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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Vorgezogene Impfangebote ausschlagen

Anna Leisner-Egensperger, Professorin für Öffentliches Recht
Anna Leisner-Egensperger, Professorin für Öffentliches Recht

Impfungen außerhalb der priorisierten Gruppen schwächen das Vertrauen in die Impfkampagne. Rechtlich aber gibt es kaum Regelungen, wie etwa mit Impfstoff umzugehen ist, der sonst verderben würde, schreibt Juraprofessorin Anna Leisner-Egensperger.

von Anna Leisner-Egensperger

veröffentlicht am 22.02.2021

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Ein Ende der Lockdowns ist nicht in Sicht, seit vielen Tagen stagnieren trotzdem die Inzidenzen, diverse Mutanten sind auf dem Vormarsch. Immer lauter wird der Ruf nach Öffnungen, zugleich mehren sich Stimmen, die zur Vorsicht mahnen. Einziger Rettungsanker scheint die Impfung. Doch ihr vollmundig angekündigter Start war holprig, derzeit geht es nicht recht voran.

In dieser gesellschaftlichen Stresssituation sind manche bei der Impfung eher drangekommen – früher als dies die festgelegte Impfreihenfolge vorsieht. Die deutsche Impfstrategie verfolgt den Schutz der Schwächsten, priorisiert also nach Alter, Gesundheitszustand und medizinischer Exposition. Nach Medienberichten sind in den letzten Wochen aber viele schon geimpft worden, die zweifellos noch nicht dran sind: jung und vital erscheinende Politiker, Klinikfunktionäre, Verwaltungsbeamte, Polizisten und Prominente. Man darf vermuten, dass solche Meldungen nur die Spitze eines Eisbergs zum Vorschein bringen, die Dunkelziffer also weitaus höher ist.

Keine Verpflichtung, angebotenen Impfstoff abzulehnen

Geregelt sind Rechtsfragen zur Impfstoffverteilung in der Coronaimpfverordnung, die am 8. Februar in einer aktualisierten Version erlassen wurde. Danach sind Bund und Länder verpflichtet, sich bei der Nutzung des vorhandenen Impfstoffs an eine festgelegte Reihenfolge zu halten. Abweichungen davon kann es in Einzelfällen nur geben, wenn dies „für eine effiziente Organisation der Schutzimpfungen … und zur kurzfristigen Vermeidung des Verwurfs von Impfstoffen notwendig ist.“ Auf diese Klausel berufen sich die meisten, die nun als Impfvordrängler gebrandmarkt werden: Sie seien kurzfristig angerufen worden und dann gleich zum Impfzentrum gefahren, damit der schnell verderbliche Impfstoff nicht verworfen werden müsse. Andere fühlen sich als Prominente dazu berufen, gesellschaftliches Vorbild sein, um dadurch die Impfbereitschaft zu erhöhen.

Aus juristischer Sicht ist festzustellen: Einen Promibonus sieht die Coronaimpfverordnung nicht vor. Auch wer Vorbild sein will, ist nur eines: ein Impfvordrängler, der einem höher Priorisierten den Impfstoff wegnimmt. Zurecht weigern sich denn auch die Mitglieder der Bundesregierung beharrlich, durch eigenes Vorbild das verbreitete Impfzögern zu bekämpfen. Wer sich hingegen auf die sonst drohende Verwerfung des Impfstoffs beruft, ist dann im Recht, wenn er tatsächlich ein kurzfristiges Impfangebot erhält. Denn juristisch gibt es keine Verpflichtung dazu, einen angebotenen Impfstoff abzulehnen. Auch wenn manche Rechtfertigungsversuche insbesondere von Politikern fadenscheinig anmuten und Kungeleien nicht fern liegen. Hier gilt der Grundsatz in dubio pro reo - im Zweifel für den Angeklagten.

Eine Wartelise könnte das Verschwendungsrisiko senken

Wenn nun aber tatsächlich Personen, die jetzt als Impfvordrängler gesellschaftlich geächtet werden, kurzfristig angerufen wurden, fragt sich, wie es dazu kommen kann, dass offensichtlich niedrig Priorisierte auf diese Weise plötzlich vorrücken. Eine ausdrückliche Regelung dazu, wie die zuständigen Behörden vorzugehen haben, wenn kurzfristig Impfstoff übrigbleibt, findet sich in der Coronaimpfverordnung nicht. Nach ihrem Normzweck, den Schutz der Schwächsten abzusichern, muss das Verwerfungsproblem jedenfalls innerhalb ein und derselben Priorisierungsgruppe gelöst werden, also derzeit in der Gruppe der Höchstpriorisierten, d.h. der über 80-Jährigen

Entweder es bekommt jeder, der die Möglichkeit erhält, einen Impftermin zu vereinbaren, zugleich die Option eingeräumt, eine Telefonnummer zu hinterlassen, unter der er kurzfristig kontaktiert werden kann, um vielleicht früher dran zu kommen, während die anderen nachrücken. Oder, was sich wohl leichter administrieren lässt, es wird zu jeder Priorisierungsgruppe – besser: zu jedem Jahrgang – eine Warteliste geführt, die von den Impfzentren entsprechend abgearbeitet wird. Es gibt Forderungen dazu, solche Fragen gesetzlich oder jedenfalls in der Verordnung ausdrücklich zu regeln. Doch reicht für eine gerechte Verteilung im Grunde die bisherige Regelung aus. Sie muss jedoch von den zuständigen Behörden nach dem Normzweck der Priorisierung vollzogen werden.

Sanktionen gegen Impfvordrängler sieht die Coronaimpfverordnung nicht vor. Sie geht vielmehr davon aus, dass Menschen erst dann zum Impfen gehen, wenn sie an der Reihe sind, und es die Impfzentren sind, die dafür sorgen müssen, dass diese Priorität auch gewahrt wird. Bestrafung muss nach dem Arzneimittelgesetz nur fürchten, wer mit Impfstoffen widerrechtlich handelt. Auf einem anderen Blatt steht die moralische Verantwortlichkeit von Personen, die sich dafür entschieden haben, ein politisches Amt zu übernehmen. Von Politikern steht zu erwarten, dass sie die Grundzüge der deutschen Impfpriorisierung kennen und ihr Verhalten danach ausrichten. Sie müssen also offensichtlich verfahrenswidrige Impfangebote ausschlagen und zudem die zuständigen Behörden darin unterstützen, die Impfreihenfolge zu wahren. Frei nach dem Philosophenkönigssatz von Platon: Wenn nicht entweder die Philosophen Politiker werden oder die Politiker gründlich philosophieren, gibt keine Erholung – außer durch ihre baldige Abwahl.

Anna Leisner-Egensperger ist Inhaberin des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Steuerrecht an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.


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