Tagesspiegel Background: Herr Wildberger, alle reden über die Digitalisierung der Energiewelt. Wie smart ist eigentlich Ihr Home?
Wildberger: Mein Haus wird zunehmend smarter, und ich teste sehr viel. Licht und Musik steuere ich mit dem „Echo“ von Amazon und per Smartphone-App. Solaranlage, Stromspeicher, Brennstoffzellenheizung sind in Planung, aber noch nicht umgesetzt.
Die Kunden werden aktiver, viele stellen als Prosumer selbst Strom her. Wie geht Eon mit den geänderten Bedürfnissen um?
Energie wird als Produkt immer interessanter. Wir helfen Kunden, passende Lösungen für sie zu finden – z.B. mit der Eon-Solar- und Speicherlösung Aura, oder wie in Schweden, wo unsere Kunden Energie aus einem Wind- und Solar-Portfolio wählen können. In Großbritannien bieten wir Kunden ein Stromprodukt mit Preissicherheit – der Kunde profitiert automatisch von positiven Preisentwicklungen am Markt.
Das heißt, die Stromtarife sind zeitlich flexibel?
Das ist noch Zukunftsmusik, wird aber kommen – auch in Deutschland. Dann können Sie die Waschmaschine laufen lassen, wenn der Strompreis niedrig ist. Bleibt aber immer noch die Frage, wer die Maschine befüllt.
Wie verändert sich die Kundenbeziehung noch?
Durch die Digitalisierung geht alles viel schneller und wird gleichzeitig persönlicher zugeschnitten. Zudem wird Energie zunehmend zu einem emotionalen Produkt. Wir haben eine Riesennachfrage nach Photovoltaik-Anlagen und Stromspeichern. Dabei spüren wir zunehmend, dass viele Kunden ihre Energieversorgung selbst in die Hand nehmen wollen. Sehr stark wachsen wir auch bei Geschäfts- und Industriekunden. Denen geht es nicht nur um Kosten. Viele haben auch einen CO2-Einsparungsplan. In Großbritannien beispielsweise haben wir fast alle großen Einzelhändler an ein Energiemanagementsystem angeschlossen, mehr als 10.000 Filialen. In der Zentrale können wir einzelne Kühlaggregate überwachen und sicherstellen, dass die Pizza nicht auftaut. Für die Hotelkette Radisson bauen wir Brennstoffzellen zur Strom-, Wärme- und Kälteversorgung – zunächst in Frankfurt. In der Automobilzuliefererindustrie haben wir Gesamtlösungen geschaffen, von Strom über Licht, Wärme, Kälte bis zu Dampf. Die Energieeinsparungen liegen bei 30 bis 40 Prozent, die CO2-Reduktion bei oft mehr als 70 Prozent. Ähnliches machen wir für Procter & Gamble und viele andere Großunternehmen.
Eon hat ja auch ein Innovationszentrum namens Agile. Welche Erfolge hat das bisher?
Innovation findet bei uns auf verschiedenen Feldern statt. Wir haben insgesamt vier Innovationssäulen: Da gibt es Innovation, die sehr nah am Kerngeschäft liegt, zum Beispiel beim Hochleistungsladen von Elektroautos. Zweitens haben wir einen Bereich, der in Start-ups investiert, etwa in Kite-Segel, die in mehreren Hundert Metern Höhe Strom generieren, oder in den vielversprechenden Heizungsbauer Thermondo, der Kunden online hilft, eine neue Anlage passgenau zu planen und preiswert umzusetzen. Bei Agile schließlich bieten wir unseren Mitarbeitern die Möglichkeit, eigene Start-ups zu gründen. Die durchlaufen einen Auswahlprozess mit ihren Ideen. Wenn sie den geschafft haben, bekommen sie drei Monate lang von uns Unterstützung, um ihre Idee zu testen. Agile“ ist aber auch offen für Leute mit guten Ideen, die nicht bei Eon arbeiten, etwa von Universitäten. Wenn die Testphase erfolgreich war, können die Start-ups in einem Inkubator die nächste Stufe zünden, um marktreif zu werden. Die vierte Innovations-Säule sind Kooperationen, zum Beispiel mit der RWTH Aachen am Eon Research Center. Mehrere Lehrstühle arbeiten an Themen wie Stromnetze der Zukunft oder hocheffiziente Wärmelösungen. All das ist auf unserem Innovationsradar, wo wir nach Reifegrad und Potenzial differenzieren, so dass wir keine Chance ungenutzt lassen.
Und die Erfolge?
Daraus ist zum Beispiel unser neues Angebot Sun Roof mit Google entstanden, das seit etwa zwei Monaten auf dem Markt ist. Da können wir jedem Kunden per Online-Rechner und mit Hilfe von Google-Satellitenbildern und Wetterdaten ziemlich exakt sagen, wie hoch die Ausbeute einer Solarstromanlage auf seinem Dach sein wird. Die Daten sind so genau, dass wir auch Verschattungen durch einzelne Bäume berücksichtigen können. Schauen wir auf E-Mobilität: Wir haben sehr leistungsfähige Ladesäulen mit einem interaktiven Display eingeführt, auf dem andere Unternehmen Werbung schalten können. Die Nachfrage ist groß.
Ein großes Thema ist auch die Blockchain. Wie schätzen sie diese Technologie ein?
Sie hat großes Potenzial. Sie hat den Vorteil, dass sie Transaktionen zwischen Nutzern eins zu eins ohne Mittler sehr sicher abbilden kann. Das sehen Sie bei der Cyber-Währung Bitcoin, aber eben auch in der Energiewirtschaft. Ein Kunde kann direkt einem anderen Strom verkaufen, ohne ein Unternehmen als Mittler dazwischen zu schalten. Wir haben ja schon eine Beteiligung an GreenXMoney, einem Unternehmen, bei dem Kunden sich an einem Windpark beteiligen können. In einem nächsten Schritt könnten wir über die Blockchain ermöglichen, dass Kunden ihren Strom direkt aus „ihrem“ Park beziehen oder vermarkten. Dazu sind aber noch regulatorische Fragen zu klären.
Welche Rolle bleibt dann noch für den klassischen Energieversorger?
Eine andere als bisher, denn wir entwickeln uns ja gerade vom klassischen Versorger zum Partner unserer Kunden. Dabei spielen auch unsere regionalen Netze eine wichtige Rolle. Deren Management und deren digitale Weiterentwicklung sind unverzichtbar für das Funktionieren des modernen Energiesystems, das immer dezentraler wird und in dem immer mehr Kunden ihren eigenen Strom produzieren. Außerdem entwickeln wir für unsere Kunden Energieangebote, an die sie heute noch gar nicht denken. Nur ein Beispiel: Mit unserer Solar Cloud speichern die Kunden ihren überschüssigen Photovoltaik-Strom ein und haben quasi ein zeitlich und räumlich unabhängiges Stromguthaben. Sie können dann zum Beispiel nach Berlin fahren und dort ihren zuvor zuhause selbst produzierten Strom für ihr E-Auto tanken. Da stellen wir also einen Service zur Verfügung. Auch im industriellen Bereich verdienen wir unser Geld nicht nur mit der klassischen Versorgung mit Strom und Gas, sondern zunehmend mit effizienten Energielösungen und Einsparungen für die Kunden.
Jetzt hat ja ein kleinerer Anbieter wie Sonnen gemeinsam mit dem Netzbetreiber Tennet ein Blockchain-Projekt gestartet. Sind die agiler als Eon?
Ich habe Respekt vor Sonnen. Das ist auch ein innovatives Unternehmen. Unseren Wettbewerb und deren Projekte sehen wir uns natürlich an. Ich bin aber sicher: Vom Tempo her kann Eon mit allen Wettbewerbern mithalten, egal, ob sie klein oder groß sind.
Bisher ist der Rechtsrahmen noch nicht auf die Blockchain ausgelegt. Was muss sich ändern?
Daten und Recht sind grundsätzlich ein Thema, nicht nur wegen Blockchain. Wenn Sie heute neue Produkte ausrollen, geht es immer um Daten. Durch die Sensoren haben Sie unendliche Möglichkeiten, zu optimieren und zu lernen – in Echtzeit. Wir müssen in Deutschland ein besseres Gleichgewicht finden zwischen Einzelschutz und Nutzen. Dass Daten sicher sein müssen – etwa vor Hackern – und dass die Privatsphäre von Menschen geschützt werden muss, ist 100 Prozent klar. Aber andere Länder finden da eine bessere Balance. Wir müssen europäisch denken: Wenn ich Kunden in Schweden habe, muss ich derzeit deren Daten physisch in einem Rechenzentrum in Schweden vorhalten. Warum finden wir hier nicht eine europäische Lösung?
Um mehr Geschäft zu ermöglichen?
Ja, auch das. Aber in erster Linie, um Kunden größeren Nutzen bieten zu können. Ich glaube, dass Regulierung nicht versuchen sollte, in allen Details perfekt zu sein. Wir sollten uns auf die Grundprinzipien einigen, etwa Sicherheit, aber uns nicht im Klein-Klein verlieren. Sonst fällt Deutschland im Wettbewerb mit anderen Ländern zurück.
Eon ist ja auch in der E-Mobilität aktiv. Geht es da jetzt voran?
Wir sind da ja noch nicht so lange aktiv. Aber was wir in kurzer Zeit erreicht haben, ist enorm. In Dänemark betreiben wir ein voll funktionsfähiges Netz mit mehr als 2000 Ladepunkten allein in Kopenhagen. Wir haben einen großen Ehrgeiz beim Hochleistungsladen mit 150 Kilowatt Leistung oder sogar 350 Kilowatt. Wir statten in Osteuropa ganze Trassen mit Hochleistungsladesäulen aus, in Tschechien, Ungarn und Rumänien. Wir sind in Deutschland aktiv, in Skandinavien, Italien, Großbritannien. Dafür braucht man Energiekompetenz. Wir haben aber auch Partner, etwa den Autovermieter Sixt oder Wohnungsgesellschaften, um den Menschen zuhause Angebote zu machen.
Warum sind Sie in Kopenhagen so aktiv und nicht in Berlin oder Hamburg?
Eon hat seinerzeit das Unternehmen Better Place von Shai Agassi übernommen. Da lag der Schwerpunkt in Kopenhagen. Man muss aber auch sagen: Die Skandinavier sind grundsätzlich sehr technologieaffin, sowohl was die Digitalisierung angeht als auch die E-Mobilität. Es ist stärker eine „Sharing Community“. Da kann man viel lernen.
Und was passiert in Deutschland?
Wir sind mit allen großen Autoherstellern in Gesprächen. Und wir haben eine Kooperation mit dem skandinavischen Unternehmen Clever im Bereich Hochleistungsladen. Wir arbeiten auch mit Kommunen zusammen. Insgesamt haben wir in kürzester Zeit Zahlen erreicht, die uns in eine gute Marktposition bringen.
Gibt es konkrete Beispiele für Sektorkopplung bei Eon?
Die Elektromobilität ist natürlich ein entscheidendes Zukunftsfeld für die Sektorkopplung. In Schweden sind wir führend bei Nah- und Fernwärmenetzen, etwa in Malmö – mit hocheffizienten Lösungen. Auch im industriellen Bereich haben wir einige Wasserstoff- und Power-to-Gas-Projekte laufen.
Sie haben bei Telstra in Australien gearbeitet. Was haben Sie aus der Telekommunikationsbranche mitgebracht, das Sie jetzt bei Eon anwenden können?
Industrien und Unternehmen, die nicht innovationsfreudig sind, werden auf Dauer im Wettbewerb nicht bestehen können. Die Telekommunikationsbranche ist sehr wettbewerbsintensiv, da wird um jeden Kunden gekämpft. Technologie verstehen, sie in Produkte umsetzen und an den Markt bringen – das ist sehr ähnlich zur Energiebranche. Die Energiewende wäre ja nicht möglich ohne innovative Technologie. Die Erneuerbaren sind zwar volatil, aber technisch absolut konkurrenzfähig. Die Energiewelt wird viel dezentraler. Die Verteilnetze werden immer intelligenter, um die vielen kleineren Erzeugungsanlagen und Speicher aussteuern zu können. Sensorik, Digitalisierung, das ermöglicht Wachstum. Das habe ich auch aus Australien mitgebracht: Die Menschen dort denken sehr stark an Wachstum, weniger an Limitierung. Wir brauchen mehr Begeisterung für Neues in Deutschland und Europa und mehr Geschwindigkeit.
Apropos Australien: Stimmt es, dass Sie Ihr erstes Gespräch mit Eon-Chef Johannes Teyssen über Skype geführt haben?
Ja, das war ein Video-Call per Tablet. Da ging es aber um inhaltliche Fragen, wie andere Unternehmen Produkte entwickeln oder Kundenorientierung leben, wie sie Innovation und Digitalisierung nutzen. Ein Job-Interview war das nicht, aber es stimmt: Mit Hilfe von digitaler Kommunikation haben wir uns kennen gelernt.
Wenn Sie Australien mit Deutschland vergleichen: Nehmen Sie die deutschen Energiemanager als technologiefeindlich wahr?
Nein, überhaupt nicht. Und eine so generelle Einschätzung halte ich für falsch. Schon bei meinem Start vor gut einem Jahr habe ich festgestellt, dass sich Eon extrem mutig den neuen Herausforderungen und Technologien stellt. Auch die Aufspaltung des Unternehmens war nicht nur mutig, sondern auch technologiefreundlich: Eon stellt sich der Realität und vor allem der Zukunft. Kultur und Arbeitsweisen im Unternehmen verändern sich auch. In allen großen IT-Projekten zum Beispiel arbeiten wir nicht von oben nach unten mit langen und traditionellen Entwicklungsmethoden, sondern haben auf eine sehr agile und moderne Arbeitsweise in gemischten Teams mit schneller Planung und Umsetzung umgestellt. So ein Tempo habe ich woanders selten gesehen.
Das Interview führten Jens Tartler und Nora Marie Zaremba.