Was lehrt der Strukturwandel der Vergangenheit?

Ohne Konsens gelingt nur ein chaotischer Ausstieg aus der Kohleförderung und der Kohleverbrennung. Davon sind die Forscher zweier Thinktanks nach dem Studium historischer Fälle überzeugt. Ein Überblick.

von Dagmar Dehmer

veröffentlicht am 25.06.2017

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Aus der historischen Erfahrung von sechs Kohleausstiegen, leiten die Wissenschaftler Oliver Sartor, Thomas Spencer und Ben Caldecott eine Reihe von Ratschlägen ab für die bevorstehende Abkehr von der Kohle in verschiedenen Regionen in den kommenden ein bis zwei Jahrzehnten. Die wichtigste ist aus Sicht von Oliver Sartor die Herstellung eines Konsens darüber, warum und wie der Veränderungsprozess verlaufen soll. Allerdings heißt es in der Studie, dass es aus den historischen Studien nur wenige Hinweise gebe, wie dieser Konsens zu schaffen sei. Aber aus der britischen Erfahrung, wo auch 30 Jahre nach dem Zusammenbruch der Kohleindustrie ganze Landstriche abgehängt geblieben sind, leiten die Forscher den Schluss ab, dass ein solcher Konsens gefunden werden muss, um den Strukturwandel zu schaffen.


Die Regierungen sollten nach Einschätzung der Forscher ihre Möglichkeiten nutzen, um einen entsprechenden Dialog in Gang zu setzen. Der Veränderungsplan sollte nach ihrer Einschätzung von den Bewohnern der betroffenen Regionen, den Beschäftigten und Gewerkschaften, den Unternehmen und weiteren gesellschaftlichen Gruppen gemeinsam erarbeitet werden. Auch das sei eine Voraussetzung, dass der Wandel gelingt. Andrzej Blachowicz, vom polnischen Thinktank Climate Strategies, der mit dem französischen Thinktank IDDRI ein längerfristiges Kohleausstiegsforschungsprojekt führt, sagt: „Regierungen und Interessengruppen sollten vermeiden, einen fairen Strukturwandel als rein finanzielle Kompensation zu betrachten. Sie müssen in die wirtschaftliche Entwicklung sowie in Bildung und Ausbildung investieren.“ In der spanischen Länderstudie haben die Bergleute in einer Befragung nämlich nicht nur Sorge über ihre eigenen Arbeitsplätze geäußert sondern auch über die Zukunft ihrer Kinder.


In den USA ist der Kohleausstieg vor allem vom Aufstieg der Schiefergas-Förderung getrieben. Es ist ein Kohleausstieg, der politisch nahezu gar nicht flankiert worden ist. Das Ergebnis sind verarmte Gemeinden in Ost-Kentucky mit einer hohen Arbeitslosigkeit, wirtschaftlichem Niedergang und einer extrem hohen Zahl drogenabhängiger ehemaliger Bergleute. In Großbritannien ist der Ausstieg im Kampf zwischen Gewerkschaften und der konservativen Regierung von Margaret Thatcher in den 80er Jahren ausgefochten worden. Aus Sicht der Forscher dürfte das der chaotischste Kohleausstieg gewesen sein. Auch 30 Jahre später haben sich die betroffenen Kohleregionen überwiegend nicht davon erholt. Lediglich dort, wo es wirtschaftlich starke Zentren in der Nähe gegeben hat, gelang es den Bergleuten auch beruflich wieder Anschluss zu finden. Der Strukturwandel in Polen und Tschechien verlief nicht weniger ungeordnet. Denn der Fall der Mauer und der Zusammenbruch der Sowjetunion waren für die osteuropäischen Länder ja nicht planbar.


Besonders teuer war der Strukturwandel offenbar in Spanien, wo die Regierungen noch über mehr als ein Jahrzehnt versuchten, die nicht mehr wirtschaftlichen Kohleminen mit Subventionen am Leben zu erhalten. Rund elf Milliarden Euro haben sie dafür investiert, ohne den Wandel wirklich aufhalten zu können.


Den Synthesebericht Lessons from previous coal transitions: a guide for decision-makers und die Länderstudien finden Sie hier:  https://coaltransitions.org/

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