200 Millionen Euro haben sie unter dem Dach der Wagniskapitalgesellschaft E-Capital den größten Impact-Gründerfonds für grüne Technologieunternehmen aufgelegt.

Thomas Wendel

von Thomas Wendel

veröffentlicht am 09.02.2023

aktualisiert am 22.02.2023

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Die Liste der Impact-Fonds-Initiatoren liest sich wie ein „Who is Who“ der deutschen Start-up-Szene: Paul-Josef Patt gilt mit seiner Wagniskapitalfirma E-Capital als einflussreichster Klimatechnologie-Investor Deutschlands (Tagesspiegel-Background-Interview hier); Christoph Ostermann hat durch den Verkauf des von ihm mitgegründeten und geführten Solarstrom-Community-Netzwerk-Anbieters Sonnen an Shell New Energies den größten Venture-Capital-„Exit“ des Jahres 2019 hingelegt; Stephen Weich gelang das Gleiche ein Jahr später mit dem rund eine Milliarde Euro schweren Verkauf seines Getränkelieferdienstes Flaschenpost an den Oetker-Konzern; Cornelius Patt schließlich, Cousin des E-Capital-Chefs, konnte den von ihm mitaufgebauten Heimtierbedarfs-Onlinehändler Zooplus 2021 sogar für 3,7 Milliarden Euro an die Finanzinvestoren Hellman and Friedman (USA) sowie EQT Partners der schwedischen Industriellenfamilie Wallenberg verkaufen.

Impact-Fonds mit 200 Millionen Euro

Die vier haben sich vorgenommen, jetzt gemeinsam den deutschen Markt für grüne Start-up-Investments aufzurollen – und damit die Cleantech-Branche insgesamt in Europa zu stärken: Auf insgesamt 200 Millionen Euro ist der unter den Fittichen von E-Capital gebildete Fonds V ausgelegt; 100 Millionen Euro liegen schon drin. Prominente Unterstützung aus dem deutschen Geldadel inklusive: Mehrere große deutsche „Family Offices“, also private Vermögensverwaltungen zumeist von Industriellenfamilien, seien mit an Bord, von denen viele bereits in Vorgängerfonds investiert gewesen waren, hieß es.

Um welche Investoren es sich dabei handelt, will E-Capital nicht sagen. Jedoch sitzen im Gründerbeirat der Venture-Capital-Firma Persönlichkeiten, die zum Beispiel Verbindungen zu Eigentümern von BMW, dem Tiefkühlkostanbieter Bofrost oder dem Kommunikationstechnologieunternehmen und SMS-Entwickler Materna haben. Zudem hat BMW-Großaktionärin Susanne Klatten laut Webfachdienst „Gründerszene“ erst kürzlich in das Start-up 1Komma5 investiert, das auch Geld aus dem neuen Fonds V von E-Capital erhalten hat.

„Pull-Effekt“ für Impact-Investments

Die Fondsinitiatoren gehen zudem mit persönlichem Vermögen ins Risiko: Rund 13 Prozent der Einlagen stammten von ihnen, erklärten sie gegenüber Tagesspiegel Background. Mit zwei der vier Initiatoren hat Tagesspiegel Background jetzt gesprochen: Paul-Josef Patt und Stephen Weich. Bange ist ihnen um ihr Geld nicht: „Es gibt Rückenwind auf Basis unterschiedlichster gesellschaftlicher Strömungen“, erklärte Weich. „Ob die Katastrophe im Ahrtal, die heißen Sommer, Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, die Verlagerung der deutschen Solarindustrie nach China, der Green Deal der EU – das sind alles Themen, die in der Politik gerade höchste Priorität genießen.“ Dies bringe einen „gewissen Pull-Effekt“ für Impact-Investments in den Markt.

Nachhaltige Impact-Investments, die auf Veränderungen abzielen, würden „immer mehr zum Mainstream“, gab sich Weich überzeugt. Der Kapitalmarkt entwickele sich gerade weiter. Dabei gehe es nicht nur um ökologische Aspekte solcher Investments, sondern inzwischen vor allem um die Ökonomie: „Die Investoren werden am Ende durch die europäische Offenlegungsverordnung CSRD und andere Regulierungsvorgaben dahin geführt werden“, glaubt Weich.

Angefangen, das Geld auszugeben, haben die Wagniskapital-Fondsgründer auch schon. Rund 27 Millionen Euro seien inzwischen in vier Start-ups geflossen, erklärte Paul-Josef Patt. „Alle unsere Beteiligungen sind darauf ausgerichtet, CO2-Emissionen zu reduzieren.“ Je nach Expertise teilen sich die Fondsgründer die Zusammenarbeit mit den Start-ups auf.

Lastenräder und Booster-Batterien

So kümmert sich beispielsweise Ex-Flaschenpost-Chef Weich um das erst kürzlich vom westfälischen Münster nach Berlin umgezogene Logistik-Start-up Liefergrün. Das Unternehmen will zum nachhaltigen Konkurrenten der Deutschen Post aufsteigen und für eine „grüne Revolution auf der letzten Meile“ (Weich) sorgen. Anders als die bekannten Paketzusteller betreibt Liefergrün bislang in ersten Städten, darunter Hamburg, Berlin und Wien, ein Netz von Zustellern, die nur mit elektrischen Lastenrädern oder Kleinlastern unterwegs sind. Mit ersten klangvollen Markenartiklern wie dem Staubsaugerhersteller Dyson oder Adidas seien bereits Verträge unter Dach und Fach. Der CO2-Fußabdruck von Liefergrün sei im Vergleich zur Konkurrenz um 86 Prozent geringer, so Weich.

Leadinvestor sei man zudem beim Hamburger Start-up 1Komma5, erklärte Paul-Josef Patt. Die Nordlichter kaufen derzeit europaweit Solarstrom-Installationsbetriebe auf oder gründen neue. Käufer Shell habe 2019 bei der Übernahme von Sonnen mit dem Installationsbereich der Firma nichts anfangen können, so der E-Capital-Chef. Und das, obwohl sich der Mangel an Installationskapazität für die Energiewende als „der größte Engpass“ herausgestellt habe. Unternehmer, die sich in den 1Komma5-Verbund einbringen, erhielten eine attraktive Bezahlung und eine Wertsteigerungskomponente bei einem späteren Börsengang oder dem Verkauf des Start-ups, erläuterte Patt.

Mit einer neuartigen Schnellladelösung für Elektroautos befasst sich wiederum das Kemptener Start-up Numbat: Die Allgäuer haben Ladesäulen entwickelt, die überall selbst große E-SUVs binnen 20 Minuten mit Strom fast volltanken können. Und lösen damit ein Problem des Stromnetzes: Denn das erlaubt in der Fläche nur langsame Ladevorgänge, da die Leitungskapazität an den allermeisten Orten nicht ausreicht für das schnelle Durchschieben von 180 Kilowatt. Numbat baut in seine Stromtankstelle eine Booster-Batterie ein, die stetig den vergleichsweise geringen Stromdurchsatz aus dem Netz bezieht und die Akkuladung dann blitzschnell abgeben kann.

Waldbrand-Alarmsysteme

Mit den Berliner Gründern von Dryad wiederum hofft Paul-Josef Patt einen wichtigen Beitrag zur Verringerung von Klimagasausstößen zu leisten: Die Firma stellt einen patentierten Brandmelder für Wälder her. „21 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen entstehen über Waldbrände“, erklärte Patt. 80 Prozent davon gingen weltweit auf technische Gründe wie Kurzschlüsse in Stromleitungen oder auf menschliche Fehler zurück – etwa durch das Wegwerfen von Zigarettenkippen im Wald. Die an Bäumen hängenden Dryad-Sensoren geben per Satellit im Verdachtsfall eine Warnung an Feuerleitstellen ab – eine Brandbekämpfung kann starten, bevor Schlimmeres passiert und der Brand sich großfällig ausbreitet. Mit rund 50 Euro für ein bis fünf Hektar Waldfläche sei der Investitionsaufwand für Kunden gering, so Patt. Könnten mit Technologien wie diesen 90 Prozent der weltweiten Waldbrände verhindert werden, würden jährlich bis zu 195 Millionen Tonnen CO2 weniger entstehen.

Zu diesen vier Firmen sollen sich weitere 16 Deeptech- und Impact-Start-ups gesellen, so der Plan. Trotz des in der Firmengeschichte von E-Capital größten jemals aufgelegten Fonds, trotz der stark wachsenden Nachfrage nach klimaneutraler Technik, sind die Venture-Kapitalisten keineswegs sehr optimistisch – zumindest was die Entwicklung in der europäischen Klimaschutztechnologie angeht: Durch den allgemeinen Zinsanstieg im Gefolge des russischen Einmarsches in der Ukraine breche gerade der Start-up-Markt zusammen, warnte Paul-Josef Patt. „Das ist schon bitter!“

Jahrelanges Anträgeschreiben

Während in Deutschland zuletzt rund 0,06 Prozent der jährlichen volkswirtschaftlichen Gesamtleistung (BIP) in die Start-up-Finanzierung geflossen seien, hätten US-Investoren 1,43 Prozent locker gemacht. „Das ist das 24-fache“, beklagte Patt. Dabei seien Deutschland und auch andere europäische Länder durchaus „ganz weit vorne“ bei erneuerbaren Energien und Nachhaltigkeitstechnologien „mit teils visionären Ansätzen wie bei Volocopter“, so Patt. Doch im derzeitigen Kapitalmarktumfeld „verhungerten“ viele „exzellente Teams mit exzellenten Produkten“.

Hinzu komme das Klimatechniksubventionsprogramm der Amerikaner, Inflation Reduction Act (IRA) (Tagesspiegel Background berichtete), mit dem 369 Milliarden Dollar an Beihilfen für grüne Unternehmen bereitgestellt werden sollen. „Wenn die Europäer darauf keine Antwort finden, wird unsere Cleantech-Industrie abgesaugt“, warnte er. „Es ist erfreulich, dass die EU inzwischen an einem Paket arbeitet, das bis 2030 über 380 Milliarden Euro mobilisieren soll“, erklärte Patt. „Wollen wir hoffen, dass es auch schnell zustande kommt.“

Hinzu müsse aber auch eine andere Herangehensweise kommen: „Start-up-Gründer erhalten in den USA schnell Finanzierungen von 100 Millionen Dollar und mehr, wenn sie eine Produktion aufbauen wollen. In Deutschland konnte ein Gründer in einer ähnlichen Situation bisher glücklich sein, wenn er nach Jahren des Anträgeschreibens einige wenige Millionen Euro erhält.“

Viel Power, zu viele Programme

Der Abbau unnötiger bürokratischer Hindernisse sieht Patt nicht als einziges Kernstück einer erfolgreichen Cleantech-Politik an. Daneben müssten sich die EU-Mitgliedsstaaten auch „europäisch aufstellen“. „Wir haben ja viel Power in Europa, wenn nicht jedes Land seine eigenen Programme aufsetzen würde“, sagte der E-Capital-Chef. „Das fängt beim europäischen Kapitalmarkt an.“ Der müsse endlich hergestellt werden, forderte Patt.

Zumindest in einem Punkt bewegt sich die EU in die gewünschte Richtung: Vergangene Woche erklärte die Europäische Kommission, die Herstellung eines gemeinsamen europäischen Kapitalmarkts wieder ganz oben auf die Brüsseler Agenda zu setzen (Tagesspiegel Background berichtete).

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