Es ist höchste Zeit, dass gerade die Unternehmen der Erneuerbaren Energie-Branche sich an die Spitze der Digitalisierung setzen. Der Roll-Out der Smart-Meter ist dabei nur die Pflicht. Neue Geschäftsmodelle sind die Kür – ohne die es für manche Unternehmen keine Zukunft gibt.
Viele Unternehmen der Energiewirtschaft sehen die Digitalisierung der Branche immer noch als eine Nebenhandlung in der neuen, Erneuerbaren Energiewelt. Es geht ihnen wie Leuten, die im Kino zu spät kommen: Während sie es sich langsam im Plüschsessel gemütlich machen und glauben, da laufe noch der Vorfilm, haben sie verpasst: Der Hauptfilm hat längst angefangen! Manche Unternehmen reagieren auf die Digitalisierung genauso skeptisch wie die Autobranche auf´s Elektroauto oder die Kohlekonzerne auf die Erneuerbaren: „Euren faule-Äppel-Strom wollen wir nicht“, maulte einst ein RWE-Vorstand. Das ist nicht nur ärgerlich, das ist fahrlässig.
Man kann so eine Reaktion subjektiv nachvollziehen, denn vielen Unternehmern und Unternehmerinnen fehlt schon aufgrund Ihrer Ausbildung, ihrer beruflichen Prägung und – mit Verlaub – ein Stück weit vielleicht auch aufgrund ihres Alters das Gespür für die Chancen und die Fragen, die das Megathema Digitalisierung mit sich bringt. Anders ist der Aufschrei, mit dem der BNE und viele Unternehmen in seinem Umfeld jetzt auf den Smart-Meter Roll-Out reagieren [Link zum entsprechenden Text], nicht zu verstehen. Empören sich da die Firmen, die den Einstieg in den Roll-Out ein Stück weit unterschätzt oder gar verschlafen haben? Einige Firmen haben das ernster genommen: Unsere Kanzlei berät schon seit mehreren Jahren (!) Unternehmen bei der Gestaltung dieser Verträge. Man kann nur hoffen, dass der Weckruf des BNE jetzt vor allem auch bei denen ankommt, die sich bei der Digitalisierung bisher auf die EDV-Abteilung verlassen haben oder auf Standardlösungen, die die Verbände ihnen vorlegen. Wozu, so fragen sie sich, zahlen wir da sonst die Beiträge?
Denn viel zu leicht macht es sich auch der vom BNE angegriffene BDEW, wenn er die Unternehmen mit den vorgelegten, juristisch reichlich bearbeitungsbedürftigen Muster-Verträgen alleine lässt. Natürlich sind Musterverträge hilfreich – der juristische Laie kennt so was vom Autokauf, der Wohnungsvermietung oder von eBay. Aber wer hätte je davon gehört, dass Unternehmer ihre rechtlichen Beziehungen in einem zentralen Geschäftsbereich mit Musterverträgen regeln? Das wäre absurd.
Jedem Unternehmen der Energiebranche muss klar sein: Ohne Digitalisierung ist eine vollständige Energieversorgung mit dezentralen, erneuerbaren Erzeugungsanlagen, Wetterprognosen, Verbrauchsabschätzungen und Speichern – um nur einige Aspekte zu nennen – nicht denkbar.
Das bedeutet noch lange nicht, dass jedes neue Schlagwort, das die Runde macht, die Branche tatsächlich auf den Kopf stellt. Ein Beispiel: Kurzfristig wird die Aufmerksamkeit für die jetzt omnipräsente „Blockchain“ auch wieder abnehmen. Es ist normal, dass die im Hype geäußerten Erwartungen nicht so schnell umgesetzt werden, wie das Publikum es sich wünscht. Aber schon mittelfristig könnte eine Entwicklung wie die Blockchain das Geschäftsmodell mancher Energieversorger und Stromhändler überflüssig machen oder so grundlegend ändern, dass die heutigen Platzhirsche von Jüngeren verdrängt werden. Die Antwort für die Firmen von heute kann darum nur darin bestehen, auch bei der Technik von morgen ganz vorne mit dabei zu sein (so wie sie das einst bei der Entwicklung von Windrädern und Solaranlagen waren).
Großkonzerne kaufen darum Start-Ups auf und holen sich so die Kompetenz für viel Geld ins Haus. Mittelständler können das nur, wenn ihre Chefs die Herausforderungen ernst nehmen und genügend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in dem Thema fortbilden – und den so fortgebildeten Mitarbeiterinnen dann auch Mitsprache im eigenen Unternehmen geben.
Mit der Digitalisierung wird dabei auch der Datenschutz zu einem zentralen Thema der Energiewende. Aus technischer Sicht müssen möglichst alle verfügbaren Daten erhoben werden, um Verbrauch und Erzeugung sekundengenau aufeinander abzustimmen. Die Anforderungen der Datensicherheit stehen dem diametral entgegen: Das Gebot der Verhältnismäßigkeit beschränkt die Datenerhebung auf das Nötigste – so viel wie nötig, so wenig wie möglich.
Der europäische Gesetzgeber hat das Spannungsverhältnis zwischen Energiewende und Grundrechten früh erkannt und schon 2016 die Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) beschlossen, deren Vorgaben zum Teil bereits in das Messstellenbetriebsgesetz Einzug gefunden haben.
Um eine möglichst effektive Umsetzung der Datenschutzvorgaben zu gewährleisten, wurde eine Bußgeldregelung geschaffen, die es den Datenschutzbeauftragten der Länder, Marktteilnehmern und Mitbewerbern (möglicherweise auch Abmahnvereinen) erlaubt, bei Verstößen Bußgelder von 300.000 Euro oder bis zu 4 % des Jahresumsatzes zu fordern. Behörden können darüber hinaus von den Energieunternehmen eine Datenschutzfolgeabschätzung (Art. 35 DSGVO) einfordern.
Die Schadenfälle kann sich jeder ausmalen: Was bedeutet es für die Stabilität des Stromnetzes, wenn Angreifer die zentrale Anlagensteuerungen bei einem der großen Windparkbetreiber in Deutschland hacken und die Anlagen entweder aus dem Wind nehmen oder in den Überdrehzahlbereich gelangen lassen, wie das Branchenmagazin E&M kürzlich zu Recht warnte? Was würden solche Vorfälle für den einzelnen Anlagenbetreiber bedeuten? Ist der mögliche Schaden versichert? Kann das Unternehmen die von der Versicherung geforderten Standards der IT Sicherheit nachweisen?
Hackerangriffe kommen mit der Digitalisierung so sicher wie das Amen in der Kirche. Was das innerbetrieblich bedeutet, scheint aber bei den meisten Unternehmen noch überhaupt nicht angekommen zu sein. Die Datenschutz-Grundverordnung DSGVO und das Messstellenbetriebsgesetz betreffen nicht nur den Vertrieb und Erzeugung, sondern auch die innerbetriebliche Organisation. Und Verstöße sind bußgeldbewehrt, die Unternehmen können Prüfungspflichten und innerbetriebliche Organisation der eigenen EDV nur noch unter sehr strengen Voraussetzungen delegieren.
Die Gestaltung der Smart Meter Verträge, die der BNE jetzt zum Thema macht, sind da nur ein Symptom eines viel größeren Themas. Wir als Anwälte mit technischem Impetus müssen den Unternehmen offen sagen, was mit der Digitalisierung für ein Arbeitspensum auf sie zukommt und wo betriebswirtschaftliche Risiken liegen. Für Unternehmen, die ihren Erfolg in der Energiewende suchen, ist das aber ein lohnenswerter Einsatz – unabhängig von irgendwelchen Bußgeldern.
Prof. Dr. Martin Maslaton, Maslaton Rechtsanwaltsgesellschaft GmbH Leipzig. Der Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Hochschullehrer und wissenschaftlicher Honorarprofessor für das Recht der Erneuerbaren Energien an der TU Chemnitz ist Teil eines Konsortiums, das Unternehmen bei der Anpassung der Unternehmensprozesse an das neue Datenschutzrecht berät.