Die neue Regierung hat sich formal sortiert, die Ministerien sind verteilt und die übliche Postenrotation abgeschlossen. Von Harmonie kann aber keine Rede sein. Was sich bereits im Koalitionsvertrag andeutete, ist spätestens seit der Kabinettsklausur in Meseberg offensichtlich: Bei vielen Inhalten sind die Koalitionspartner uneins, immer mehr Themen werden in Kommissionen verschoben, notwendige Entscheidungen kommen auf die lange Bank und manch eine nahe Landtagswahl motiviert zur harten Abgrenzung zwischen den Partnern. Ein Thema ist dabei fast komplett von der Prioritätenliste gerutscht: die Zukunft der Energiewende.
Die große Koalition plant diesbezüglich zwar eine Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“. Statt aber eine gemeinsame Vision für die Energiewende zu entwickeln, ist zu erwarten, dass sich die Kommissionsmitglieder eher auf zähe Diskussionen zum Kohleausstieg einstellen müssen. Gleiches gilt für die Elektromobilität. Auch hier wird es zunächst nur eine Kommission geben, aber keine gemeinsame Regierungslinie. Die Zukunft der Energiewende, wie CDU/CSU und SPD sie zurzeit skizzieren, scheint in Frage gestellt.
Deutschland kann sich das nicht leisten. Schon jetzt ist klar, dass die Bundesrepublik ihre kurzfristigen Klimaschutzziele verfehlen wird. Auch die Kostenwarnung des Bundesrechnungshofes vom vergangenen Jahr ist längst Schnee von gestern, sie spielt in der politischen Diskussion kaum mehr eine Rolle – und das, obwohl eine Lösung für eine effiziente und wirtschaftliche Energiewende weiterhin nicht in Sicht ist. Für die Zukunft ist beides zusammen eine große Hypothek, ökologisch wie finanziell.
Ein Grund für dieses Aufschieben ist mit Sicherheit die Komplexität, die der Energiewende unbestritten innewohnt. Ähnlich wie beim Gesundheitswesen kann man als Politiker damit nur schwer gewinnen. Zu schwierig und detailliert ist die Materie, zu lang die Zyklen, bis sich zählbare Erfolge einstellen. Während die Gesundheitspolitik mit Jens Spahn nun aber einen ebenso angriffslustigen wie ambitionierten Minister bekommen hat, verliert die Energiepolitik auf dem Berliner Parkett an Relevanz. Gleichwohl ist Peter Altmaier für seine neue Funktion als Minister für Wirtschaft und Energie ohne Frage der richtige Mann. Er bringt alle inhaltlichen Kompetenzen mit, um die Energiewende erfolgreich zu gestalten.
Aber anders als Spahn muss er auch viele Interessen ausbalancieren. Altmaier weiß, wie schwierig ein erfolgreiches Update der Energiewende ist – aus politischer, technischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Perspektive. Dennoch sollte er den großen Wurf wagen. Im Gegensatz zu anderen ist sein Ministerium unverändert geblieben und er kann auf viele kompetente und in der Materie erfahrene Mitarbeiter bauen.
Der Bürger beobachtet diese Entwicklung währenddessen zunehmend ratlos. Einerseits hat die Energiewende nach wie vor großen Rückhalt in der Bevölkerung. Andererseits häufen sich die negativen Assoziationen wie Kostenexplosion, Übersubventionierung und überbordende Bürokratie. Dadurch droht das große Ganze aus dem Blick zu geraten, nicht nur bei der Politik, sondern auch beim Bürger und Verbraucher, der die Energiewende in weiten Teilen trägt und vor allem finanziert.
Umso mehr benötigt die Energiewende einen Neustart, der sie zukunftsfähig macht, dem Anspruch als Generationenprojekt gerecht wird und beides zusammen dem Bürger besser erklärt. Letzteres geschieht ganz sicher nicht durch diskussionsfreudige Kommissionen, sondern nur durch den klaren politischen Willen, in das Dickicht endlich Transparenz zu bringen.
Damit rückt auch ein Thema in den Fokus, das in diesem Kontext häufig nicht genannt wird: die schulische und fachliche Aus- und Weiterbildung. Nur ein Beispiel: Natürlich sind Klimaschutz und Energieeffizienz an Schulen bereits Teil des Curriculums. Dies jedoch oftmals nur am Rande, in einzelnen Projekten oder Gruppenarbeiten. Einen verbindlichen Lehrplan zum Themenkreis Klima, Energie und Gesellschaft gibt es hingegen nicht. Dabei wäre genau dies eine Überlegung wert.
Warum ist die Energiewende kaum Thema an unseren Schulen und Ausbildungsstätten? Das Bewusstsein junger Menschen für den Klimaschutz zu stärken ergibt im Rahmen einer großangelegten, generationenübergreifenden Energiewende durchaus Sinn. Ebenfalls, ihnen zugleich die richtigen Methoden und Werkzeuge zur Umsetzung zu vermitteln.
Das Interesse der Jugendlichen und jungen Erwachsenen für Umwelt- und Klimaschutz ist längst da, wie etwa die aktuelle Jugend-Studie des Bundesumweltministeriums zeigt. Genau dieses Interesse gilt es seitens der Politik weiter zu fördern. Zum Beispiel durch ein ressortübergreifendes Konzept, das Wirtschafts-, Energie-, Umwelt- und auch Bildungspolitik eng miteinander verzahnt. Dazu muss die Energiewende aber schnellstmöglich wieder auf die politische Agenda, um dem Anspruch als Mehrgenerationenprojekt gerecht werden zu können.
Es wäre fahrlässig, wenn die große Koalition das Zukunftsprojekt Energiewende aufgrund von kurzfristigen, reaktiven politischen Maßnahmen vernachlässigen würde. Unsere Kinder würden es uns nicht danken.