Standpunkte Wie die Verkehrswende doch noch gelingt

Standpunkt InnoZ-Chef Andreas Knie
Standpunkt InnoZ-Chef Andreas Knie Foto: InnoZ

Der Rückzug gleich mehrerer Anbieter von elektrischem Carsharing aus Berlin ist ein schlechtes Zeichen. Die Rahmenbedingungen für die Energie- und Verkehrswende sind denkbar schlecht. Doch ein Neustart ist möglich.

von Andreas Knie

veröffentlicht am 09.10.2017

aktualisiert am 16.11.2018

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Seit vergangener Woche wissen wir, dass Citroen Deutschland das Angebot „Multicity Carsharing“ in Berlin außer Dienst stellt. Von den mehr als 350 Fahrzeugen sind 250 batterieelektrische Autos, immerhin eine der größten E-Flotten in Berlin. Ebenfalls eingestellt wird der Dienst „Emil“, ein Carsharing-Angebot mit elektrischen Fahrzeugen, das von der Salzburg AG gemeinsam mit Rewe in Österreich betrieben wird. Hatte die Deutsche Bahn AG mit „Flinkster“ im Jahr 2014 noch mehr als 100 elektrische Autos im stationären Carsharing verfügbar, sind es im Herbst 2017 noch gerademal eine Handvoll. Von anderen Carsharing- oder Mietwagenanbietern hört man Ähnliches. Man möchte die bestehende Flotte eher herunterfahren als aufbauen, neue E-Fahrzeuge will man eigentlich gar nicht mehr anschaffen.


Elektrische Autos im Carsharing, mit grünem Strom betrieben, sind so etwas wie das Kernstück der Energie- und Verkehrswende. Fortschrittliche Antriebstechnologien verbinden sich mit einer nachhaltigen Nutzung eines Autos. Wenn man noch bedenkt, dass Mitglieder von stationären, aber auch von flexiblen Carsharing-Anbietern deutlich mehr den öffentlichen Nahverkehr nutzen, dann kann man sagen, besser geht es eigentlich nicht. Und die Nutzer machen auch noch mit: Die Angebote werden angenommen. Die Kilometerleistungen sind gegenüber den herkömmlichen Fahrzeugen deutlich geringer, was nicht nur an der vergleichsweise geringeren Reichweite liegt, und die Fahrzeugschäden bleiben deutlich unter denen von Verbrennerfahrzeugen, man fährt vorsichtig. Es könnte alles so schön sein.


Doch es rechnet sich für die Betreiber nicht. Nicht mal im Ansatz, und auch die Forschungsförderungsmaßnahmen, die in den Anfangsjahren noch einige Kosten kompensieren konnten, reichen nicht aus. Es sind die rund ein Drittel höheren Anschaffungskosten der Fahrzeuge, sowie die rund ein Drittel höheren Bereitstellungskosten sowie der rund ein Drittel geringere Umsatz pro Fahrzeug, die eine wirtschaftliche Perspektive verhindern. Was aus energie- und verkehrspolitischer Perspektive so wünschenswert ist, kann von Unternehmen nicht realisiert werden. Es ist damit zu rechnen, dass Ende nächsten Jahres praktisch alle E-Fahrzeuge aus dem Carsharing wieder verschwinden. Jedenfalls unter den augenblicklich herrschenden Umständen.


Elektrisches Carsharing derzeit nicht rentabel zu betreiben


Das elektrische Carsharing zeigt das augenblickliche Dilemma der Verkehrs- und Energiewende. Bislang sind im praktischen Alltagsleben zwar Ansätze erkennbar, bei der Stromversorgung ein bisschen mehr, beim Verkehr eher ein bisschen weniger: Was Unternehmen und Behörden bisher praktizieren, sind nicht mehr als symbolische Handlungen. Wie könnte es auch anders sein. Unser ganzes Gesetzeswerk, unsere gesamte Anreiz- und Förderhydraulik, alles was der Staat im Bereich Verkehr tut, ist auf die private Aneignung des Verbrennungsfahrzeuges ausgerichtet. Von der Einkommensteuer über die Straßenverkehrsordnung bis zur Parkraumbewirtschaftung: Es sind alles Maßnahmen, die den privaten Kraftwagen fördern und gegenüber allen anderen Verkehrsmitteln privilegieren. Ein bisschen Forschungsförderung reicht da nicht aus. Das Beispiel elektrisches Carsharing zeigt es: unter den gegebenen Bedingungen nicht auskömmlich zu betreiben.


Was uns langsam dämmert, ist die Erkenntnis, dass die Änderung im Antriebsstrang in Verbindung mit einer Deckelung und sogar langfristigen Reduzierung der Fahrzeugflotten nicht im Rahmen einer gerichtsfesten Verwaltungsroutine zu machen ist. Wir haben aber immer noch die Wahl. Wir machen einfach so weiter wie bisher und kündigen den Plan der Energie- und Verkehrswende einfach auf oder verschieben diesen auf 2080 oder aber wir starten – jetzt!


Dafür müssen aber so gut wie alle Gesetze, die den öffentlichen Raum betreffen, geändert werden. Das produziert Unsicherheit und Angst und wird daher von den gewählten Vertretern der Exekutive nicht gerne gemacht. Die schwarz-rote Regierungskoalition hat sich mit Veränderungen herumgeplagt. Beim Personenbeförderungsgesetz hat sie gar nichts geändert. Beim Energiewirtschaftsgesetz und dem Erneuerbare-Energien-Gesetz hat sie die Macht des Bundes gegenüber zivilen Akteuren eher noch gestärkt und dadurch Veränderungen abgewürgt. Beim Elektromobilitäts- und Carsharing-Gesetz ist sie über unverbindliche Anregungen an die Länder nicht hinausgekommen. Da muss man klar feststellen: Unter den gegebenen Bedingungen ist ein Wandel, eine Transformation der Gesellschaft gar nicht möglich, weil in einer parlamentarischen Demokratie der Wandel, die Veränderung einfach nicht mehrheitsfähig ist.


Regulatorische Experimentierräume


Es handelt sich bei der Energie- und Verkehrswende um eine Hypothek auf die Zukunft, von der viele nicht wissen, ob man sie tatsächlich einlösen kann. Da hilft es auch nicht, auf das Ruhrgebiet oder den Braunkohletagebau als Beleg dafür zu verweisen, dass wer sich nicht wandelt, einfach von anderen gewandelt wird. Und es hilft auch nicht, auf große Teile der neuen Bundesländer mit dem Argument zu schielen, dass die komplette Verweigerung auch keine Alternative ist, die sich lohnt. Mehrheitlich möchten wir doch, dass alles so bleibt wie es war.


Wir brauchen also Änderungen in verarbeitungsfähigen Häppchen.  Am besten wäre es, wenn man etwas probieren darf, dabei aber jederzeit wieder zurück an den Ausgangspunkt gelangen kann. Regulatorische Experimentierräume sind das Zauberwort. Zeitlich und auch örtlich abgegrenzte Spielwiesen, in denen alle mal üben können wie das wäre, wenn keiner mehr ein Verkehrsgerät besitzen müsste, dennoch alle jederzeit und alles sofort bekommen könnten, alles mit erneuerbaren Energien betrieben und mit jeder Menge Platzgewinn verbunden wäre. Der Raum kann ein Viertel, ein Kiez oder eine ausgedehnte Nachbarschaft oder auch ein größeres Gebiet sein, ganz nach Belieben der Mitmachenden.


Wenige Ausnahmen für Verbrennerfahrzeuge


Wichtig ist, dass alle bei der temporären Regeländerung dabei sind. Dieser Experimentierraum wäre dann eine Art „Living Lab“, in dem Anbieter nicht auf dem Werksgelände oder im Forschungslabor, sondern unter Echtbedingungen wirklich einmal testen könnten, ob das alles so funktioniert und ob das alles auch für alle dienlich und tatsächlich nachhaltig ist. Eine Verkehrskultur würde sich gleichsam spielerisch einstellen – oder eben auch nicht. Solche regulatorischen Experimentierräume könnten alles umfassen. Nahezu jedes Gesetz hat die dafür passenden Klauseln, die man – unter Beachtung des Allgemeininteresses – für einen befristeten Zeitraum ziehen kann. Denken lässt sich dabei vieles: keine privaten Fahrzeuge, nur noch E-Autos im Sharingmodus, Menschen nehmen andere einfach mit – auch gegen Entgelt. Parkende Autos gibt es nicht mehr, dafür viel Platz für das Radfahren, und die Zustellung von Paketen und anderen Dingen wird ausschließlich mit dem Lastenrad erledigt. Es muss alles bezahlt werden, aber es rechnet sich für die Betreiber, weil sich die Regeln geändert haben und Verbrennerfahrzeuge weder im Personen- noch im Wirtschaftsverkehr – abgesehen von genau definierten Ausnahmefällen – zugelassen sind.


Jedenfalls haben wir uns bislang viel zu viel mit technischen Problemen, mit möglichen wirtschaftlichen Szenarien, Zahlen, Daten und vermeintlichen Fakten herumgeschlagen. Was fehlt ist ein politischer Plan zur Realisierung der Energie- und Verkehrswende, die Einführung von regulatorischen Experimentierräumen könnte ein erster Baustein dazu sein.

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