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Standpunkte Was die Emissionshandelsreform bedeutet

Der europäische Emissionshandel hat neue Regeln, die in wenigen Tagen in Kraft treten. Kostenlose Zuteilung, gelöschte Zertifikate, Ausnahmen für Wärmeerzeuger: Ines Zenke, Partnerin der Energierechtskanzlei Becker Büttner Held, erklärt in ihrem Standpunkt, wie das reformierte Regelwerk funktioniert und hat dabei insbesondere die Großemittenten der Industrie im Blick.

von Ines Zenke

veröffentlicht am 04.04.2018

aktualisiert am 08.11.2018

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„Alea iacta est“, genau diesen Ausruf Gaius Julius Cäsars 49 vor Christus benutzten Sie vermutlich, als Sie nach langem Warten die europäische Emissionshandelsrichtlinie erstmals in den Händen hielten. „Die Würfel sind gefallen“ (frei übersetzt @die Lateiner). Die neue Emissionshandelsrichtlinie ist da! Nachdem der erste Entwurf der Europäischen Kommission immerhin vom 15. Juli 2015 stammt, wurde die fertige Fassung am 19. März 2018 als Richtlinie (EU) 2018/410 im Amtsblatt der EU veröffentlicht und tritt am 20. Tag nach ihrer Veröffentlichung, also am 8.4.2018, in Kraft. Da sage noch mal einer was zur Schnelligkeit der deutschen Gesetzgebung.


Was regelt die neue Emissionshandelsrichtlinie?


Die neue Emissionshandelsrichtlinie beschäftigt sich mit der vierten Handelsperiode des 2005 in Europa eingeführten Emissionshandels. Diese beginnt im Jahr 2021 und läuft dann immerhin bis zum Jahr 2030. Angesprochen werden die rund 12.000 emissionshandelspflichtigen Anlagen in der Europäischen Union, auf die zusammen rund 45 Prozent der Treibhausgasemissionen zurückgeführt werden. Sie sollen weiterhin für jede Tonne emittiertes CO2 ein Zertifikat (auch Emissionszertifikat oder Berechtigung genannt) an die jeweils nationalen Emissionshandelsstellen abgeben müssen. Alternativ können sie natürlich auch ihre Emissionen reduzieren.


Weil der Preis für Emissionszertifikate in der Vergangenheit als ausgesprochen niedrig empfunden wurde und trotz seiner stetigen Steigerung auf rund 13 Euro heute weiterhin als ausgesprochen niedrig empfunden wird, vermeide – so das häufig gehörte Bedauern – die emissionshandelspflichtige Anlage bei diesem Preis aber nicht die Emission von CO2. Der Betreiber kaufe lieber Zertifikate zu, die das Emittieren erlauben. So aber würden Treibhausgasemissionen nie verringert, das Pariser Klimaschutzziel nie erreicht werden. Die Vorgaben von Paris erreichen, das will die neue Emissionshandelsrichtlinie, die hierzu einige Leitplanken setzt.


Die verfügbare Menge an CO2-Zertifikaten sinkt


Gekauft werden kann nur, was am Markt ist. Zu dieser Binsenweisheit gesellt sich die weitere, wonach die Nachfrage den Preis bestimmt. Beide Umstände macht sich die Richtlinie zu Nutze. Sie verknappt im Interesse des möglichst wirksamen (gemeint hohen) Preises die an Zertifikaten überhaupt zur Verfügung stehende Menge. Dies erfolgt über die Marktstabilisierungsreserve (MSR). Mit ihr sollen überschüssige Zertifikate abgebaut und in eine Reserve überführt werden. Dieser Eingriff von außen ist nicht neu, er wurde schon in 2015 beschlossen.


Bisher war allerdings vorgesehen, bei einem festgestellten Überschuss im Markt oberhalb eines definierten Schwellenwertes zwölf Prozent dieser Überschüsse vom Versteigerungsbudget abzuziehen und in die Marktstabilitätsreserve zu überführen. Die Richtlinie verdoppelt in den Jahren 2019 bis 2023 die Einstellungsrate mal eben auf je 24 Prozent. Außerdem werden alle Zertifikate, die sich in der Reserve befinden und über der Anzahl der im Vorjahr versteigerten Zertifikate liegen, ab 2023 gelöscht.


Neben dieser Verknappung soll es für den einzelnen Anlagenbetreiber auch direkt schon weniger Zertifikate in der Zuteilung geben. Nachdem der Rat schon im Oktober 2014 das Ziel verkündet hatte, die EU-internen Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 40 Prozent im Vergleich zu 1990 zu reduzieren, muss – soll das Ziel erreicht werden – das jedem Betreiber zugeordnete Zertifikatebudget weiter und stärker abgeschmolzen werden als bislang vorgesehen. Hierzu wird der sogenannte lineare Kürzungsfaktor von bislang 1,74 Prozent pro Jahr auf 2,2 Prozent pro Jahr angehoben, was über die Breite einer Reduzierung von über 550 Millionen Tonnen CO2 entspricht.


Schließlich steht den Mitgliedstaaten ab der vierten Handelsperiode die Möglichkeit offen, freiwillig Zertifikate zu löschen. Dabei handelt es sich um solche, die durch zusätzliche Klimamaßnahmen nicht mehr benötigt werden, wie etwa im Falle einer gesetzlich angeordneten Stilllegung von Kohlekraftwerken.


Kostenlose Zuteilung, aber …


Mancher war überrascht, dass die vierte Handelsperiode eine kostenlose Zuteilung von immerhin noch 43 Prozent des gesamten Zuteilungsbudgets (entspricht insgesamt 15 Milliarden Zertifikaten) vorsieht. Dies war ursprünglich bekanntlich anders angelegt. Die verbleibenden 57 Prozent werden versteigert, zwei Prozent hiervon fließen in einen Modernisierungsfonds zur Verbesserung der Energieeffizienz und die Modernisierung der Energiesysteme bestimmter Mitgliedstaaten.


43 Prozent kostenlose Zuteilung klingen zwar zunächst viel. In der Praxis wird es aber dennoch anspruchsvoll. Für die Stromerzeugung gibt es im Grunde weiterhin nichts. Die Wärmeproduktion der Energieerzeuger wird aber weiter bedacht. Die Zuteilung erfolgt hier auf einem Benchmark Wärme von derzeit 62,3 European Union Allowances (EUA) pro Terajoule Wärme, wobei dieser weiter abgesenkt wird. Wie sehr, ist auch nach Inkrafttreten der Richtlinie weiter unklar.


Da der aktuelle Benchmark aber bereits eine gasgefeuerte Anlage mit einem Wirkungsgrad von 90 Prozent unterstellt, würde jeder Abschlag von mehr als 0,5 Prozent pro Jahr bis zum Ende der Handelsperiode in einen Wert münden, der mit fossilen Brennstoffen objektiv nicht erreicht werden kann. Neben der Benchmark-Absenkung wird für die Wärmeerzeuger auch der bereits erwähnte lineare Kürzungsfaktor von 2,2 Prozent pro Jahr relevant.


Für die Industrieunternehmen gilt: Die Industriesektoren, die künftig noch als abwanderungsbedroht gelten (Stichwort: Carbon Leakage – CL), erhalten weiterhin im Grundsatz eine zu 100 Prozent kostenlose Zuteilung, wobei dies natürlich nicht bedeutet, dass hier bedarfskonform zugeteilt wird. Zugeteilt wird nach produktspezifischen Benchmarks, die den aktuellen Stand der möglichen Emissionsvermeidung und den technischen Fortschritt abbilden sollen. Hierzu werden die auf Daten des Jahres 2008 beruhenden Benchmarks um einen Absenkungsfaktor von bis zu 1,6 Prozent pro Jahr gekürzt.


Die nicht abwanderungsbedrohten Industriesektoren (sogenannte Non-CL) müssen die Handelsperiode gedanklich trennen. Für 2020 bis 2025 gibt es einen kostenlosen Anteil in Höhe von  30 Prozent. Ab 2026 bis 2030 wird der Anteil schrittweise auf 0 Prozent abgesenkt. Anders ist das auch hier bei der Fernwärme; hier bleibt es für die gesamte vierte Handelsperiode bei der 30-prozentigen kostenlosen Zuteilung.


Die guten Nachrichten für die Industrie: Den sehr umstrittenen sektorübergreifenden Korrekturfaktor, CSCF, soll es möglichst nicht mehr geben. Erst dann, wenn eine Überschreitung des 43-Prozent-Budgets an kostenloser Zuteilung nicht zu vermeiden ist und weitere drei Prozent aus dem 57-Prozent-Topf der zu versteigernden Zertifikate das Problem fehlender Zertifikate nicht lösen können, muss wieder ein CSCF ran, der die Knappheit gleichmäßig verteilt. Die Industrie kann auch den linearen Kürzungsfaktor von jährlich 2,2 Prozent erst einmal außer Acht lassen. Er wird nur dann relevant, wenn die Aufstockung des Industriebudgets um drei Prozent nicht ausreicht, um die Anwendung des CSCF zu verhindern.


Für alle neu ist: Künftig kann die Zuteilung kostenloser Zertifikate leichter an ein erhöhtes (aber auch ein vermindertes) Produktionsniveau angepasst werden. Hierzu war bislang eine technische Änderung an der Anlage erforderlich, die in der Praxis zu einigem Streit führte. Nunmehr reicht eine Produktionssteigerung über zwei Jahre um mehr als 15 Prozent aus.


Für Kleinemittenten ist alles wieder ein bisschen anders.


Nun folgt …


Was auf die Inkraftsetzung folgt sind weitere Durchführungsrechtsakte der Europäischen Kommission, die Umsetzung von alledem in Deutschland (die 18 Monate nach dem 8. April 2018 erfolgen muss) und schließlich das nächste Antragsverfahren.


Die Würfel sind gefallen, ja. Die endgültige Klarheit über den Wurf steht aber aus. Die Interpretation vieler Anlagenbetreiber liegt im schnellen Schließen der Deckungslücken für heute (noch?) 13 Euro pro Tonne.

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