Rund 90 Kilometer Autobahn liegen vor uns: von meiner Wahlheimat Aachen bis in die Landeshauptstadt Düsseldorf. An diesen neunzig Kilometern lässt sich vieles skizzieren, was derzeit bei uns im Westen los ist. Welche Potenziale in NRW schlummern, was wir schon geschafft haben und wohin die Reise noch gehen kann – wenn man den Fuß von der Bremse nimmt.
Als ich meine politische Laufbahn begann, rauchten überall im Land die Schlote – Energiewende, Digitalisierung und E-Mobilität lagen noch in weiter Ferne. Für die einstündige Fahrt Aachen – Düsseldorf stieg man natürlich in einen Benziner oder Diesel. Gerne aus deutscher Produktion, etwa aus Wolfsburg oder Stuttgart. Daran hat sich jahrzehntelang nichts geändert. Bis jetzt. In Deutschland tobt der Dieselskandal und die ehrwürdigen deutschen Autobauer demontieren in Eigenregie diese Schlüsselindustrie Deutschlands. Man fragt sich schon lange, warum eigentlich, denn die Zukunft der Mobilität hat längst begonnen.
An unserem Startpunkt in Aachen macht der „Street Scooter“ schon seit
längerem viel Wirbel in der Automobilbranche. Die Ausgründung der RWTH
Aachen ist in aller Munde, wenn es um E-Transporter geht, die hier für
die Deutsche Post produziert werden. Denn die will bis spätestens 2050
emissionsfrei ausliefern. Dafür hat das Unternehmen gerade erst eine
Partnerschaft mit Ford verkündet. Gemeinsam will man Europas größter
Produzent von emissionsfreien E-Transportern werden. Bis zu 20.000 davon
sollen bald jährlich an zwei Standorten in NRW produziert werden.
Wohlgemerkt in Kooperation mit einem amerikanischen Autobauer. Von der
deutschen Autoindustrie wurde man in Aachen lange Zeit belächelt. Eine
weitere Ausgründung bringt den „e.GO-Life“ auf die Straße; einen
günstigen, kompakten Stromer mit ausreichend Reichweite für den
Stadtverkehr. Die Entwickler streben wie beim Scooter das emissionsfreie
Fahren an und weisen nachdrücklich darauf hin, dass dafür noch deutlich
mehr regenerativer Strom aus Solar- und Windenergie kommen muss. Denn
erst dann zeigt sich die E-Mobilität von ihrer besten Seite. Ein klarer
Fingerzeig der Start-Ups aus dem Westen.
Auch in Aachen konzentriert sich der Energieversorger Trianel ganz auf
die drei Megatrends im Energiesektor: Erneuerbare Energien,
Flexibilisierung und Digitalisierung. Die Digitalisierung gilt hier als
Schlüsselelement. Ob Energiedatenmanagement, Smart Metering,
Fernsteuerung von Erneuerbare-Energien-Anlagen – die dezentrale und
regenerative Energiewelt ist ohne intelligente und schnelle IT-Systeme
nicht denkbar.
Digitalisierung und Energiewende gehen also Hand in Hand. Aber nicht nur
bei der digitalisierten Energiewende. Auch die Granden des Internets
haben sich schon längst 100 Prozent Erneuerbare auf die Fahne
geschrieben. Apple ist mit 83 Prozent Anteil Spitzenreiter. Facebook
folgt mit 67, Google mit 56 Prozent. Ganze Solarfarmen und Windparks
betreiben die dominierenden Technikfirmen. Als Trump den Ausstieg der
USA aus dem Pariser Weltklimavertrag verkündete, stieß das auf großes
Unverständnis im Silicon Valley. Das sollte ein Fingerzeig an diejenigen
sein, die auf der einen Seite die Digitalisierung beschwören und auf
die deutschen Facebooks und Googles von morgen hoffen, aber auf der
anderen Seite eine Vollbremsung beim Ausbau der Erneuerbaren hinlegen.
Die Macher von morgen, auch jene aus dem „Rheinland-Valley“, setzen klar
auf Wind und Sonne.
Nachdem wir in unserem Stromer auf dem Weg nach Düsseldorf Aachen
verlassen haben, kommen wir nach etwa einer halben Stunde an Jülich
vorbei. Das gleichnamige Forschungszentrum arbeitet hier an den
Schlüsseltechnologien für morgen. Spitzenforschung auf höchstem Niveau
etwa zu Speichern und Photovoltaik. Auch am Campus Jülich der FH Aachen
beschäftigt man sich am Solar-Institut mit der Forschung und Entwicklung
der Solarenergie-Nutzung.
Neben der Windenergie ist die Solarenergie die Zukunftsenergie
schlechthin. Über 50 Prozent des gesamten Stromverbrauchs und über 100
Prozent des gesamten privaten Sektors in NRW könnten wir damit abdecken.
Dabei sind 95 Prozent der Dachflächen in NRW noch ohne PV-Anlage, was
geradezu fahrlässig ist! Daher irritiert es doch sehr, dass die
Photovoltaik mit keiner Silbe im Koalitionsvertrag erwähnt wird.
Möglichkeiten gäbe es genug: Die Landesregierung könnte sich etwa zur
Erleichterung von Investitionen und zum Abbau bürokratischer Hürden für
eine Optionsmöglichkeit für Unternehmen einsetzen: Wegfall der
EEG-Umlage auf selbst erzeugten Solarstrom und Wegfall der Stromsteuer.
Im Gegenzug Verzicht auf Förderung durch das EEG. Für viele Unternehmen
würde das den Einstieg in die solare Selbstversorgung erleichtern. Der
Solarmarkt würde angekurbelt und gleichzeitig das EEG-Konto entlastet.
Ohne einen massiven Ausbau der Solarenergie, gerade auch im gewerblichen
Sektor, können wir den drastisch ansteigenden Strombedarf im
Verkehrsbereich nicht abdecken. Denn so lobenswert das Engagement der
Bürgermeister für saubere Luft in ihren Städten auch ist: wie schon oben
erwähnt, macht die E-Mobilität nur mit regenerativem Strom Sinn.
Ansonsten verschieben sich nur die Emissionen von der Stadt zu den
CO2-Schleudern auf dem Land. Kohleverstromung löst das Problem nicht.
Das führt uns zu unserem letzten Streckenabschnitt.
Der Weg nach Düsseldorf führt jetzt im großen Bogen um die Krater-
und Mondlandschaft Garzweiler. Jahr für Jahr werden hier Millionen
Tonnen Kohle aus der Erde geholt, der „einzige heimische und
wettbewerbsfähige Rohstoff“ laut neuer Landesregierung. Wirklich? Sonne
und Wind gibt es zunächst zum Nulltarif. Davon auch ausreichend in NRW,
wie Potenzialstudien des Landes zeigen. Und die Preise, um daraus
nutzbaren Strom zu machen, fallen kontinuierlich. Strom aus Wind und
Sonne ist längst günstiger als aus fossilen Quellen. Von den externen
Kosten der Kohleverstromung, der CO2-Belastung, steigenden
Gesundheitskosten und der unwiederbringlichen Zerstörung des Naturraums
ganz zu Schweigen. Kritiker weisen an dieser Stelle gerne darauf hin,
dass sich unsere CO2-Bilanz gar nicht verbessert habe. Jenen rate ich
mal einen Blick auf die vermiedenen Treibhausgase durch die
Energiewende. Ohne Erneuerbare läge unser Treibhausgasausstoß laut BMWi
jährlich etwa 118 Millionen Tonnen höher – konservativ gerechnet.
Neben der Kraterlandschaft Garzweiler stehen zwar auch schon einige
Windenergieanlagen. Nach dem Willen der Landesregierung werden
allerdings keine neuen mehr hinzukommen. Denn nach derzeitigem Stand
werden schätzungsweise 90 Prozent der für die Windenergie geeigneten
Flächen mit den Plänen der Landesregierung wegbrechen. Die bundesweiten
Ausschreibungen erledigen vielleicht den Rest. Sollte nach der
Bundestagswahl auch noch an der Privilegierung der Windenergie im
Außenbereich gesägt werden, steht die Energiewende in NRW und im Bund
vor dem Aus. Von den Klimaschutzzielen können wir uns dann getrost
verabschieden. Ebenso von jährlich etwa einer Milliarde Euro
Investitionen und einem Teil von gut 18.500 Arbeitsplätzen am
Wirtschaftsstandort NRW – die Windenergie ist längst größter Investor in
Kraftwerkstechnik im Land. Das hat unlängst auch für Kritik 16 großer
Stadtwerke und Kommunalversorger im Land gesorgt, die Ihre
Geschäftsmodelle bereits an die Energiewende angepasst haben.
Nachdem wir Garzweiler hinter uns gelassen haben, kommen wir über den Rhein in die Landeshauptstadt. Hier am Düsseldorfer Rheinufer liegt vor uns die „Kathedrale der Kraftwerkstechnik“, das modernste Gaskraftwerk Deutschlands der hiesigen Stadtwerke: Hohe Wärmeauskopplung mit der Einbindung solarer Wärme und industrieller Abwärme und technisch in der Lage, später auch mit regenerativ erzeugtem Speichergas Spitzenlasten abzudecken. So sieht Energiezukunft in einem Ballungsraum aus.
In Düsseldorf wird aber auch entschieden, ob wir in diese
Energiezukunft, in ein erneuerbares, digitalisiertes, emissionsfreies
NRW durchstarten oder nicht.
Wir haben gesehen, dass die Energiewende längst eine große
wirtschaftliche und industrielle Dynamik entfaltet hat, die das Land
nach vorne bringt. Durch diese High-Tech-Produkte entstehen
Arbeitsplätze, Wertschöpfung und weltweit gefragtes Know-How –
angetrieben von neuer Energie. Es ist an der Politik, diese Entwicklung
in allen Bereichen zu fördern. Bei der Windenergie leitet Schwarz-Gelb
gerade eine Vollbremsung ein. Bei der Solarenergie, der Bioenergie, der
Wasserkraft und Geothermie findet die Koalition offenbar noch keinen
Gang. Bei der E-Mobilität soll es mit Vollgas vorangehen. Womit der Akku
lädt, wird dabei aber bisher noch außer Acht gelassen. Bei der
Digitalisierung schließlich wähnt man sich auf der richtigen Spur, nimmt
aber offenbar die Zeichen der Zeit nicht wahr.
Die guten Ansätze sind zwar da, aber die entscheidende Komponente für
eine stimmige Erfolgsstory im Westen fehlt. Dabei steht in NRW alles auf
„Go“: Energiewirtschaft, Stadtwerke und Kommunalversorger, die klugen
Köpfe an den Universitäten und Forschungseinrichtungen im ganzen Land,
die Autobauer der Zukunft und der industrielle Mittelstand, die Werkbank
NRWs. Nicht zuletzt die überwältigende Mehrheit der Bürgerinnen und
Bürger steht nach wie vor hinter der Energiewende.
Nehmen wir also endlich den Fuß von der Bremse!
Rainer Priggen ist Vorstandsvorsitzender des Landesverbands für Erneuerbaren Energien (LEE) in NRW.