Im vergangenen Jahr stand an vielen Orten coronabedingt fast alles still. Doch die Versorgung mit Gütern lief größtenteils reibungslos. Verantwortlich dafür war unter anderem die Seeschifffahrt, die trotz aller Reisebeschränkungen Waren weiter befördern durfte und das auch weiterhin zuverlässig erledigt. Doch die sich verschärfende Klimakrise verlangt, dass auch der Seeverkehr seinen Beitrag zur Reduktion von klimaschädlichen Emissionen leistet.
Knapp drei Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen
gehen auf das Konto des weltweiten Schiffstransports. Weil internationale
Gewässer keinem Land zugeordnet werden, fühlte sich bisher niemand zuständig
oder verpflichtet, diese Emissionen zu reduzieren. Dabei verursacht der
Seeverkehr inzwischen mehr Treibhausgasemissionen als jeder einzelne
EU-Mitgliedstaat. Allein zwischen 2012 und 2018 sind klimarelevante Emissionen
um knapp zehn Prozent gestiegen. Darunter zählt neben CO2 auch das extrem klimaschädliche
Methan, das in verflüssigter Form transportiert oder als Brennstoff verwendet
wird. Unvermeidliche Undichtigkeiten führen dazu, dass die Methanemissionen der
Seeschifffahrt in den vergangenen zehn Jahren um 150 Prozent gestiegen sind. Da
Methan neben schweren Kohlenwasserstoffen ein Bestandteil von Flüssigerdgas
(LNG) ist, ist dieser Kraftstoff keine Option für den Weg aus der Klimakrise.
Kaum ein anderer Industrie- oder Transportsektor weist derart hohe Emissionssteigerungen auf. Dadurch steigt der Handlungsdruck auf die Schifffahrt immens. Die Internationale Seeschifffahrtsorganisation IMO schätzt, dass die gesamten, von Schiffen verursachten Emissionen zwischen 2008 und 2050 um 90 bis 130 Prozent steigen werden. Für Schiffe, die Häfen der Europäischen Wirtschaftszone anlaufen, rechnet die EU-Kommission mit einem Anstieg von 86 Prozent gegenüber 1990.
Apell an die slowenische Ratspräsidentschaft
Wollen wir die Pariser Klimaschutzziele erreichen, müssen wir unsere Anstrengungen bündeln und sehr viel schneller werden – sowohl in der Schifffahrt als auch in Europa. Die Deutsche Bundesregierung sowie Portugal haben es während ihrer EU-Ratspräsidentschaften leider nicht mehr geschafft, die Verhandlungen für verbindliche europäische Klimaziele in der Schifffahrt zu beginnen und das, obwohl beide sich klimapolitische Schwerpunkte gesetzt hatten.
Die Zeit für echte Veränderungen drängt. Nun liegt es in der Verantwortung der slowenischen
Präsidentschaft, der existenziellen Bedrohung durch den Klimawandel mit
sofortigem Handeln zu begegnen. Unter der Ratspräsidentschaft Sloweniens wird
die Europäische Union nach Glasgow zur UN-Klimakonferenz fahren und in Kunming
neue Biodiversitätsziele verhandeln. Eine ehrgeizige und verbindliche europaweite
Verordnung für die Treibhausgasreduktion in der Seeschifffahrt wird maßgeblich
zur Glaubhaftigkeit und globalen Führungsrolle der Europäischen Union in der
Klimadiplomatie beitragen.
Im September 2020 hat das Europäische Parlament mit großer Mehrheit mehrere weitreichende Maßnahmen verabschiedet, die darauf abzielen, dass der Schifffahrtssektor seinen fairen Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz leistet. Die aktuell geltende Verordnung schreibt lediglich die Erfassung von Emissionen fest. Dass bloße Statistik vor dem Hintergrund der gesamten Herausforderungen des Klimawandels nicht ausreicht, liegt auf der Hand. Daten sind wichtig, aber sie allein reduzieren kein Gramm Klimagas.
Aufnahme in den ETS und ein Meeresfonds
Das Europäische Parlament fordert deutlich weitreichendere Maßnahmen. Schifffahrtsunternehmen
sollen dazu verpflichtet werden, die jährlichen CO2-Emissionen ihrer Flotte je
Frachtmeile bis 2030 linear um mindestens 40 Prozent zu reduzieren.
Darüber hinaus sollen Emissionen aus der Seeschifffahrt bis 2022 in das Europäische
Emissionshandelssystem ETS einbezogen werden. Erwerbspflichtig ist das
Unternehmen, das für den kommerziellen Betrieb des Schiffs verantwortlich ist,
also der Eigner oder der Charterer. Nach dem Willen der Abgeordneten soll mit
der Hälfte der Einnahmen ein Meeresfonds eingerichtet werden, der die Forschung
und Entwicklung klimafreundlicher Schiffe finanziert und Investitionen in die
Dekarbonisierung des Sektors unterstützt. Für kleine und mittlere Unternehmen
soll es die Möglichkeit geben, statt der Teilnahme an den Auktionen die
Zertifikate direkt über den Fonds zu beziehen.
Das Europäische Parlament ist einen maßgeblichen ersten
Schritt hin zu einer klimafreundlichen Seeschifffahrt gegangen. Nun liegt es an
den EU-Mitgliedstaaten, allen voran der Deutschen Bundesregierung, auf
europäischer Ebene alle weiteren Schritte zur Umsetzung zu unterstützen und die
Forschung an alternativen Treibstoffen voranzutreiben. Hier wird sich in den
kommenden Monaten zeigen, wie ernst es der Bundesregierung mit der Annahme
wirksamer klimapolitischer Maßnahmen wirklich ist. Die Schifffahrt selbst
scheint diesmal willens, den Weg mitzugehen. Das muss jetzt genutzt werden, weitere
Verzögerungen zulasten des Klimas darf es nicht geben.
Claudia Müller, MdB, ist Sprecherin für maritime Wirtschaft und Mittelstandsbeauftragte der Fraktion Bündnis90/Die Grünen im Deutschen Bundestag. Jutta Paulus, MdEP, ist verhandlungsführende Berichterstatterin des Europäischen Parlaments zur Verordnung über das Datenerhebungssystem von Treibhausgasemissionen der Internationalen Seeschifffahrt.