„Statoils Studie ist nicht konsistent mit dem Beschluss des Paris-Abkommens, die Temperatur unter zwei Grad oder sogar bei 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau zu halten“, sagt Bill Hare, Chief Executive Officer des Beratungsunternehmens Climate Analytics. Stattdessen gehe Statoil von Szenarien aus, die zwei Grad mit einer Wahrscheinlichkeit von nur 50 Prozent unterschreiten. Üblicherweise wird mit Szenarien gerechnet, die eine Wahrscheinlichkeit von 66 Prozent beinhalten.
„In der Konsequenz ist die Menge der noch verwendeten fossilen Energien im Jahr 2050 viel höher, als mit dem Abkommen vereinbar: Ein paar Prozent höher bei Gas und fünfmal höher bei Öl“, präzisiert Michiel Schaeffer von Climate Analytics.
„Diese Zahlen resultieren auch daraus, dass Statoil die Zahl der Elektrofahrzeuge und ihr Potential, Benzin und Diesel zu ersetzen, weit unterschätzt“, sagt Andrzej Ancygier. Genauso sei die Lage bei den Speichertechnologien, die jetzt schnell in den Markt kämen. „Insgesamt ignoriert die Studie die wachsende Zahl der Lösungen im Nachfragemanagement und der speicherbaren Erneuerbaren wie Bioenergie und konzentrierte Photovoltaik“, sagt Ancygier.
Bei Prognosen zum Energieverbrauch kommt es also immer auch auf den Absender an. Schon lange steht die Internationale Energieagentur (IEA) in der Kritik, zu niedrige Vorhersagen zum Ausbau der erneuerbaren Energien zu machen. Entstanden ist die IEA ja zu einer Zeit, als die westliche Welt unter dem Ölpreisschock stand und sich den Zugriff auf die Ressourcen Öl sichern wollte. Minutiös haben der Mitautor des Erneuerbare- Energie-Gesetzes, Hans Josef Fell, und die Lappeenranta Universität gezeigt, wo die IEA Jahr für Jahr in ihren Szenarien danebenlag.
In einer neuen gemeinsamen Studie liegen die IEA und die International Renewable Energy Agency aber gar nicht so weit entfernt voneinander. Beide Agenturen gehen davon aus, dass der Kohleausstieg global bis 2050 abgeschlossen sein muss, um die Klimaziele einzuhalten.
Wie unterschiedlich die Prognosen sein können, zeigt dagegen ein Vergleich der Studie „Das Unerwartete erwarten“, die Grantham Institute und Carbon Tracker erarbeitet haben, mit dem „Outlook for Energy“ von ExxonMobil. Laut Grantham Institute wird allein die Solarenergie im Jahr 2040 rund 23 Prozent der Stromerzeugung leisten. ExxonMobil sieht Wind und Sonne zusammen im gleichen Jahr bei nur elf Prozent.
Die Möglichkeit überraschender Veränderungen sollte auf jeden Fall immer in Betracht gezogen werden, heißt es in den Statoil Energy Perspectives. Die Rede ist in diesem Zusammenhang von Schwarzen Schwänen: „Wir werden möglicherweise von Ereignissen, Entwicklungen und Lösungen überrascht werden, von denen wir heute noch nichts wissen, die aber einen großen Einfluss haben werden, wenn sie stattfinden.“
Unabhängig von der konkreten Studie von Statoil beschreibt Manfred Fischedick vom Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie die Leitplanken für den Energieverbrauch bis 2050 und darüber hinaus: „Nach Einschätzung des Weltklimarats IPCC ist für ein wahrscheinliches Einhalten des Zwei-Grad-Ziels eine Reduktion der Treibhausemissionen bis 2050 um 40 bis 70 Prozent gegenüber 2010 notwendig, außerdem das Erreichen einer Treibhausgasneutralität bis zu Jahr 2080.“
Eine derartige Entwicklung sei nur möglich, wenn die Energieeinsparpotentiale in den nächsten Jahrzehnten durch energieeffizienter Technologien und Prozesse ausgeschöpft werden und gleichzeitig ein schneller Ausbau erneuerbarer Energie erfolgt. „Mit diesem Transformationprozess ist auch eine deutliche Umschichtung von Investitionen verbunden, das heißt eine massive Verschiebung der Investitionen in Öl- und Gasinfrastrukturen in den Bereich erneuerbarer Energien und Energieeffizienz.“
Die gemeinsame Studie von IEA und Irena spricht von 29 Billionen Dollar bis 2050. Das ist eine große Summe, aber andererseits nur 0,4 Prozent der Wirtschaftsleistung der Welt in diesem Zeitraum. Die Investitionen würden durch geringere Gesundheitskosten und die vermiedenen Kosten von Klimawandelfolgen um das Zwei- bis Sechsfache aufgewogen.