Einen größeren Gefallen als diesen rund 40tägigen Workshop fast aller politischen Entscheider hätte man der Debatte um die Zukunft von Strom und Wärme in Deutschland kaum tun können. Klar: Kurzfristig bleibt einiges liegen, was dringend entschieden werden müsste. Und das ist ein hoher Preis. Aber das Ergebnispapier der zuletzt abgebrochenen Sondierungsgespräche zeigt zumindest den heutigen Minimalkonsens in Sachen Klima und Energiepolitik.
Sehen wir es positiv: Wann hat es so ein zwangsweises Miteinander-Reden-Müssen der politischen Gegner zuletzt gegeben? Sonst bleiben die Parteipolitiker von Grünen über die CDU bis zur CSU/FDP bei den Zukunftsfragen der Energiepolitik lieber unter Gleichgesinnten. In ihren Echokammern wird dann das gefordert und beschworen, was vom eigenen Publikum belohnt wird: Durch entschieden zustimmendes Kopfnicken aus den Sitzreihen, wenn Publikum direkt anwesend ist. Oder in immer neue Varianten von „Endlich-sagt-es-mal-einer“ in den Kommentar-Foren, wenn die Standpunkte sich in digitale Medien ergießen.
Bei den „40 Tagen von Berlin“ waren solche selbstzufriedenen Selbstbespiegelungen nicht mehr möglich. Sobald eine der Parteien allzu steile Thesen in den Raum stellte, oder Unkenntnis und „Realitätsverweigerung Trump´schen Ausmaßes“ offenbar wurde, bestellte die Gegenseite die Fachleute ein – sei es aus Ministerien, Verbänden oder Bundesbehörden. Die kam eingeritten wie die Kavallerie, verscheuchte die Parteien aus ihren ideologischen Schmollwinkeln und zwang sie zurück auf den Boden der Tatsachen und in die nächste Diskussionsrunde. Freilich: Die Beschäftigung mit den Tatsachen ist, wenn man Politik nur noch als das Gegeneinander von Weltbildern und Politik-Marketing begreift, eine arge Zumutung. Da kann schon mal einer heulend rausrennen.
Für die Sache an sich ist die Konfrontation mit den Fakten natürlich dienlich. Die Grünen mussten sich von Forderungen befreien, die sie durch den Wahlkampf getragen hatten: Der allzu schnelle „Ausstieg aus der Kohleverstromung“ oder „keine Zulassung von Verbrennungsmotoren ab 2030“ sind klimapolitisch wünschenswert, aber realpolitisch in Deutschland kaum machbar. Die Maximalforderungen waren schnell verschwunden. Für die Grünen war das nicht weiter schlimm, das war als politische Verhandlungsmasse eingeplant.
Wichtig ist, dass die Sondierer ihrer Energie- und Klimadebatte ein gemeinsames Ziel an den Anfang gestellt hatten, dass keine Ausflüchte duldet: Dass Deutschland seine Klimagasemissionen bis 2020 um 40 Prozent (gegenüber 1990) senken muss, benannte auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet als Teil des energiepolitischen „Zieldreiecks“ – neben Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit. Mit Blick auf die FDP-CDU Koalition in NRW ist das schon ein großer Schritt. Der Handlungsdruck, der aus dieser Zielfestlegung erwächst, könnte in Zukunft noch mal energiepolitisches Gold wert sein.
Denn die Jahreszahl 2020 verlangt nach einem „Sofortprogramm“, nach „zusätzlichen Reduktionsbeiträgen“ und nach einem „Beitrag der Kohle zur CO2-Reduzierung“. Dazu haben sich im Ergebnispapier auch die NRW-Koalitionäre Laschet und Christian Lindner bekannt. In Zukunft müssen auch sie eine Antwort auf die Frage geben, wie sie das Klimaziel denn konkret erreichen wollen.
Auch die zur Verfügung stehenden Mittel sind im Ergebnispapier benannt: Mehr erneuerbare Energie, neue Heizungen, Gebäudesanierung und Elektromobilität. Das ist der energiepolitische Handwerkskasten der kommenden Jahre. Und jeder Fachpolitiker sieht sofort: Diese Instrumente setzen nur langsam ein und wirken auch nicht von heute auf morgen. Darum mussten CDU, CSU und FDP sich zu einem Abbau der Kohlekapazität um „drei bis fünf Gigawatt“ bis 2020 durchringen. Dieser Teilausstieg ist weit mehr als das, was bisher im politischen Raum verhandelt wurde und wird bei potenziellen Energie-Investoren genau wahrgenommen werden.
Auch wenn die Grünen sich mit dem Abschalten von „acht bis zehn Gigawatt“ Kohleverstromung nicht durchsetzen konnten: Insgesamt ist Bewegung in die Kohlediskussion gekommen. Auch die Notwendigkeit, den Strukturwandel in Lausitz und westdeutschen Revieren zu unterstützen, ist politisch anerkannt worden. Im Koalitionsvertrag NRW ist hier noch die Rede davon, dass Kohlekraftwerke „als Brückentechnologie auf absehbare Zeit unverzichtbar“ seien. Da versprach man den Wählern noch, dass sich nichts ändern müsse.
Und nach den so unbefriedigend verlaufenen Ausschreibungen mit „so genannten Bürgerenergiegesellschaften“ haben CDU/CSU, FDP und Grüne gemeinsam erkannt, dass das EEG dringend überarbeitet werden muss. Und zwar so, dass die ausgeschriebenen Projekte auch tatsächlich umgesetzt und in allen Teilen Deutschlands ermöglicht werden. Das unterschreibt jetzt selbst die FDP.
Einzelne Parteien können wohl die Sondierungsgespräche mit lautem Türen-Schlagen und Theaterdonner verlassen. Aber „wer rausgeht, muss auch wieder reinkommen“, pflegte Herbert Wehner zu sagen. Der im Ergebnispapier sichtbare Minimalkonsens ist ein energiepolitischer Schritt in die richtige Richtung. Dahinter werden sich die Parteien auch in einem möglichen Neuwahl-Wahlkampf nicht mehr zurückziehen können.
Prof. Dr. Martin Maslaton der Maslaton Rechtsanwaltsgesellschaft GmbH Leipzig ist Fachanwalt und zudem Professor für das Recht der Erneuerbaren Energien an der TU Chemnitz.