Smart Hospital bedeute, den Fokus stärker auf den Menschen, auf Patienten, Angehörige und Mitarbeiter zu legen, sagt Jochen A. Werner. Seit 2015 arbeitet er als Ärztlicher Direktor an der digitalen Transformation des Universitätsklinikums Essen. Die Hälfte des Weges zur „intelligent arbeitenden Steuerungsplattform“ sei gemeistert. Anfangs dachten Mitarbeiter bei „Smart Hospital“ an ein blinkendes Krankenhaus, in dem zum Beispiel alle Drucker super funktionierten, erzählt Werner, bei Patienten sei das Schreckgespenst eines unmenschlichen Pflegeroboters umhergegangen.
Den Nutzen der Digitalisierung zu vermitteln und einen Kulturwandel einzuleiten, seien daher auch die wichtigsten Schritte der Transformation. Seit 2015 widme sich die Kommunikationsabteilung des Klinikums Beschwerden von außen wie innen. Dass viele der 8.500 Mitarbeiter inzwischen besser verstünden, was mit Smart Hospital gemeint sei, versteht Werner als großen Fortschritt. Um die Sorgen von Patienten „abzupuffern“, habe die Klinik das „Institut für PatientenErleben“ eingerichtet. Es organisiert Veranstaltungen und soll die Interessen von Selbsthilfegruppen bündeln. In Deutschland sei es das erste seiner Art, eine ähnliche Einrichtung gebe es nur an der Cleveland Clinic in den USA.
Werner hat zudem Ruth Hecker, Vorsitzende des Aktionsbündnisses Patientensicherheit, als „Chief Patient Safety Officer“ eingesetzt, sie soll das Wohl der Patienten bei allen Prozessen im Blick behalten. „Die Technologie soll der Humanisierung dienen“, sagt Werner. Zum Beispiel indem mehr Zeit für die Patienten bleibe – denn KI-Software beschleunigt bereits die Diagnostik in der Radiologie und entlastet Ärzte bei Routineuntersuchungen. „Patienten sollen sich heute gut aufgehoben und verstanden fühlen“, sagt Werner. „Eine freundliche, zugewandte Haltung muss man bereits Studenten stärker vermitteln.“
Erste Digital-Berührungen in Marburg
Auf YouTube nennt Werner sich „Medical Influencer“. Jede Woche erscheint in seinem Kanal ein Video, meist spricht Werner darin über die Digitalisierung der Medizin. Arzt wollte er schon als Kind werden, erzählt er. Beim Studium in Kiel faszinierten ihn der Kopfbereich und dessen komplexe Anatomie am meisten, daher wurde er HNO-Arzt. 1993 habilitierte er sich, wurde Oberarzt, 1995 leitender Oberarzt. 13 Jahre lang leitete er den HNO-Bereich der Marburger Universitätsklinik.
Dort war er dabei, als sie als Erste den OP-Roboter Da Vinci für Operation von Rachen- und Kehlkopftumoren einsetzten. Bei der Gründung des Zentrums für unerkannte und seltene Krankheiten bekam er mit, dass die dort zusammenkommenden Datenmengen nur noch mit einer KI bewältigt werden konnten. Als Werner 2015 Ärztlicher Direktor des Essener Klinikums wurde, konnte der 61-Jährige an seine Managementerfahrungen als Leiter der Universitätskliniken Gießen und Marburg seit 2011 anschließen. Und ihm sei klar gewesen: „Nur mit moderner Technologie und Empathie können heutige Probleme im Gesundheitsbereich gelöst werden.“
KI-Softwares sollen helfen, Krankheitsbilder zu verfeinern
Einfach eine App einzusetzen, auf der KI steht, reiche nicht. Die Qualität der Daten, mit denen die Algorithmen trainiert werden, müsse abgesichert, die Software getestet werden. „Und es gilt immer zu hinterfragen, ob die neue Methode überhaupt besser ist“, sagt der Direktor. An der Universitätsmedizin Essen arbeite bereits eine Gruppe engagierter Datenwissenschaftler, in diesem Jahr soll das „Institut für Künstliche Intelligenz in der Medizin“ seine Arbeit aufnehmen. „Wir verhandeln gerade mit vier Professoren und hoffen, noch weitere einstellen zu können“, berichtet Werner. Darunter seien Informatiker und Physiker. Geplant sei, dass sie mit Ärztinnen und Ärzten digitale Anwendungen für die Praxis entwickeln.
Daten aus den verschiedenen medizinischen Fachgebieten, die durch die elektronische Patientenakte verfügbar werden, könnten am Institut erstmalig zusammenhängend und hypothesenfrei analysiert werden, um so neue Hinweise auf die Entstehung bisher zu unklarer Krankheitsbilder wie z. B. Bluthochdruck oder Morbus Crohn zu verstehen.
Auch die Krankenpfleger und -schwestern sollen im Smart Hospital mehr Zeit für die Patienten haben. „An unserem Klinikum gehen jeden Tag zigtausende Anfragen ein“, sagt Werner. Die meisten Anrufe erhielten medizinische Assistenten, aber auch das Pflegepersonal werde angerufen und so ständig von seiner regulären Tätigkeit weggerissen. Um das zu stoppen und die Prozesse zu bündeln, werde seit 2016 ein Service- und Informationszentrum am Klinikum aufgebaut.
Insgesamt sollen die Abläufe „transparenter und besser steuerbar“ werden. „Früher flogen Zettel herum, am Ende fehlte manchmal ein Befund“, sagt Werner. Dank der elektronischen Patientenakte liegen Informationen, Befunde und Laborergebnisse jedes Patienten nun elektronisch vor, bei einer Verlegung seien sie gleich verfügbar. Ein Armband der Patienten mit Barcode könnte künftig noch mehr vereinfachen. Über eine Verknüpfung mit der Patientenakte sollen Patienten sich beispielsweise an Bestrahlungsanlagen leicht verifizieren können. „Das Ganze ist aber komplex“, sagt Werner. Um die Koordination kümmere sich daher die „Digital Change Managerin“ des Klinikums, mit der Werner eng zusammenarbeitet.
Digitalisierung als finanzielle Herausforderung
Für die Digitalisierungsschritte könnte das Landesklinikum gut mehr Finanzen gebrauchen, meint Werner. Im vergangenen Jahr ergab ein Gutachten des Wissenschaftsrates, dass die Klinik seit 2012 jedes Jahr Millionenverluste erwirtschaftet, der Rat beurteilte die wirtschaftliche Situation als „bedrohlich“. Ob das Werner Sorgen bereitet angesichts der Mammutaufgabe Smart Hospital? „Die finanzielle Schieflage hängt in einem nicht unerheblichen Maße mit einem Pflegestreik 2018 zusammen“, erklärt Werner. Das Smart Hospital bedrohe sie derweil jedoch nicht.
Eine wichtige Errungenschaft sei bereits die gänzlich digitale Notaufnahme. „Die Daten können ganz einfach innerhalb der Klinik übertragen werden. Die kabellosen, mobilen Monitore sind über WLAN verbunden“, sagt Werner. Feuerwehr und Rettungsdienste senden bereits vor der Einlieferung von Patienten Echtzeitdaten. „Dank der frühzeitigen Datenübertragung weiß unser Personal, was es vorbereiten muss, ob zum Beispiel Herzkatheter gebraucht werden“, sagt Werner. Und auch für die Forschung seien die Daten von den Rettungsdiensten Neuland: Sie könnten neue Erkenntnisse für die Diagnostik und Therapieanalyse liefern.
Werner habe auch seine eigenen Gesundheitsdaten „ganz gut sortiert“, sagt er. Er messe seine Schrittzahl, überprüfe mit einer App verschiedene Gesundheitsparameter und ob er sich bei Trainingseinheiten verbessert. „Was die neue Technik bietet, sehe ich als Erleichterung.“ Anna Parrisius