Es ist ein Reflex: Sobald am Horizont ein Lichtstreif für die Elektromobilität erscheint, finden sich zuverlässig Kritiker, die ewig gleiche Bedenken durch das Dorf jagen. Zu den üblichen Vorbehalten – zu teuer, zu wenig Ladeinfrastruktur, zu geringe Reichweite – kommt seit einiger Zeit das umgekehrte Umweltargument dazu. Da wird vorgerechnet, warum Elektrofahrzeuge in Wahrheit keine bessere CO2-Bilanz als Verbrenner vorzuweisen haben, dass sowohl Herstellung als auch Betrieb von Elektroautos enorme Energiemengen verschlingen und die Entsorgung der Batterien am Ende schlimme Folgen hat. Zum Glück gibt es zahlreiche Journalisten und Experten, die etwas tiefer in die Zahlenwerke der Studien schauen und aufzeigen, welche Bedingungen nötig sind, um die unumgängliche Elektrifizierung des Verkehrs voranzutreiben. Denn niemand hindert Hersteller daran, die Fabriken mit Wind- oder Solarenergie zu betreiben und somit die Energiebilanz für die Herstellung von Fahrzeugen – übrigens auch die von Verbrennern – zu verbessern. So hat BMW in Leipzig Windkraftanlagen für die i3/i8-Produktion auf das Werksgelände gestellt, Volkswagen sich an Off-Shore-Windparks in der Nordsee beteiligt und hat Tesla angekündigt, die Batterien in seinen Gigafactories in Nevada CO2-neutral herzustellen. Projekte zum industriellen Batterierecycling zeigen, dass und wie die wertvollen Rohstoffe aus nicht mehr nutzbaren Batterien wiederverwendet werden können.
Wie immer kommt es also darauf an, ob Innovationen ganzheitlich gedacht und eingeführt werden. Elektromobilität mit Batterien und Brennstoffzellen zeigt einen zukunftsfähigen Pfad zu einem klimafreundlichen und stadtverträglichen Verkehr auf. Verbrennungsmotoren dagegen führen unwiederbringlich in die Emissions-Sackgasse.
Oft ist die Berechnung der CO2-Bilanz von Elektrofahrzeugen im Vergleich zu Verbrennern zu kurz gedacht: In der Regel wird dort der so genannte „Strommix Deutschland“ zugrunde gelegt. Darin sind bislang rund 30 Prozent erneuerbarer Strom enthalten, Tendenz steigend. Nimmt man also an, dass Elektroautos mit diesem Strom fahren, ergibt sich ein entsprechender Anteil an CO2 pro Kilometer. Nur: Für fast alle Projekte zum Aufbau von Ladeinfrastruktur gilt, dass diese mit Strom aus erneuerbaren Quellen zu betreiben sind, auch und gerade in Berlin. Und: Ich persönlich kenne keinen einzigen Besitzer eines Elektroautos, der nicht einen Grünstromvertrag hätte. Einer Studie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt zufolge spielt bei den Haltern von Elektrofahrzeugen die Herkunft des Stroms eine wichtige Rolle. So geben 52 Prozent der Befragten an, dass die Nutzung von selbst erzeugtem Strom eine wichtige Motivation für die Beschaffung eines Elektrofahrzeugs war. Diese Einschätzung wird durch die Tatsache bestätigt, dass sowohl die gewerblichen als auch die privaten Halter zu etwa 55 Prozent über eine eigene Photovoltaikanlage und zwischen 60 und 70 Prozent über einen Öko-Stromtarif verfügen. Beide Haltergruppen liegen damit deutlich über dem Bundesdurchschnitt in Bezug auf PV-Eigenerzeugung bzw. Ökostrombezug.
Unabhängig von der individuellen Betrachtung, führt auch in der Gesamtbetrachtung ein Mehr an Elektroautos nicht zu einem höheren CO2-Ausstoß, deutscher Strommix hin oder her. Die Gesamtmenge CO2, die in Europa emittiert werden darf, ist durch das System des Emissionshandels in der Gesamtmenge gedeckelt. Bestünde also tatsächlich ein höherer Bedarf an Stromproduktion durch Elektromobilität, müssen Erneuerbare hinzugebaut werden. Der Gesamtausstoß an CO2 – zumindest in Europa – steigt dadurch nicht an, wie so oft bei den Studien suggeriert wird. Absolut sinnvoll ist es, künftig auch das Verkehrssystem in das System des Zertifikatehandels zu integrieren. Dies würde dem CO2-Ausstoß im Verkehr auch endlich einen spürbaren und lenkenden Preis geben. Zur Erreichung der in Paris verbindlich vereinbarten Klimaziele sind Elektroautos in diesem Sinne unverzichtbar. Mit Diesel oder Benzin ist das jedenfalls nicht machbar.
Betrachtet man nicht nur die Vorteile des einzelnen Elektrofahrzeugs – lokal emissionsfrei, leise, wartungsarm etc. – sondern das Gesamtsystem Elektromobilität, kommt ein weiteres wichtiges Argument hinzu, das bislang eher am Rande und noch relativ theoretisch diskutiert wird: die enormen Chancen, die die Dekarbonisierung des Verkehrs für die Energiewende bieten.
Erstens: Das Potenzial der Elektromobilität für das Lastmanagement der lokalen Stromnetze und als mobiler Energiespeicher für das Problem der schwankenden Energieproduktion aus erneuerbaren Energien. Die meisten elektrischen Anwendungen in Haushalten, Büros und in der Industrie nutzen Strom dann, wenn Sie ihn eben brauchen. Elektroautos, gerade auch in Flotten und zu Hause können mit überschüssigem Strom versorgt werden, der andernfalls verfallen würde (Windräder werden bei Energieüberschuss abgestellt, im Fachjargon Redispatching). Und zwar dann, wenn er vorhanden ist, denn dem Elektromobilisten ist es in der Regel egal, ob sein Auto nachts von zehn bis zwei oder von drei bis sieben Uhr geladen wird. Zur Unterstützung sind natürlich noch vernetzte Planungstools und tarifliche Anreize sinnvoll, die die Energieversorgung und den Mobilitätbedarf koppeln. Im nächsten Schritt sollten Elektroautos mit ihren Batterien Reservespeicher bereitstellen – vor allem in Flotten – wenn sie nicht gerade auf der Straße unterwegs sind.
Zweitens: Der ursprüngliche Gedanke der Energiewende, die dezentrale Erzeugung erneuerbaren Stroms. Die ersten Käufer von elektrisch angetriebenen Fahrzeugen waren Eigenheimbesitzer. Diese stellen im Übrigen immer noch den größten Anteil. Aus dem einfachen Grund, durch das Laden des eigenen Elektroautos die auf dem heimischen Hausdach installierte Solaranlage optimal auszunutzen und zuhause eine kostenlose Tankstelle für das Auto zu betreiben. Diese sogenannten Prosumer, Erzeuger und Verbraucher in einem, sind auch die Ersten, die nun ihre Anlagen mit Batteriespeichern nachrüsten. Strom wird lokal erzeugt, lokal verbraucht und belastet die Energienetze somit überhaupt nicht. Der moderne Eigenheimbesitzer von heute betreibt sein eigenes Micro Smart Grid auf dem Grundstück. Der Strom muss nicht mehr in einem großen Kraftwerk produziert und durch dicke Kabel über weite Strecken nach Hause geliefert werden. Das ist das Energienetz der Zukunft: Verschiedene Smart Grids unterschiedlicher Größe, die, zusammengeschaltet zu einem digitalisierten, intelligenten Stromnetz, die Energieversorgung sicherstellen und den Austausch untereinander anbieten; stationäre und mobile Speicher, die Energie dann aufnehmen, wenn die Sonne scheint und der Wind weht, die aber auch die gespeicherte Energie abgeben können, wenn weder das Eine noch das Andere verfügbar ist; Strom, der nicht mehr von einem großen Energieanbieter gekauft werden muss, sondern der, abgerechnet via Blockchain, vom Nachbarn stammt. Die Verteilnetzbetreiber verändern sich vom Anschlussbereitsteller und reinem Kupferkabeljongleur zu einem Manager von Smart Grids, der mit den digital übermittelten Erzeugungs- und Verbrauchsdaten ein intelligentes Netz betreibt, welches trotz der elektrischen Aufrüstung der Fahrzeuge netto nicht wesentlich mehr Energie transportieren muss.
Die Elektromobilität wird so nicht nur zum Treiber der Energiewende, sondern bringt gleichzeitig die Technologie der Stromnetze ins 21. Jahrhundert, befördert die Energieeffizienzbemühungen und sorgt quasi nebenbei noch für bessere Luft und weniger Lärm in den Städten. Gleichwohl ist eine Mobilitätswende mehr als der Austausch von Benzin- und Dieselautos durch Elektroantrieb. Wir benötigen auch einen höheren Anteil an Radverkehr, ÖPNV-Nutzung, Car-, Scooter- und Ride-Sharing und andere innovative Mobilitätsangebote und nicht zuletzt einen effizienteren Wirtschaftsverkehr, der lebensnotwendig für die Stadt ist. Nicht zuletzt geht es dabei auch um die Wiedergewinnung der Stadt als Lebensraum der Menschen anstatt des Abstellraums für Fahrzeuge aller Art. Also auch hier: Ganzheitliche Konzepte sind gefragt.