Standpunkte Wie das europäische Emissionshandelssystem reformiert werden kann

An welchen Parteien scheitert eigentlich der Versuch, aus dem europäischen Emissionshandel ein Instrument zu machen, das dem Klima nützt, fragt sich die Geschäftsführerin des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel in ihrem Standpunkt.

von Sonja Peterson

veröffentlicht am 24.09.2018

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In Zusammenhang mit dem Klimaabkommen von Paris hat die Europäische Union sich verpflichtet, ihre Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 bis 2030 um mindestens 40 Prozent zu senken. Das europäische Emissionshandelssystem (EU-EHS), das rund 45 Prozent der EU-Treibhausgasemissionen abdeckt, ist das wesentliche Instrument, um dieses Ziel durch die Bepreisung von Emissionen kosteneffizient zu erreichen. Fast alle Parteien unterstützen marktwirtschaftliche Instrumente (CDU/CSU) beziehungsweise möchten explizit das EU-EHS als zentrales Klimaschutzinstrument weiterentwickeln (SPD), reformieren (GRÜNE), stärken (FDP) oder es zumindest beibehalten (DIE LINKE).


Während die durch das EU-EHS gesteckten Emissionsziele erreicht wurden, zeigen die seit Jahren extrem niedrigen Zertifikatpreise um fünf Euro pro Tonne Kohlendioxid (CO2), dass diese Ziele alles andere als ambitioniert waren. Mit der Erreichung der Ziele von Paris, zu denen sich bis auf die AfD alle Parteien bekennen, stehen die EU-EHS Ziele nicht in Einklang. Bereits mittelfristig sind dafür sehr viel stärke Reduktionen notwendig.


Mindestpreise könnten die Lösung sein


Die EU-EHS Ziele mögen der Angst vor negativen Wettbewerbseffekten geschuldet sein, es fehlen aber Mechanismen zur flexiblen Zielanpassung. Seit 2014 ringen EU-Kommission, EU-Parlament und EU-Rat mit einer Reform des EU-EHS. Die vorgeschlagenen Anpassungen gehen in die richtige Richtung, gewährleisten aber nicht, dass das EU-EHS durch Preissignale genügend Impulse für den notwendigen technologischen und strukturellen Wandel setzt. Der einfachste Weg dies sicherzustellen wären Mindestpreise.


Mindestpreise verbinden die Vorteile einer Mengensteuerung (durch ein Emissionshandelssystem) und einer Preissteuerung (wie einer Emissionssteuer) und haben zum Beispiel in Kalifornien ihre Praxistauglichkeit bewiesen. Sie sind kein ungerechtfertigter Eingriff in den Markt (wie es die FDP sieht), sondern als Instrument der Zertifikatmengensteuerung vergleichbar mit der Geldmengensteuerung zur Gewährleistung makroökonomischer Ziele. Der Markt für Emissionen wurde geschaffen, um den Klimaschutz voranzubringen. Er sollte so ausgestaltet werden, dass er diesem Ziel optimal dient. Die „High Level Commission on Carbon Prices“ hält zwischen 35 und 45 Euro pro Tonne CO2 für den Zeitraum von 2020 bis 2030 für die Untergrenze, um die Paris-Ziele zu erreichen. Es sei nicht unwahrscheinlich, dass 70 bis 85 Euro pro Tonne CO2 notwendig sind. Hiervon wird das EU-EHS auch durch die diskutieren Anpassungen weit entfernt sein.


Was wollen die Parteien beim Emissionshandel?


SPD, Grüne und FDP unterstützen in ihren Wahlprogrammen prinzipiell eine Reform des EU-EHS. Die SPD möchte dabei Mindestpreise nur implementieren, wenn andere Reformen nicht wirken (wohl in dem Sinne, dass sie nicht zu höheren Preisen führen). Bei den Grünen stehen höhere Zertifikatspreise im Mittelpunkt, ein Mindestpreis wird explizit befürwortet. Hiermit in Verbindung steht die ebenfalls von den Grünen geforderte dauerhafte Löschung von Zertifikaten, die im Rahmen der Reformvorschläge der EU kontrovers diskutiert wird – und die sicherlich vorteilhaft wäre. Eine Löschung wird auch von den Linken gefordert. Die FDP lehnt Mindestpreise ab. Sie möchte auch mit den Erlösen aus der Versteigerung der Emissionszertifikate keine Subventionstöpfe füllen. Dazu ist zu sagen, dass es sicher viele abzulehnende verzerrende Subventionen gibt, aber es durchaus sinnvoll ist, die Einnahmen zu nutzen um klimafreundliche Investitionen und Wachstum zu unterstützen. Dies betont nicht nur die erwähnte High Level Commission, sondern auch die T20 Task Force zu Klimapolitik und Investitionen, an der das IfW mitgewirkt hat.


Eine Ausweitung des EHS oder allgemein der Bepreisung von Emissionen, die sicherlich neben Mindestpreisen sehr sinnvoll ist, unterstützen sowohl die FDP (die die Sektoren Wohnen und Verkehr in den Emissionshandel einbinden möchte), also auch die Grünen, die allgemein eine „ehrliche CO2-Bepreisung auch außerhalb des Emissionshandels“ fordern. Darüber hinaus fordert die FDP sinnvollerweise einen weltweiten Preis für CO2 und die Kooperation mit anderen Emissionshandelssystemen. Die Grünen wollen die Handelspolitik nutzen, um internationale CO2-Minderungsziele zu unterstützten. Die SPD schließlich möchte sicherstellen, dass unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen im Klimaschutz berücksichtigt werden. Eine konsequente Art dies zu tun, könnte ein Preiskorridor im EU-EHS sein. Allerdings ist bislang nicht abzusehen, dass es zu hohe Preise geben könnte, weshalb die Mindestpreise Priorität haben sollten.


Fazit: Es ist positiv, dass alle wesentlichen großen Parteien marktwirtschaftliche Instrumente – und damit vor allem die Bepreisung von Emissionen – befürworten. Diese sollte in der EU und darüber hinaus ausgebaut werden, wobei nur genügend hohe Preisniveaus gewährleisten können, dass die Weichenstellungen für das Paris-Ziel gestellt werden. In der EU ist hierzu eine Reform des EU-EHS notwendig, deren verschiedene sinnvolle Elemente in unterschiedlichem Maße von den Parteien aktiv unterstützt werden. Wünschenswert wäre dabei vor allem die Einführung eines Mindestpreises, der bis 2030 zumindest etwa 40 Euro pro Tonne CO2 erreicht.


Was die Parteiprogramme im einzelnen sagen:


CDU/CSU: Wir lehnen dirigistische staatliche Eingriffe in diesem Bereich ab und setzen stattdessen auf marktwirtschaftliche Instrumente. (keine explizite Nennung von EU-ETS).


SPD: Den europäischen Emissionshandel werden wir so weiterentwickeln, dass er seine Funktion als zentrales Klimaschutzinstrument erfüllen kann. Sollte dies nicht zu erreichen sein, werden wir Verhandlungen für die Vereinbarung von CO2-Mindestpreisen auf europäischer Ebene aufnehmen. Dabei werden wir unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen im Klimaschutz berücksichtigen und „Carbon-Leakage“ verhindern.


FDP: … Zudem sind gemeinsame europäische Klimaziele festgelegt. Das heißt, dass jede Tonne in Deutschland zusätzlich gespartes CO2 in anderen europäischen Ländern zusätzlich ausgestoßen werden kann. Alleingänge Deutschlands in der Klimapolitik sind also ökologisch wirkungslos. Daher müssen die Klimaziele Deutschlands wieder an die gemeinsamen europäischen Ziele angeglichen werden. Der EU-Emissionshandel als marktwirtschaftliches Steuerungsinstrument


zur kosteneffizienten Vermeidung von Emissionen muss gestärkt aus der bevorstehenden Reform hervorgehen und auf weitere Sektoren (zum Beispiel Wohnen und Verkehr) ausgedehnt werden. Wir Freie Demokraten wollen mit dem Emissionshandel als zentralem Steuerungsinstrument im Klimaschutz die Innovationskraft der Märkte nutzen, zunächst in der EU, so schnell wie möglich weltweit. Bessere Impulsgeber für klimafreundliche Innovationen sind ein weltweiter Preis für CO2-Emissionen, langfristig verlässliche Emissionsziele und unternehmerische Flexibilität beim Handel mit den Emissionszertifikaten. Deshalb wollen wir als ersten Schritt den EU-Emissionshandel durch eine Ausweitung auf weitere Sektoren stärken und damit fit für zukünftige Kooperationen mit anderen internationalen Emissionshandelssystemen machen. Allerdings brauchen globale Wirtschaftsbereiche wie Schifffahrt und Luftverkehr auch globale Vereinbarungen. Gleichzeitig lehnen wir Eingriffe in die Preisbildung am Markt für Emissionszertifikate wie etwa Mindestpreise ab. Mit den Erlösen aus der Versteigerung der Emissionszertifikate sollen keine Subventionstöpfe gefüllt werden.


Grüne: Der EU-Emissionshandel muss reformiert werden, damit der Ausstoß von Klimagasen wieder echtes Geld kostet. Hierfür müssen überschüssige CO2Zertifikate dauerhaft gelöscht und die kostenlose Zuteilung von Zertifikaten beendet werden.


Durch einen gesetzlichen CO2-Mindestpreis und eine ehrliche CO2-Bepreisung auch außerhalb des Emissionshandels sorgen wir dafür, dass sich Investitionen in Klimaschutz betriebswirtschaftlich lohnen und planbarer werden.


In der Handelspolitik müssen CO2-Minderungsziele eine Voraussetzung für neue Abkommen sein. Dafür wollen wir noch stärker mit ambitionierten Staaten und auch US-Bundesstaaten wie Kalifornien zusammenarbeiten – wie es das grün regierte Baden-Württemberg in seiner Klimaallianz bereits vormacht. (=> das kann man ja auch im Hinblick auf Emissionshandel interpretieren, daher habe ich das reinkopiert).


Die Linke: Menschen und Natur vor Profiten. Umweltschädliche Subventionen wollen wir beenden. Deshalb muss Deutschland seinen Beitrag dazu leisten, die weltweite Erderwärmung  deutlich unter zwei Grad, möglichst auf 1,5 Grad, zu begrenzen. Wir wollen, dass die Bundesrepublik den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2020 um 40 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 verringert, bis 2030 um 60 Prozent und bis 2050 um 95 Prozent. Die genannten Ziele müssen in einem Klimaschutzgesetz festgeschrieben werden. Der Klimaschutzplan 2050 der Bundesregierung muss darüber hinaus den Ambitionen des UN-Klimaschutzabkommens von Paris entsprechend verschärft und mit wirksamen Maßnahmen untersetzt werden. Die Umsetzung der universellen UN-Agenda 2030 und der darin formulierten »17 Nachhaltigkeitsziele « muss die Verantwortung des Nordens verstärkt ins Zentrum rücken. Hin zu erneuerbaren Energien, Energieeffizienz, ökologischer Mobilität und Klimaschutz. Im Gegenzug sollen ungerechtfertigte Industrierabatte bei Ökosteuer, Netzentgelten, Emissionshandel und im Erneuerbare-Energien-Gesetz entfallen. Sie verhindern den notwendigen Strukturwandel: Wir wollen einen zügigen und sozial abgefederten Ausstieg aus der Kohlestromversorgung. Der EU-Emissionshandel hat hier versagt. Drei Milliarden überschüssige CO2- Zertifikate haben das Emissionshandelssystem untergraben, sie müssen stillgelegt werden

Sonja Peterson ist Umweltökonomin und Geschäftsführerin am Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel.

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