Es war nach der Geburt ihres dritten Kindes, als sich Mara Stadick auf die Suche machte. „Ich befand mich in einer Krise und spürte mich nicht mehr“, erinnert sich die 48-Jährige, die nach ihrem Studium der Literaturwissenschaften und Psychologie als freie Autorin arbeitete. „Sex war kein Thema mehr, ich war nur noch für andere da und fragte mich: Soll es das gewesen sein?“
Über Tantra-Seminare entdeckte sie die Sexological Bodywork Ausbildung nach Joseph Kramer und wagte vor fünf Jahren den beruflichen Neuanfang als Sexualcoach mit eigener Praxis in Potsdam-Babelsberg. Joseph Kramer entwickelte seine Art der Sexual- und Körpertherapie in den 80er-Jahren in Kalifornien. Während sich Tantra mehr der Erfahrung widmet, geht es bei Sexological Bodywork ums Lernen, beispielsweise in Workshops oder Einzelcoachings, zum Thema Selbstliebe.
Mehr Wissen über die weibliche Sexualität
Das Lernen beginnt oft schon bei der Anatomie: „Viele Frauen und Männer wissen nicht, dass die Klitoris nicht nur diese kleine Perle ist, wie es leider immer noch gelehrt wird, sondern dass sie Schenkel und Schwellkörper hat, die sich über die gesamte Vulva erstrecken“, erklärt Mara Stadick, die in ihren Sitzungen bekleidet bleibt und Handschuhe trägt, wenn sie ihre Klientinnen und Klienten berührt. „Der G-Punkt ist kein Punkt, sondern eine Fläche, die stimuliert werden kann. Und die weibliche Ejakulation ist kein Mythos.“ Insofern betrachtet sie ihre Arbeit auch als politische und gesellschaftliche Mission, die darauf aus ist, mehr Wissen über die weibliche Sexualität zu verbreiten und das Thema zu enttabuisieren.
Gemeinsam mit ihrer Kollegin Vivien Schlitter gründet sie momentan einen Verein mit dem Namen Orgasmic Woman. Sie wollen eine Online-Plattform anbieten, über die sich Frauen informieren, Audios und Videos zur weiblichen Sexualität downloaden, Online-Coachings buchen, Webinare besuchen und sich untereinander austauschen können. Erste Erfahrungen mit Online-Coachings sammelten die Heilpraktikerinnen notgedrungen während der Corona-Krise, als sie zum Beispiel ihre wöchentliche „Bewegte Meditation“ oder ihren „Vulva Lieben Workshops“ ins Netz verlagern mussten.
Crowdfunding gestartet
Auf diese Arbeit aufbauend, möchte der Verein Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit leisten und eine Stiftung gründen, um andere Projekte im Sinne ihrer Vision zur weiblichen Sexualität zu unterstützen. Noch bis zum 18. Juni 2020 läuft dazu eine Crowdfunding-Kampagne auf Startnext. Mindestens 10.000 Euro hoffen Mara Stadick und Vivien Schlitter auf diese Weise für ihr Vorhaben zusammenzukriegen.
Basis ihres Projekts sind eigene Forschungen, die sie zum Thema Selbstliebe anstellten: 100 Frauen praktizierten über vier Wochen „Orgasmic Yoga“, das heißt, sie masturbierten täglich, meist mit Unterstützung eines Pulsators. Dieses Sextoy ähnelt einem Vibrator, vibriert aber nicht, sondern simuliert durch magnetische Kugeln im Inneren eine Stoßbewegung. „Bei den Frauen intensivierten sich die Empfindungen in der Vagina, so dass sie nicht nur bei der Masturbation, sondern auch beim Sex mit dem Partner mehr spürten“, resümiert Mara Stadick. Diese Erkenntnisse sollen in die Konzeption ihrer Angebote einfließen.
Masturbation hat positiven Effekt auf das Immunsystem
Studien zur Masturbation haben zudem einen positiven Einfluss auf den Hormonhaushalt und das Immunsystem festgestellt. Trotzdem ist das Thema noch ein Tabu: Die Krankenkasse Barmer machte im vergangenen Jahr Schlagzeilen, als sie Masturbation als Einschlafhilfe empfahl.
Die positive Wirkung einer erfüllenden Sexualität zeigt sich für Mara Stadick in allen Lebensbereichen. „Ich stehe ganz anders im Leben, bin selbstbewusster und habe mehr Energie, seit ich mich mit meiner Sexualität auseinandersetze und sie selbstbestimmt lebe“, stellt die Mutter dreier Kinder fest. Diese Einsicht möchte sie in die Welt tragen, damit möglichst viele Menschen von ihr profitieren. Judith Jenner