Herr Hobley, Ihre Organisation Carbon Tracker Initiative untersucht Klimarisiken an Finanzmärkten. Der erste Report unter dem Titel „Unburnable Carbon: Wasted Capital and Stranded Assets“ enthält die Botschaft, dass bis zu zwei Drittel der weltweit bekannten Reserven und Ressourcen von Öl, Kohle und Gas nicht verbrannt werden können, wenn gefährliche Ausmaße des Klimawandels vermieden werden sollen. Was war das Kalkül hinter diesem Ansatz?
Carbon Tracker wollte und will nicht nur die Risiken des Klimawandels aufzeigen, sondern diese Risiken in eine Sprache packen, die der Finanzmarkt auch versteht. Der Begriff „unburnable carbon“ meint alle fossile Rohstoffe, die nicht mehr verbrannt werden dürfen. Wir haben also nicht mehr auf die jährlichen CO2-Emissionen geschaut, sondern über die Formulierung eines Budgets die Grenzen aufgezeigt. Ich denke, das war eine klare Botschaft.
Wir sprechen zudem von der „carbon bubble“ (Kohlenstoffblase), was ausdrücken soll, dass die Werte hinter diesen Rohstoffen blasenartig überbewertet sind, und von „stranded assets“ in Öl, Gas oder Kohlefirmen. Vermögenswerte also, die wertlos werden müssen, weil sonst das unter Zwei-Grad-Ziel nicht eingehalten werden kann.
Es gibt das Pariser Klimaabkommen, in dem sich die Staaten zu Klimaschutzbeiträgen verpflichten. Doch geschieht das auf Freiwilligkeit, es gibt es keine Sanktionen, wenn die Beiträge verfehlt werden. Soll der nötige Druck also vom Finanzmarkt kommen?
Das Pariser Abkommen ist die grundlegende Basis. Klar ist aber auch: Die Bewegung muss auf die Finanzmärkte übertragen werden, um eine echte Veränderung für den Klimaschutz zu erwirken. Wer Geldströme lenkt, kann echten Druck erzeugen. Dafür müssen Klimarisiken wie -chancen in Zahlen gefasst werden.
Der Klimawandel trifft unsere Weltwirtschaft in mehreren Hinsichten. Erstens ziehen Extremwetter unkalkulierbaren materiellen Schäden nach sich, die auch den Welthandel beeinträchtigen. Das zweite sind Haftungsrisiken durch diese Schäden. Sie könnten Schadenersatzforderungen an die großen CO2-Emitenten von heute nach sich ziehen, also Großkonzerne, Banken und auch Versicherer. Dann das Systemrisiko: Wenn Billionenwerte aus der fossilen Industrie abgezogen werden, könnte das globale Finanzsystem im Ganzen gefährdet werden. Die Risiken versteht jedes Unternehmen.
Können Sie das Risiko denn konkret in Zahlen ausdrücken?
Die US-Bank Citigroup kalkulierte 2015, dass etwa 100 Billionen US-Dollar Geldanlagen umgeschichtet werden müssen, wenn die Erderwärmung auf unter zwei Grad begrenzt werden soll. Darüber hinaus drohen den fossilen Unternehmen Schäden durch wertlose Anlagevermögen in Höhe von etwa zwei Billionen US-Dollar.
Dann empfehle ich einen Blick auf unseren jüngsten Bericht zu amerikanischen Kohlefirmen. Er zeigt, dass knapp 80 Prozent der Firmen nur überleben, weil sie vom Staat und dann ja vom Steuerzahler subventioniert werden. Wind und Sonne sind mit der Kohle schon wettbewerbsfähig und das wird zunehmen. Darauf nicht zu reagieren, ist doch reiner Wahnsinn. Meiner Ansicht nach sind wir mitten in einem Systemumbau hin zu einer CO2-neutralen Weltwirtschaft. Die große Frage ist allerdings, ob wir schnell genug umbauen.
Zu welchem Grad reagieren denn die Finanzmärkte und ihre Akteure bereits?
Die G20 haben reagiert, in dem sie die sogenannte Task-Force for Climate-related Financial Disclosure (TCFD) geschaffen haben. Die Arbeitsgruppe hat Empfehlungen aus Sicht der Wirtschaft erarbeitet, wie Unternehmen Klimarisiken besser berücksichtigen und offenlegen können und wie auch die Finanzindustrie damit umgehen sollte. Nun müssen diese Empfehlungen aber auch Gehör finden und zur Umsetzungsleitlinie werden. Immerhin werden diese Empfehlungen schon von mehr als 100 Unternehmen unterstützt.
Aviva, das ein Vermögen von 437 Milliarden US-Dollar verwaltet, sagte, es werde gegen die Jahresberichte und Konten von Unternehmen stimmen, die die TCFD-Empfehlungen nicht einhalten. Die Allianz hat beschlossen, sich von Unternehmen zu trennen, die mindestens 30 Prozent ihrer Einnahmen oder Strom aus Kohle beziehen. Auch Größen wie Axa oder der Norwegische Pensionsfonds haben reagiert. Das sind gute Zeichen.
Was für Handlungsspielraum haben überhaupt große Konzerne der fossilen Branche, wenn sie doch mit Öl, Gas und Kohle ihr Geld machen?
Sie müssen zu allererst die Finger von den hochriskanten Projekten lassen. In einem Report aus diesem Jahr haben wir 69 Öl- und Gasfirmen bewertet, von denen ein hohes Risiko ausgeht. ExxonMobil beispielsweise hat mehr zu verlieren als jedes andere große Öl- und Gasunternehmen. Bis zur Hälfte der geplanten Investitionen des Unternehmens im Jahr 2025 sind Projekte, die sich nicht auszahlen werden, wenn Gesetze im Klimaschutz greifen und saubere Technologien sich durchsetzen.
Wie viel Fortschritt sehen Sie bereits an Deutschlands Finanzmarkt?
Deutschland hat mit der Energiewende ein großes Projekt für den Klimaschutz auf die Beine gestellt. Am Finanzmarkt ist lange Zeit verhältnismäßig wenig passiert, aber Akteure wie die Bundesbank oder die Deutsche Bank interessieren sich zunehmend für Klimarisiken. Letztere hat auch die Finanzierung zum Bau neuer Kohlekraftwerke ausgeschlossen.
Ein interessanter Fall in Deutschland sind die Pensionskassen und –fonds, die das Geld ihrer Kunden auch in fossile Energien anlegen. Die deutsche Divestment-Bewegung versucht, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, nach dem Motto: Die Rente ist in Gefahr. Das ist aber ein anderer Ansatz, als der, den wir bei Carbon Tracker verfolgen. Carbon Tracker würde sich aber gerne mit einem Pensionsfonds unterhalten und eben auf die Systemrisiken hinweisen.
In Frankreich schreibt der Artikel 173 des Energiewendegesetzes institutionellen Investoren vor, Klimarisiken transparent zu machen. Braucht es mehr solcher Vorgaben durch die Politik?
Von diesem Artikel geht in der Tat ein sehr klares Signal aus, das ist sehr zu begrüßen. Letztendlich bildet der Artikel aber nur den Status quo ab, und dann ist es doch eigentlich schon zu spät. Was meiner Meinung nach einen echten Systemwandel am Finanzmarkt nach sich ziehen würde, ist, die Risiken für die Zukunft besser offen zu legen. Wir brauchen klare, langfristige Rankings zu den Unternehmen: welchen Klimarisiken sie ausgesetzt sind und welche sie erzeugen.
Anthony Hobley ist seit Februar 2014 Geschäftsführer der Londoner
Organisation Carbon Tracker Initiative. Carbon Tracker wurde auch
dadurch bekannt, dass ihre Analyse zur „Unburnable Carbon“ 2015 von Bill
McKibben im Rolling Stone Magazine aufgegriffen wurde.