Standpunkte Vom Ofenbauer zum Energiewender

Wie wichtig das Heizungshandwerk für die „Wärmewende“ ist, wird nach Einschätzung von Martin Pehnt bisher völlig unterschätzt.

von Martin Pehnt

veröffentlicht am 11.10.2017

aktualisiert am 19.11.2018

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„Stell Dir vor, es gibt Förderung, und keiner geht hin“. Seit 2016 fördert die Bundesregierung die Optimierung von Heizungen mit üppigen 30 Prozent: hocheffiziente Pumpen, die hydraulische Verbesserung von Anlagen, die Effizienzsteigerung des Systems. Doch von den ursprünglich 300 Millionen Euro vorgesehener Mittel ist nur ein Bruchteil abgeflossen, und das trotz Werbung, Kampagne und Unterstützung der Heizungsunternehmen.


Angesichts einer boomenden Branche – der Umsatz des Sanitär-, Heizungs- und Klimahandwerks war mit fast 42 Milliarden Euro im Jahr 2016 so hoch wie noch nie – ist das zunächst erstaunlich. Doch gerade der Erfolg der Branche macht der Wärmewende im Heizungskeller zu schaffen. Denn die Handwerksfirmen berichten, dass die Deutschen eher alte Bäder auf Vordermann bringen als eine ineffiziente Heizungsanlage austauschen. Um die Energiewendeziele der Bundesregierung zu erreichen, müssten eigentlich doppelt so viele Heizungen wie heute modernisiert werden.


Die „Gas Wasser Sanitär“-Branche steuert gegen. Die Zeiten sollen vorbei sein, in denen die internationale Frankfurter Heizungs- und Sanitärmesse den inoffiziellen Beinamen „Inter-Klo“ bekam und die Branchenkampagne „Volles Rohr Zukunft“ eher ungute Assoziationen weckte. Nun wird mit dem Motto „Zeit zu Starten“ um Handwerkernachwuchs geworben. Im Werbevideo ist der Heizkessel längst digital, und fröhliche junge Frauen und Männer drängen sich um Heizungs-Apps und kluge Displays.


Der Heizungsmarkt der Zukunft: mehr als nur Kessel


Wer die diesjährigen Heizungsmessen besucht, kann in der Tat unter dem Eindruck stehen, die Heizung sei vom tumben Boiler zur smarten Wärmeserviceeinheit avanciert. Auf den Zuruf „Mir ist kalt“ reagiert beispielsweise Karl, der männliche Kompagnon von Siri und Alexa, mit einer extra Portion Holzpellets im Brennraum und einer freundlichen Antwort. Karl ist ein sprachgesteuerter Holzofen.


Heizungen haben einen direkten Draht zur Wetterprognose und zum Wartungsdienst, der anrückt, bevor der Kunde überhaupt den Stillstand seiner Heizung bemerkt hat. Warmwasserboiler befragen den Strommarkt und wärmen den Speichertank nach dem Motto: „Heizen, wenn der Wind weht und der Börsenstrom günstig ist.“


Digitalisierung und Sektorkopplung


Digitalisierung, das ist einer der Trends im Wärmemarkt, die eine Bestandsaufnahme aus dem Hause Roland Berger identifiziert. Sie erlaubt eine solide Planung, Regelung und Überwachung von Heizungsanlagen. Ein weiterer Trend ist die „Sektorkopplung“: mit zunehmender Durchdringung des Kraftwerksparks mit erneuerbaren Energien werden Heiztechniken wie die Wärmepumpe wichtiger, die Strom effizient in Wärme umwandelt. Dahinter steht das Ziel, den Wärmemarkt bis 2050 vollständig zu dekarbonisieren. Und das bedeutet: Abkehr von Heizöl und längerfristig auch von fossilem Erdgas.


Zwar hat die Dekarbonisierung schon Fortschritte gemacht. Vor dreißig Jahren wurden zwei Drittel aller Gebäude mit Öl und Kohle geheizt. In den Städten versorgten vielfach Fernwärmenetze mit Abwärme aus Kohlekraftwerken die Wohnungen. Der Energieverbrauch eines Neubaus lag viermal so hoch wie der heutiger Gebäude. Wärmepumpen waren ein Nischenprodukt, Sonnenkollektoren wurden im Eigenbau installiert. Moderne und schadstoffoptimierte Biomasse-Heizungen suchte man ebenfalls vergebens.


Das ist heute anders. Gut ein Fünftel aller Neubauten wird mit Wärmepumpen bestückt, und das klimaschonendere Erdgas versorgt etwa die Hälfte aller Gebäude und ist damit der wichtigste Energieträger im Wärmemarkt. Und doch: das reicht noch lange nicht aus, um die Klimaschutzziele der Bundesregierung für den Gebäudebereich zu erfüllen. Im Gegenteil ist angesichts der anhaltend niedrigen Heizölpreise die Entscheidungsfreude der Deutschen zu Gunsten einer Heizung mit erneuerbaren Energien wieder dramatisch zurückgegangen. Hatten 2008 fast die Hälfte aller Heizungskunden eine Heizung mit Solaranlage, Holz oder Wärmepumpe gekauft, waren es 2016 nur noch 20 Prozent. Merh als eine Million Heizkessel dürften die deutsche Teilung noch erlebt haben.


Handwerk als Vertrauensinstanz


Die wichtigste Instanz bei der Heizungsentscheidung sind die Handwerker und Handwerkerinnen vor Ort. Vier Fünftel aller Kunden vertrauen auf die Ofenbauer und Klempner, wenn es um die Entscheidung für eine neue Heizung geht, hat eine Umfrage der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz ergeben. Doch derzeit haben Installateure wenig Anreiz, zu einer erneuerbaren Heizung zu raten, und scheuen Mehraufwand und ungewohnte Produkte.


Mehr als 50.000 Heizungsbaubetriebe dürfte es in Deutschland geben. Viele davon haben nur wenige Mitarbeiter und installieren weniger als einen Kessel im Monat. Zeit für Weiterbildungen, zum Beispiel im Bereich erneuerbare Energien, ist da knapp.


Ein weiteres Problem: erneuerbare Energien und andere innovative Heizungssysteme stellen zunehmende Anforderungen an das Handwerk. Für Sonnenkollektoren muss der Heizungsbauer auf das Dach. Bei der Installation von Wärmepumpen und Blockheizkraftwerken ist auch elektrisches Know-How erforderlich, oder ein zusätzlicher Elektriker muss dazu stoßen.


Hinzu kommt, dass das SHK-Handwerk im Sanitärbereich oftmals mehr Geld mit weniger Arbeit verdient. Das verstärkt die Knappheit verfügbarer Installateure und treibt die Preise nach oben.


Auch von Seiten der Endkunden ist das Bedürfnis nach neuen Heizungen nicht besonders groß. Zu günstig sind derzeit die Brennstoffpreise, zu unsichtbar der erneuerbare Anteil. Anders als die schicke Photovoltaik-Fassade oder der coole Elektroroller ist die Heizung der unbekannte Kasten im Heizungskeller, der nur bei Problemen aufgesucht wird. Die Heizung als gemütliches und innovatives „Herz des Heims“: das ist eher eine Marketingvision als Realität im Heizungsmarkt.


Das Fachkräftedilemma


Die Verfügbarkeit hochqualifizierter und kreativer Heizungsfachleute ist daher ein vordringliches Problem. Fast die Hälfte aller Heizungsbetriebe suchte im letzten Jahr nach personeller Verstärkung. Aber, so klagt der Zentralverband Sanitär Heizung Klima, „gut ausgebildete Fachkräfte gibt der Arbeitsmarkt nicht mehr her.“


Angesichts des Sanierungsstaus im Heizungskeller müssten eigentlich mehr als doppelt so viele Heizkessel installiert werden wie heute. Die Frage ist, ob dies mit dem heutigen sogenannten „dreistufigen Vertrieb“ (Großhandel/Handwerker/Endkunde) gelingt. Erste Auflösungserscheinungen deuten sich an: Während der Kesselbauer Vaillant mit seinen Versuchen eines Online-Direktvertriebs auf Ungnade in der Branche gestoßen ist, hat der Internet-Heizungshändler Thermondo 150 Heizungsinstallateure eingestellt und bietet deutschlandweit Kompaktlösungen an. Durch Standardisierung und große Stückzahlen gelingt es, Kosten zu senken und gleichzeitig hohe Effizienzstandards einzuhalten. So wird der wichtige hydraulische Abgleich der Heizkörper ungefragt mitgeliefert.


Über kurz oder lang könnte sich im Heizungsmarkt eine Umstrukturierung andeuten. Energieversorger, Baumärkte oder ganz neue Akteure könnten die Marktlücke füllen, in enger Zusammenarbeit mit dem örtlichen Handwerk.


Ein weiteres Kernproblem ist das Berufsbild: Solange der Anlagenmechaniker sowohl als Ofenbauer wie auch als Klempner auftritt, könnte es schwieriger sein, die Installation von „erneuerbaren Heizungen“ voranzubringen. Auch im Sanitärbereich steigen zudem die Anforderungen: Trinkwasserqualität, Legionellen, innovative Sanitärtechnik führen dazu, dass der Klempner längst nicht nur die Rohrzange schwingt. Die hohen Anforderungen manifestieren sich auch in einer hohen Durchfallquote bei der Gesellenprüfung. Frauen sind in dem Beruf drastisch unterrepräsentiert.


Das Dilemma ist daher: der Flaschenhals wird enger, weil die Anforderungen immer höher werden und es zugleich immer schwieriger wird, pfiffige Köpfe in die Ausbildung zu locken. Auf der anderen Seite wird die Nachfrage nach Installationen und Dienstleistungen im Heizungsbereich deutlich steigen – und steigen müssen, um die Klimaschutzziele zu erreichen.


Zeit zu starten


Was ist zu tun, um den Heizungsmarkt zu dekarbonisieren? Zum einen ist es Zeit für einen großen Wurf: ein angemessener CO2-Preis für fossile Brennstoffe ist dringend geboten. Während die Stromkosten für private Endkunden in den vergangenen Jahren immer wieder gestiegen sind, sind Öl und Gas billig wie schon lange nicht mehr. Es wäre volkswirtschaftlich sinnvoll, die Klimaschadenskosten fossiler Heizstoffe in Form einer CO2-abhängigen Energiesteuererhöhung einzupreisen. Gekoppelt mit einer sozialen Abfederung – etwa durch eine Rückerstattung an die Haushalte und eine Senkung der Stromsteuer – würde dadurch die Nachfrage nach erneuerbaren Energien marktgetrieben ansteigen und auch die Wirtschaftlichkeit von Effizienzmaßnahmen weiter verbessert.


Zum zweiten sollte jeder Anlass für einen Heizungstausch genutzt werden. Im Rahmen der Umstellung der Gassorten in Norddeutschland müssen beispielsweise fünf bis sechs Millionen Heizkessel angepasst werden – ein guter Zeitpunkt für Beratung und Optimierung. Auch das neue Heizungslabel, mit dem alle Geräte ausgezeichnet werden müssen, könnte ein Anlass für ein Beratungsgespräch sein.


Und drittens brauchen wir eine Handwerks-Offensive, die mit einer weiterentwickelten, vielleicht auch vom Sanitärgewerk getrennten attraktiven Ausbildung den Heizungsinstallateur zum „Energiewender“ macht und dort Digitalisierung, moderne Installationstechniken, Hocheffizienz und erneuerbare Energien schult. Zusammen mit regionalen Sanierungs- und Qualitätsnetzwerken könnte so die dringend erforderliche Wärmewende im Heizungskeller geschultert werden.


Martin Pehnt ist Geschäftsführer und wissenschaftlicher Vorstand des Heidelberger Ifeu – Institut für Energie- und Umweltforschung.

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