Zwischen Kohleausstieg und EEG-Abschaffung

Die energiepolitischen Prioritäten der NRW-Landesparteien könnten unterschiedlicher nicht sein.

veröffentlicht am 10.05.2017

aktualisiert am 16.11.2018

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen

Background stellte allen Parteien die gleichen drei Fragen zur Energiepolitik. Die AfD antwortete nicht.


Wo setzt Ihre Partei energiepolitische Prioritäten für die nächste Legislaturperiode?


SPD (André Stinka, NRW-Generalsekretär):Die Energiewende ist für Nordrhein-Westfalen, das Energieland Nr. 1 in Deutschland, eine besondere Herausforderung. Wir gestalten sie, indem wir bestehende zukunftsfähige Arbeitsplätze sichern und neue Arbeitsplätze schaffen, indem Energie immer klimafreundlicher und sauberer wird, indem Energieversorgung für Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Unternehmen sicher und bezahlbar bleibt.“


CDU (Josef Hovenjürgen, stellvertretender Fraktionsvorsitzender NRW) „Für uns ist die Energiewende erst dann ein Erfolg, wenn Nordrhein-Westfalen am Ende dieses Prozesses immer noch eine starke Volkswirtschaft mit Industriearbeitsplätzen und geschlossenen Wertschöpfungsketten ist. Der Aspekt der Versorgungssicherheit spielt für Nordrhein-Westfalen und seine Wirtschaft eine besonders wichtige Rolle. Deswegen lehnen wir Ausstiegspläne aus der konventionellen Energieversorgung, die sich allein an Jahreszahlen orientieren, ab. Wir stehen zu den Energieträgern Gas und Braunkohle, solange sie für eine sichere und bezahlbare Stromversorgung gebraucht werden. Den Umstieg auf Erneuerbare Energien und den Strukturwandel des Kraftwerkparks wollen wir marktwirtschaftlich organisieren. Dazu gehört auch der Ausbau der Windenergie als wichtiger Quelle heimischer Erneuerbarer Energien. Diesen werden wir jedoch nur mit der größtmöglichen Zustimmung und Akzeptanz der Bevölkerung und der Kommunen sowie unter Beachtung eines bestmöglichen Landschaftsschutzes vorantreiben.


Die Grünen (Wibke Brems, Sprecherin für Klimaschutz- und Energiepolitik Landtagsfraktion): „Klimaschutz geht uns alle an und die Energiewende ist auch mehr als eine reine Stromwende. Strom, Wärme und Verkehr müssen erneuerbar und nachhaltig gestaltet werden, damit Deutschland die selbst gesteckten Klimaziele einhalten kann. Wir wollen die Erneuerbaren Energien weiter ausbauen und setzen uns auch im Bund dafür ein. Zudem brauchen wir den sozialverträglichen Kohle-Ausstieg und eine klimafreundliche und zukunftsfähige Mobilität.“


FDP (Dietmar Brockes, Sprecher für Wirtschaft, Industrie und Energie): „NRW ist das Energieland Nr. 1 und soll es auch bleiben. NRW-Alleingänge wie das Klimaschutzgesetz wollen wir beenden. Sie sind ökologisch wirkungslos, schwächen aber die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie und schaffen ein investitionsfeindliches Klima. Wir wollen, dass in der Energiepolitik wieder marktwirtschaftliche Grundprinzipien gelten. Deshalb muss das planwirtschaftliche Erneuerbare-Energien-Gesetz abgeschafft werden. Beim Ausbau der Windenergie setzen wir uns für landesweit einheitliche Mindestabstände zur Wohnbebauung ein. Darüber hinaus wollen wir den Emmissionshandel stärken und innovative Speichertechnologien fördern.“


Die Linke (Jens Prigge, Sprecher der Landespartei): „Wir wollen anstoßen, die Energieversorgung dezentral und demokratisch zu organisieren. Die Energieversorgung ist für die Menschen in NRW zentral, sie darf nicht in der Hand einiger großer Konzerne liegen, sondern ist eine öffentliche Aufgabe. Energie ist ein Menschenrecht, deshalb wollen wir Sperren von Strom und Gas verbieten. Niemand soll im Winter ohne Heizung zu Hause sitzen müssen, das gilt insbesondere für Familien mit Kindern. Statt Sperren müssen andere Wege gefunden werden, Zahlungsrückstände zu beheben. Darüber hinaus wollen wir die Energiewende schaffen, indem wir die Erneuerbaren ausbauen und schnellstmöglich aus der Braunkohle aussteigen.“


Welchen Zeithorizont benennt Ihre Partei für den Ausstieg aus der Braunkohle?


SPD: „Der Umstieg auf erneuerbare Energien muss Zug um Zug erfolgen, um jederzeit eine gesicherte Versorgung zu gewährleisten. Bei einem abrupten Ausstieg aus der Braunkohleverstromung wäre die Energieversorgung gefährdet und ein Strukturwandel im Rheinischen Revier ohne Brüche nicht möglich. In einem ersten Schritt werden bis 2022 die ersten 5 Braunkohlenblöcke ersatzlos abgeschaltet. Gleichzeitig wurde mit der Leitentscheidung für das Rheinische Revier der Tagebau Garzweiler verkleinert.“


CDU: „Während der Übergangszeit der Energiewende leistet auch der Energieträger Braunkohle einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit und Bezahlbarkeit unserer Stromversorgung. Wir halten an der jüngsten Leitentscheidung zum Braunkohletagebau Garzweiler II aus Gründen der Rechts- und Planungssicherheit fest. Die genehmigte Betriebsdauer bis zum Jahr 2045 stellen wir im Grundsatz nicht in Frage. Die bis dahin abzubauende Fördermenge ist allerdings noch offen und abhängig von der weiteren Entwicklung der Erneuerbaren Energien und der Speichertechnologien.“


Die Grünen: „Wir wollen auf Bundesebene einen Kohlekonsens einleiten, an dessen Ende ein Kohleausstiegsgesetz mit einem Fahrplan für die sozialverträgliche Schließung der Kohlekraftwerke in Deutschland steht. Wir wollen in den nächsten zwei Jahrzehnten aus der Kohle aussteigen, jedes Kraftwerk soll eine gesetzliche definierte Restlaufzeit erhalten. Mein Kollege Johannes Remmel hat kürzlich mit anderen Grünen Umweltministern den Kohleausstieg konkretisiert und zehn Kohlekraftwerke konkret benannt, die in den nächsten drei Jahren aus grüner Sicht in NRW vom Netz gehen sollten.“


FDP: „Ein politisch erzwungenes Verbot einzelner Technologien oder Energieträger lehnen wir ab. Braunkohle ist der einzige heimische, subventionsfreie Energieträger. Er sorgt für eine sichere Stromversorgung und wird daher noch lange Zeit gebraucht, da Erneuerbare Energieträger eine Grundlastversorgung noch nicht gewährleisten können. Selbstverständlich hat sich aber auch die Braunkohle den Herausforderungen des Klimaschutzes im Rahmen des auf Wettbewerb und Marktwirtschaft basierenden Emissionshandels zu stellen.“


Die Linke: „Die Linke will schnellstmöglich aus der Braunkohle aussteigen und damit sofort beginnen. Der Braunkohletagebau verwüstet ganze Landstriche, die Verbrennung setzt besonders viel klimaschädliche Treibhausgase frei. Es braucht aber einen verbindlichen Fahrplan des Landes. Die Kosten müssen die Energiekonzerne absichern.“


Welche Maßnahmen sieht Ihre Partei vor, um den Strukturwandel in der Region zu gestalten?


SPD: „Durch kluge Investitionen in Bildung und Infrastruktur. Wir haben deshalb seit 2010 über 200 Milliarden Euro in Kinder, Bildung und Familien investiert. Die NRWSPD will nach der Wahl den nächsten großen Schritt in Richtung kostenfreie Bildung gehen und dabei ab 2018/19 die Kitas in den Kernzeiten von 30 Stunden gebührenfrei gestalten. Zudem setzen wir hier auf mehr Erzieherinnen und Erzieher für noch mehr Qualität. Und auch in den Schulen soll es 1000 neue Lehrerstellen pro Jahr geben. Dazu investiert das Land bis 2020 zwei Milliarden Euro in Schulgebäude und Ausstattung. Bis 2018 wird es flächendeckend schnelles Internet mit 50 MBit/s und bis 2026 mit Glasfaser geben. Bereits heute sind mehr als 82,2% der Haushalte in NRW mit Breitband versorgt – bundesweit ist das bei den Flächenländern spitze. NRW ist auch deshalb vorne bei den Existenzgründungen. Beim Strukturwandel stehen Ökonomie und Ökologie nicht im Gegensatz. Bei uns gilt: Aus Gewerbebrache wird Gewerbefläche, nicht von Brache zu Biotop.“


CDU: Wir werden die Kommunen im rheinischen Braunkohlerevier aktiv bei der Bewältigung des Strukturwandels unterstützen. Hierzu wollen wir diesen Kommunen im Rahmen der Landes- und Regionalplanung dauerhaft eine Sonderstellung einräumen und ihnen die Ausweisung neuer Gewerbegebiete gestatten.


Die Grünen: „Wir wollen den Strukturwandel gestalten und Kommunen, Unternehmen und Wissenschaft weiterhin beim Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Entwicklung von Innovationen unterstützen. Wir wollen NRW zu einem national und international führenden Standort für umwelt-und klimaorientierte Ideen, Produkte und Dienstleistungen machen und bis 2025 rund 100.000 neue, zukunftsfähige Arbeitsplätze in der Umweltwirtschaft schaffen. Die aktuell im Rheinischen Revier noch für Kraftwerke genutzten Flächen müssen in Gewerbegebiete umgewandelt und die großen Potenziale durch die Hochschul- und Forschungslandschaft genutzt werden.“


FDP: „Mit der von SPD und Grünen vom Zaun gebrochenen Debatte um die Verkleinerung des Tagebaus Garzweiler II ist eine für viele Bürgerinnen und Bürger unerträgliche Unruhe ins Rheinische Revier gebracht worden. Beim anstehenden Strukturwandel darf sich das Land nicht aus der Verantwortung stehlen. Als erste Maßnahme muss der Landesentwicklungsplan korrigiert werden. Er verfolgt das Ziel, Kommunen zukünftig möglichst keine Flächen zur Verfügung zu stellen. Gemeinden, deren Flächen der Tagebau in Anspruch nimmt, wurden aber über Jahre hinweg Entwicklungschancen genommen. Diese müssen nun geschaffen und die tagebaubedingten Sonderlasten ausgeglichen werden.“


Die Linke: „Um den Strukturwandel zu meistern, schlagen wir die Einrichtung eines Fonds vor, in den die Energiekonzerne, die in den vergangenen Jahrzehnten mit dem Braunkohleabbau und der Kohleverstromung große Profite gemacht haben, einzahlen müssen. Beteiligt werden sollen alle gesellschaftlich relevanten Akteure, unter anderem die Gewerkschaften, Umwelt- und Verbraucherverbände, die Wissenschaft, die Kommunen und das Land. Wir wollen die nötige Wirtschaftsförderung und den Strukturwandel durch einen „Runden Tisches für Kohlekonsens und einen sozialökologischen Strukturwandel“ begleiten, dessen Ergebnisse in die weitere Planung des Kohleausstiegsprozesses und des Strukturwandels einfließen sollen.“

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen