Standpunkte Warum wir einen Mindestpreis im EU ETS brauchen

Der europäische Emissionshandel liefert keine zuverlässigen Signale. Derzeit ist der Preis zu niedrig, er könnte aber in Zukunft auch einmal zu hoch liegen, dann droht politischer Druck. Christian Flachsland (Hertie School of Governance) und Christoph Wolff (European Climate Foundation) meinen: Höchste Zeit, einen Mindestpreis einzuführen. Das würde alle drei schwerwiegenden Probleme adressieren, schreiben Sie in ihrem Standpunkt.

von Christoph Wolff

veröffentlicht am 11.12.2017

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Der Preis für EU-Emissionszertifikate dümpelt seit Jahren zwischen fünf und acht Euro. Die zuletzt auf EU-Ebene beschlossenen Reformen sind ein erster Schritt in die richtige Richtung. Sie werden den Preis aber nicht auf das für eine kosteneffiziente Dekarbonisierung erforderliche Niveau anheben. Sowohl kurzfristige Vermeidungsoptionen wie die Umstellung der Stromproduktion von Kohle auf Gas, als auch längerfristige Investitionen in emissionsarme Kapitalstöcke sowie Forschung und Entwicklung werden damit nicht im erforderlichen Ausmaß durchgeführt.


Die Nachteile dieser auf Abwarten ausgerichteten Strategie werden dabei gerne übersehen: Angesichts der ambitionierten langfristigen Absenkung des Cap für Emissionen im EU ETS wird der Preis irgendwann steil ansteigen müssen, da dann das noch verfügbare Emissionsbudget deutlich absinkt. Mit der nun beschlossenen Cap würden ab dem Jahr 2058 keine neuen Zertifikate mehr ausgegeben, schon vorher sinkt die jährliche Menge ausgegebener Zertifikate um 48 Millionen pro Jahr. In Fall eines deutlichen und raschen Preisanstiegs kann seitens Industrie und Wirtschaft ein enormer Druck auf die Politik erwartet werden, um ihn einzudämmen – etwa indem das Cap gelockert wird. Die Industrie würde argumentieren, dass wegen der langen Vorläufe für Investitionen ihre Anpassungsfähigkeit bei deutlichen Preisanstiegen überfordert wäre. Allein die Möglichkeit dieses Szenarios beschädigt die Glaubwürdigkeit und Effektivität des Emissionshandels als zentralem Instrument zur europäischen Dekarbonisierung. Ein Mindestpreis würde dieser Gefahr entgegenwirken.


In einem mit Kollegen veröffentlichten Policy Paper zeigen wir, dass die Preisbildung im EU ETS unter drei Hauptproblemen leidet. Erstens verhindert der kurzfristige Zeithorizont der Händler, dass sich ein Marktpreis herausbildet, der das langfristig knappe Angebot an Zertifikaten abbildet. Zweitens reagiert der Zertifikatemarkt sehr sensibel auf klimapolitische Ankündigungen in der EU, die als Hinweis auf die künftige Stringenz des Cap interpretiert werden. Empirische wissenschaftliche Untersuchungen legen nahe, dass der Zertifikatepreis dadurch unterhalb das für eine kosteneffiziente Dekarbonisierung erforderliche Niveau gedrückt wird. Drittens senken alle klimapolitischen Zusatzanstrengungen etwa im Bereich des Ausbaus Erneuerbarer Energien und der Energieeffizienz in den ETS-Staaten den Preis, solange sie nicht von einer entsprechenden endgültigen Löschung von Zertifikaten begleitet werden.


Die jüngst verabschiedete Reform adressiert diese Probleme nur unzureichend. Zwar wird die Löschung von Zertifikaten ab 2023 in der Market Stability Reserve (MSR) das Angebot verknappen. Es ist aber kein signifikanter Preiseffekt zu erwarten. Die neue Möglichkeit für Nationalstaaten, Zertifikate im Umfang der Emissionsreduktionen von nationalen Maßnahmen (etwa ein deutscher Kohleausstieg) zu löschen, muss zunächst einmal von allen Ländern auch umgesetzt werden.


Ein signifikanter und steigender Mindestpreis setzt hingegen einen klaren Anreiz für Investitionen in emissionsarme Anlagen sowie Forschung und Entwicklung und adressiert alle drei der oben skizzierten Probleme. Die langfristige Preisbildung wird nicht mehr allein dem Markt überlassen. Die Politik kann unmittelbar ihr Ambitionsniveau an die Marktteilnehmer in Form eines für die Märkte relevanten Preises kommunizieren, statt über den Umweg der Ankündigung langfristiger und letztlich ungewisser Mengenziele. Und wenn bei einem Mindestpreis für Zertifikate bei der Versteigerung (analog zu Mindestgebotspreisen bei Ebay) die nicht versteigerten Zertifikate dauerhaft stillgelegt werden, dann übersetzen sich niedrige Zertifikatepreise direkt in erhöhte Emissionsreduktionen.


Hier kann Europa von den Handelssystemen in Kalifornien und anderen nordamerikanischen Bundesstaaten lernen, die einen mit der Zeit steigenden Mindestpreis bei der Versteigerung von Zertifikaten bereits implementiert haben.


Großbritannien hat für Anlagen im Energiesektor zusätzlich zum EU ETS einen Mindestpreis von 18 Euro pro Tonne CO2 eingeführt – den Differenzbetrag zum aktuellen Preis im EU ETS müssen die Betreiber an den Fiskus abführen. Allerdings werden keine Zertifikate gelöscht, so dass es EU-weit nicht zu Emissionsreduktionen kommt. Die Nutzung der Zertifikate wird nur in Zeit und Raum verschoben.


Signifikante Einsparungen in Deutschland schon bis 2020


Eine interessante dritte Option hat im vergangenen Sommer die Regional Greenhouse Gas Initiative (RGGI) im Nordosten der USA beschlossen. Hier werden in einer „emission containment reserve“ zehn Prozent der versteigerten Zertifikate zu einem Mindestpreis von 13 US-Dollar pro Tonne angeboten, wobei dieser Preis sieben Prozent Jahr ansteigt. Nicht versteigerte Zertifikate werden gelöscht.


Wenn Deutschland und die EU es mit der Dekarbonisierung und dem Pariser Abkommen ernst meinen, dann müssen die anspruchsvollen langfristigen Ziele nun mit dem Ambitionsniveau der kurzfristigen Politikmaßnahmen in Einklang gebracht werden. Modellstudien zeigen, dass ein Preis von 30 Euro pro Tonne im EU ETS bereits im Jahr 2020 mindestens 30 Megatonnen CO2 in Deutschland einsparen kann. Damit würde ein signifikanter Beitrag zum kurzfristigen Erreichen der Klimaziele geleistet. Noch wichtiger aber wäre, dass mit einem Einstieg in einen EU-weiten Mindestpreis ein glaubwürdiges mittel- und langfristiges Signal an Investoren gesendet wird, dass Deutschland und Europa es mit dem Klimaschutz ernst meinen. Emmanuel Macron hat seine Kooperationsbereitschaft bei der Einführung eines Mindestpreises bereits signalisiert. Die nächste Bundesregierung sollte die ausgestreckte Hand ergreifen.


Christian Flachsland ist Assistant Professor for Climate & Energy Governance an der Hertie School of Governance und Gruppenleiter am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC).


Christoph Wolff ist Geschäftsführer der European Climate Foundation in Den Haag, Berlin und Brüssel. Vorher war er Senior Partner bei McKinsey und Vorstand bei DB Schenker Rail.

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