Sehr geehrter Herr Dr. Ramsauer,
ich danke Ihnen sehr für Ihr klares Interview, das mir zeigt, wie empfindlich doch Argumente in Wahlkampfzeiten sein können, sobald diese die eigene Linie arg durchkreuzen.
Ich habe hoffentlich hinreichend Empathie für Sie und Ihre Rolle in der aktuellen politischen Auseinandersetzung. Insbesondere halte ich für nachvollziehbar, dass Sie Argumente für Ihre Wettbewerber im Bundestagswahlkampf, welche – in diesem Fall – das Umweltbundesamt liefert, im ersten spontanen Anschein als Missbrauch des Umweltbundesamtes für den Wahlkampf durch Umweltministerin Barbara Hendricks sehen.
Selbstverständlich sollte es jedoch sein, nicht jedes Argument, welches einem nicht passt, von vorn herein als Wahlkampfmanöver zu sehen, oder gar als „Generalangriff gegen die deutsche Automobilindustrie“. Ich will mich – zumal ich, wie offenbar auch Sie, den Bericht des UBA in dieser Angelegenheit noch nicht las – zum Inhalt nicht äußern; wie Sie bin auch ich der Auffassung, dass definitive staatliche vorgeschriebene „Auslaufdaten“ für bestimmte Antriebstechniken nicht seriös aus Umweltschutzgründen gefordert werden können: Es kommt eben (hier: für den Schutz der menschlichen Gesundheit) darauf an,“ was hinten rauskommt“, wie der ehemalige Bundeskanzler, Helmut Kohl, einmal sagte.
Erlauben Sie mir bitte einige Hinweise zur Art der Auseinandersetzung hinsichtlich der „Dieselthematik“:
1. Weil Sie das Umweltbundesamt – auch während meiner Amtszeit – offenbar in Ihren Ideologievorwurf einbeziehen: Ich bin kein „Ideologe“, auch nicht in meiner Zeit als Präsident des Umweltbundesamtes. Ich ließ mich auch nicht politisch instrumentalisieren. Vielleicht war dieser Umstand Auslöser Ihres Ideologievorwurfs gegen das Ihrerseits „so genannte Amt“ und damit an mich, der eben nicht nach parteipolitischer oder regierungsamtlicher Präferenz argumentierte. Als ideologische Betätigung werden Sie vermutlich nicht werten, dass ich Anfang der 80er Jahre in einer kleinen Gruppe um Alois Glück das Umweltprogramm der CSU mit entwickelte.
2. Vielleicht liegt Ihr Ideologievorwurf an das Umweltbundesamt (vor allem an seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie seinerzeit damit auch an mich) daran, dass Sie glauben, wissenschaftliche Bundesbehörden hätten dem „Ruf der Politik“ zu folgen. Das wäre ein Irrtum, denn gerade das Umweltbundesamt ist geschaffen worden, um die wissenschaftliche (!) Unterstützung der Bundesregierung in Umweltfragen sowie die „Aufklärung der Öffentlichkeit“ zu denselben sicher zu stellen. Dass das Umweltbundesamt der wissenschaftlichen Aufgabe voll gerecht wird, bestätigte der Wissenschaftsrat in zwei Evaluierungen seiner Arbeit binnen der letzten zehn Jahre.
3. Die „Aufklärung der Öffentlichkeit“ des Umweltbundesamtes von vornherein unter „Ideologieverdacht“ zu stellen, widerspricht den – auch gerichtlich bestätigten Auftrag des Amtes. Zudem: Das Amt macht sich mit seinen regelmäßigen Veröffentlichungen kritisierbar und stellt sich damit der öffentlichen Debatte.
4. Indem Sie beklagen, das Umweltbundesamt befasse sich mit Dingen, die es nichts anginge, verkennen Sie schlicht die jahrzehntelange Sachlage: Seit den Zeiten Helmut Kohls als Bundeskanzler, betonte die Bundesregierung in mehreren Beschlüssen, dass es um die Integration des Umweltschutzes in alle Politikfelder gehen müsse. Davon versuchte sich das Bundesverkehrsministerium auch zu Ihrer Zeit als Bundesminister zu emanzipieren, was aber nichts am Sachverhalt ändert: Auch Sie hätten die umweltpolitischen Anforderungen in Ihren Ressortaktivitäten wesentlich stärker berücksichtigen müssen. Offenbar – angesichts Ihres Interviews im Deutschlandfunk, in dem Sie sagten „das Umweltbundesamt ist zwar ein Amt, aber es rechnet Dinge aus und befasst sich mit Dingen, die es nichts angehen“ – haben Sie seit Ihrer Zeit als Bundesminister das alte Feindbild behalten. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, dass Sie im Kontext der Koalitionsverhandlungen im Jahr 2005 öffentlich forderten, das Umweltbundesamt abzuschaffen. In meiner telefonischen Intervention erklärten Sie mir, Sie hätten nicht das Umweltbundesamt, sondern das Bundesamt für Naturschutz gemeint. Glaubwürdig ist das aus heutiger Sicht nicht.
Sehr geehrter Herr Dr. Ramsauer,
ich habe für Ihre wahlkampforientierten Einlassungen im Interview durchaus ein gewisses Verständnis, halte es aber – im Rahmen mitteleuropäischer Verhaltenskonventionen und des Gebots „rede nicht falsch Zeugnis wider Deinen Nächsten“ für völlig unangebracht, dass Sie als verantwortlicher Politiker sich einer intellektuellen Abrüstung nach dem Schema auch amtliche Umweltschützer seien ideologische Gegner der deutschen Automobilindustrie („Generalangriff gegen die deutsche Autoindustrie“) hingeben, die Sie im Interview offenbarten.
Sensibler wäre es gewesen, Sie hätten das Versagen verschiedener Behörden im so genannten Dieselskandal selbstkritisch angesprochen. Ahnen Sie nicht, wie stark ungeahndete Betrugsvorwürfe , deren unzureichende Aufklärung und gegebenen Falls Sanktionierung negativ auf unsere Verfassungsordnung ausstrahlen oder wollen Sie das nicht sehen? Kurz: Wer ist hier ideologieverdächtig?
Mit bestem Gruß,
Andreas Troge, von 1995 bis 2009 Präsident des Umweltbundesamtes (UBA)
Den offenen Brief im Wortlaut finden Sie hier: Brief 26.06.17 an Ramsauer