Standpunkte Warum es keine Null-Cent-Zuschläge in der nächsten Wind-Ausschreibung geben dürfte

Standpunkt von Thorsten Müller, Wissenschaftlicher Leiter der Stiftung Umweltenergierecht
Standpunkt von Thorsten Müller, Wissenschaftlicher Leiter der Stiftung Umweltenergierecht

Einige Branchenteilnehmer rechnen mit Null-Geboten in der kommenden Ausschreibungsrunde für Onshore-Windkraft. Bei Offshore war das schließlich schon zu beobachten. Thorsten Müller, Wissenschaftlicher Leiter der Stiftung Umweltenergierecht, analysiert, warum solche Gebote eigentlich nicht rational wären, was sich aber dahinter verbergen könnte.

von Thorsten Müller

veröffentlicht am 09.11.2017

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Im April waren (fast) alle Marktakteure und Beobachter des EEG überrascht, als bei der allerersten Ausschreibung 2017, der Ausschreibung für Windenergie auf See, drei Gebote ohne einen Förderanspruch bezuschlagt wurden. Zwar lagen die Ergebnisse bei den ersten Onshore-Ausschreibungen mit 4,57 bis 7,46 beziehungsweise 3,39 bis 5,53 Cent je Kilowattstunde weit oberhalb der Null (in der ersten Runde sogar deutlich oberhalb des im EEG angelegten Degressionspfads), es hält sich aber hartnäckig das Gerücht, dass in der nächsten Runde am 1. November auch für Wind an Land Null-Cent-Gebote vorliegen werden.


Ein solches Gerücht ist zunächst einmal nur ein Gerücht. Zuschläge mit Null Cent hätten aber eine andere Bedeutung, als es auf den ersten Blick erscheinen könnte. Daraus kann nicht ohne weiteres geschlossen werden, dass Windenergie an Land ohne Förderung wirtschaftlich betrieben werde könnte. Dies gilt zunächst besonders für die Bürgerenergiegesellschaften, die entgegen der gesetzlichen Intention zum Regelfall der ersten beiden Ausschreibungsrunden geworden sind und dies auch im Novembertermin sein werden. Gebote dieser besonderen Bieter, die im EEG 2017 künstlich geschaffen worden sind und zu vereinfachten Bedingungen am Wettbewerb teilnehmen können und besondere Vorteile erhalten, müssen im Hinblick auf die im Rechtsrahmen angelegten ökonomischen Wirkung bewertet werden. Bürgerenergiegesellschaften erhalten anders als andere Bieter nicht einen Zahlungsanspruch in der von ihnen abgegebenen Höhe, sondern in der Höhe des letzten noch bezuschlagten Gebots. Aufgrund dieses sogenannten Einheitspreisverfahrens kann also eine Bürgerenergiegesellschaft die Chance auf einen Zuschlag erhöhen, indem sie ein niedriges Gebot abgibt. Dies dürfte sie aber immer in der Hoffnung machen, dass noch ein höheres Gebot einen Zuschlag bekommt und den eigenen Zahlungsanspruch damit mit nach oben zieht.


Ein Null-Cent-Gebot wäre die Extremvariante einer solchen Strategie. Dabei würde der Bieter aber auf eine wichtige Absicherungsfunktion des EEG verzichten. Würde innerhalb von zwei Jahren nach Zuschlag – auch unverschuldet – die Eigenschaft der Bürgerenergiegesellschaft entfallen, etwa weil einer der Gesellschafter aus dem Landkreis wegzieht oder verstirbt, entfällt die Wirkung des Einheitspreises und der Zahlungsanspruch beschränkt sich auf die Höhe des individuellen Gebots. Vor allen Dingen droht aber die Gefahr, dass die Strategie nicht aufgeht, wenn zu viele Bieter sich so verhalten.


Diese Gefahr ist im aktuellen Ausschreibungstermin besonders hoch, weil es die letzte Gelegenheit sein dürfte, sich vergleichsweise einfach als Bürgerenergiegesellschaft einen Zuschlag zu sichern. Es wäre daher nicht überraschend, wenn sich erneut viele Investoren als Bürgerenergiegesellschaft organisieren. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden danach die Zugangsvoraussetzungen für Bürgerenergiegesellschaften geändert. Der Gesetzgeber hat bereits für die ersten beiden Ausschreibungsrunden 2018 ein Moratorium verabschiedet, das die vereinfachten Zugangsvoraussetzungen aussetzt. Bürgerenergiegesellschaften müssen dann, wie alle anderen Bieter auch, eine Genehmigung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz vorweisen, um an der Ausschreibung teilnehmen zu können. Dadurch wird die Attraktivität dieses Weges deutlich geschmälert. Es wäre erstaunlich, wenn in dieser Zeit nicht eine dauerhafte Änderung der Sonderregelungen für Bürgerenergiegesellschaften erfolgen würde.


Da bereits in den ersten beiden Ausschreibungsrunden für Wind an Land 95 Prozent des Zuschlagsvolumens an Bürgerenergiegesellschaften gegangen sind, ist es aufgrund dieser Perspektive durchaus möglich, dass in der nächsten Runde nur solche Bieter zum Zuge kommen. Wenn dabei dann zu viele Bürgerenergiegesellschaften dieselbe Wette eingehen und auf null Cent bieten, könnten am Ende alle ungeplant ohne Förderanspruch dastehen. Null-Cent-Zuschläge für Bürgerenergiegesellschaft wären damit ein Betriebsunfall. Ihnen kann folglich nicht die Aussage entnommen werden, auch ohne Förderung Windenergieanlagen wirtschaftlich errichten oder betreiben zu können.


Für alle Gebote, bei denen beabsichtigt ist, ohne Förderung zu investieren, sei es von Bürgerenergiegesellschaften oder anderen Bietern, die nicht auf die Wirkung des Einheitspreises zählen konnten, wäre ein Null-Cent-Gebot trotzdem nicht ökonomisch rational. An einer EEG-Ausschreibung für Windenergien an Land teilzunehmen, ohne einen Zahlungsanspruch aus dem EEG erlangen zu wollen, verschafft dem Bieter keinen Vorteil. Das wirtschaftlich angestrebte Ziel, eine Windenergieanlage errichten und betreiben zu wollen, ließe sich anders einfacher, billiger und risikoärmer erreichen.


Denn über den Zahlungsanspruch hinaus verschafft ein Zuschlag in diesem Fall keine weitergehenden Rechte und Ansprüche. Die Wirkung des Zuschlags in der Onshore-Ausschreibung ist allein darauf beschränkt, vom Netzbetreiber die Marktprämie zu erhalten. Alle anderen Rechte, die das EEG einem Betreiber einer Windenergieanlage einräumt, sind unabhängig vom Zuschlag. Der Anspruch auf unverzüglichen und vorrangigen Anschluss der Windenergieanlage an Land an das Netz – und hier liegt der zentrale Unterschied zu den Ausschreibungen für Windenergieanlagen auf See, bei denen die Rechtslage anders ist und der Zuschlag auch Voraussetzung für den Netzanschluss ist – und der Anspruch auf vorrangige Abnahme, Übertragung sowie Verteilung und damit auch auf nachrangige Regelung im Wege des Einspeisemanagements gelten uneingeschränkt für alle Anlagenbetreiber unabhängig davon, ob sie einen Zuschlag in einer Ausschreibung erhalten haben oder nicht. Auch im Hinblick auf den Vertrauensschutz in den Fortbestand der gesetzlichen Regelungen ist kein Grund ersichtlich, warum ein Investor mit einem Null-Cent-Zuschlag bessergestellt sein sollte, als ein Investor ohne einen solchen.


Während die Teilnahme an der Ausschreibung also keine Vorteile bringt, müsste der Bieter aber handfeste Nachteile in Kauf nehmen. Zunächst müsste er regelmäßig Zeit bis zum nächsten Ausschreibungstermin verstreichen lassen. Von geringerem Gewicht ist dabei die Gebühr für die Teilnahme an den Ausschreibungen in Höhe von 522 Euro, die angesichts der Gesamtinvestitionskosten nicht weiter ins Gewicht fällt. Schwerer wiegt dagegen das Pönalenrisiko, das mit der Teilnahme an der Ausschreibung einhergeht. Der Bieter muss eine Sicherheit von 30 Euro je Kilowatt zu installierender Leistung der geplanten Windenergieanlagen hinterlegen, die sich selbst bei Einzelanlagen auf rund 100.000 Euro summiert und bei Windparks ein Mehrfaches davon beträgt. Sollte die Realisierung der Windenergieanlagen aber nicht rechtzeitig möglich sein, droht der teilweise oder komplette Verfall der Sicherheit. Dann wird eine Pönale fällig, und zwar unabhängig davon, ob diese Verzögerung selbst verschuldet ist oder nicht.


Weil also ein Zuschlag bei einem Null-Cent-Gebot keine Vorteile gegenüber einer Errichtung der Anlage ohne Teilnahme an den Ausschreibungen bietet, aber Nachteile mit sich bringt, wäre ein solches Vorgehen nicht wirtschaftlich rational. Allein aus diesem Umstand zu folgern, dass eine Förderung nicht mehr erforderlich wäre, würde diese Irrationalität ausblenden. Doch was bewegt einen Bieter – jenseits einer möglicherweise vorliegenden Unkenntnis der Rechtslage – die Anlagen nicht einfach jenseits der Ausschreibungen zu realisieren, sondern diesen Umweg in Kauf und damit Kosten und Risiken auf sich zu nehmen? Es ist nicht auszuschließen, dass er genau dieses Missverständnis hervorrufen will.


Wirtschaftliche Rationalität könnte allerdings darin zu sehen sein, dass sich ein Bieter das begrenzte Ausschreibungsvolumen sichert, um es nicht seinen Wettbewerbern zu überlassen. Allerdings ist dieses Wettbewerbsverhältnis ein sehr relatives und allenfalls indirektes. Da alle Bieter im vom Gesetzgeber vorgesehenen Regelfall bereits eine Genehmigung für die Anlagen vorweisen müssen, geht es nicht mehr um den Wettbewerb um die Standorte. An den Strommärkten konkurrieren dann nicht nur die Bieter und potenzielle Investoren der jeweiligen Ausschreibungsrunde miteinander, sondern diese vielmehr mit allen anderen Stromerzeugern. Die Erzeugungskapazität einer Ausschreibungsrunde ist im Vergleich zum Gesamtangebot des Elektrizitätssystems minimal, so dass dies nicht zu Wettbewerbsverschiebungen führen dürfte. Bliebe allenfalls das (ökonomisch durchaus rationale) Ziel, Wettbewerber mittelfristig aus dem Markt zu drängen, indem sie nach einer oder mehreren Ausschreibungsrunden ohne Erfolg mangels Aussicht auf Neugeschäft aufgeben. Ein von diesem letzten Rest ökonomischer Rationalität motiviertes Handeln stünde aber im Widerspruch zum Grundsatz des EEG, die Akteursvielfalt zu wahren.


Es bleibt abzuwarten, ob es zu Null-Cent-Zuschlägen kommen wird. Wenn dies der Fall sein wird, dann wird es ebenso spannend sein, wie die Politik darauf reagiert. Solche Gebote wären nicht Ausdruck der Wettbewerbsfähigkeit von Windenergie an Land im heutigen Ordnungsrahmen der Elektrizitätsmärkte, sondern unbeabsichtigtes (bei Bürgerenergiegesellschaften) oder willentliches (bei den sonstigen Bietern) Ergebnis eines strategischen Bieterverhaltens. Daraus eine Diskussion um die Entbehrlichkeit des EEG beginnen zu wollen, würde die Null-Cent-Zuschlägen über- und fehlinterpretieren und zudem von der zentralen Frage der Energiewende – der nach dem richtigen Marktdesign und dessen Ordnungsrahmen – ablenken, die eigentlich im Mittelpunkt der politischen Diskussion stehen müsste.

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