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Standpunkte KI-Revolution am Cyber-Arbeitsmarkt?

Oleg Brodt, Ben-Gurion Universität
Oleg Brodt, Ben-Gurion Universität Foto: Copyright by World Economic Forum / Sandra Blaser

Werden wir unsere Arbeitsplätze verlieren? Werden Cybersicherheitsexperten durch Künstliche Intelligenz ersetzt? Dieser Tage wird wieder einmal diskutiert, wie sich der Arbeitsmarkt verändern wird und ob Menschen durch Maschinen ersetzt werden. Oleg Brodt fordert, dabei auch historische Beispiele nicht außer Acht zu lassen.

von Oleg Brodt

veröffentlicht am 28.11.2023

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Nicht lange vor der aktuellen Debatte über Künstliche Intelligenz und ihre Auswirkungen auf Arbeitsplätze war man besorgt, dass andere – damals neue – Technologien menschliche Arbeitsplätze auslöschen würden. Die Autoren des 2014 erschienenen Werks „The Second Machine Age“ waren überzeugt, dass Computer und andere digitale Errungenschaften für die geistige Leistungsfähigkeit – die Fähigkeit, unser Gehirn zu nutzen, um unsere Umwelt zu verstehen und zu gestalten – das täten, was die Dampfmaschine und ihre Nachfahren für die Muskelkraft getan haben. Dieser Logik folgend sind bereits einige unserer physischen Arbeitsplätze an Maschinen verloren gegangen und nun ist die Technologie reif, um dasselbe mit Arbeitsplätzen zu tun, die kognitive Fähigkeiten erfordern. Sollten wir als Cybersicherheitsexperten also Angst vor diesen Entwicklungen haben? Werden einige von uns bald überflüssig sein?

Bevor wir uns der Depression hingeben, schlage ich vor, aus historischen Beispielen zu lernen. In seinem Buch „Learning by Doing – The Real Connection Between Innovation, Wages and Wealth“ erörtert James Bassen den kuriosen Fall der Bankkassierer und Geldautomaten. Da die Banken viele Kassierer beschäftigten und die Geldautomaten geschaffen wurden, um sie zu ersetzen, glaubten viele, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis die Geldautomaten die Arbeitsplätze in den Banken übernehmen würden. Die ersten Geldautomaten in den USA wurden 1971 von der Seattle First National Bank eingeführt, und bis 1976 wurden mehr als 5.000 Geldautomaten installiert. 1980 prognostizierte die Geschäftsleitung von Wells Fargo, dass die Zahl der Bankfilialen aufgrund der Zunahme elektronischer Transaktionen drastisch schrumpfen würde, während die verbleibenden Filialen „nur noch wenige oder gar keine Mitarbeiter mehr haben würden“; 1984 besaßen bereits mehr als 40 Prozent der US-Haushalte eine Geldautomatenkarte.

Trotz der massiven Digitalisierung des Bankwesens ist die Zahl der Bankangestellten allerdings nicht zurückgegangen. Im Gegenteil, sie wuchs. Anfänglich ersetzten die Geldautomaten die Kassierer, wodurch die Größe einer typischen Filiale auf 13 statt 20 Mitarbeiter schrumpfte. Dies wiederum bedeutete, dass es nun kostengünstiger war, eine Filiale zu betreiben, was zu mehr Filialeröffnungen führte (die zwischen 1988 und 2004 um 43 Prozent zunahmen), wodurch der Gesamtbedarf an Kassierern stieg. Und obwohl mittlerweile wieder Banken ihr Filialgeschäft verkleinern, waren die Auswirkungen nicht so unmittelbar wie in den Siebziger Jahren vermutet.

Ein weiteres Beispiel ist die Revolution der medizinischen Bildgebung durch KI. In einer kürzlich durchgeführten Studie wurden die Auswirkungen von KI-basierten Systemen auf die Medizin und das Gesundheitswesen untersucht. Den Autoren zufolge könnten KI-Software und -Geräte für die Bildgebung den Radiologen unterstützen oder mit ihm konkurrieren und das derzeitige Modell der medizinischen Praxis und des Gesundheitswesens in verschiedenen Aspekten verändern.

Der Studie zufolge wird erwartet, dass die Einnahmen der Unternehmen im Bereich der medizinischen Bildgebung von nahezu null US-Dollar im Jahr 2017 auf 2,9 Milliarden US-Dollar im Jahr 2025 steigen werden. Und in der Tat wird laut dem Bericht „AI in Medical Imaging Market“ erwartet, dass der globale Markt für KI in der medizinischen Bildgebung im Zeitraum von 2021 bis 2030 mit einer jährlichen Wachstumsrate von 36,87 Prozent von geschätzten 1,24 Milliarden US-Dollar im Jahr 2021 auf geschätzte 20,9 Milliarden wachsen wird.

Wenn Radiologen solche Daten betrachten, könnten sie sich Sorgen machen, dass ihr Beruf bald durch KI ersetzt wird. Diese Bedenken sind verfrüht. Denn trotz dieses Trends scheint es so, als würde die KI ihre Arbeitsplätze nicht auffressen. In Wirklichkeit ist das Gegenteil der Fall: In den Jahren des KI-Booms in der Radiologie zwischen 2019 und 2022 hat sich die Zahl der Stellenausschreibungen für Radiologen von 1.000 auf 3.000 verdreifacht, zusammen mit einem deutlichen Gehaltsanstieg.

Jevons-Paradoxon

Das Jevons-Paradoxon, benannt nach dem Wirtschaftswissenschaftler William Stanley Jevons, besagt, dass die Menschen mehr davon konsumieren, wenn etwas effizienter wird. In seinem Buch „The Coal Question“ aus dem Jahr 1865 stellte Jevons fest, dass der Kohleverbrauch zunahm, als die Effizienz der Dampfmaschine stieg und sie mit weniger Kohle mehr leisten konnte, da die Menschen begannen, mehr Aufgaben mit Dampfmaschinen zu erledigen. In ähnlicher Weise nahm der Kohleverbrauch zu, als die Menschen lernten, einen Ofen mit weniger Kohle für die Eisenproduktion zu beheizen, da es nun profitabler war, Eisen zu produzieren, und der Bau neuer Eisenproduktionsanlagen mehr Investoren anzog.

Dieses Paradoxon hat dafür gesorgt, dass Geldautomaten nicht die Arbeitsplätze von Kassierern völlig vernichtet haben, dass die KI-Bildgebung nicht die Radiologen verdrängt hat und dass die KI die Fachleute für Cybersicherheit nicht auslöschen, sondern vielmehr neue Arbeitsplätze schaffen wird.

KI in der Cybersicherheit

Trotz des Einsatzes von KI-Technologien in der Cybersicherheit in den vergangenen zehn Jahren ist es schwer zu sagen, dass die Nachfrage nach Cybersicherheitsfachleuten zurückgeht. Wir haben KI eingesetzt, um SIEM-Warnungen zu priorisieren, und dennoch sind SOC stark unterbesetzt. Wir haben KI eingesetzt, um Malware zu erkennen, und dennoch können wir die freien Stellen für Incident Responder und Reverse Engineers nicht besetzen. Wir setzen KI ein, um Netzwerkanomalien zu erkennen, und dennoch brauchen wir dringend mehr Blue-Teamers. Laut der ISC2 Cybersecurity Workforce Study aus dem Jahr 2022 wächst die Personallücke von Jahr zu Jahr – trotz des Einsatzes von KI für Cybersecurity-bezogene Aufgaben.

Mit dem Fortschreiten der KI-Revolution wird die Nachfrage nach Cybersecurity-Fachkräften voraussichtlich noch weiter steigen. Trotz der Befürchtungen, dass KI menschliches Fachwissen in diesem Bereich ersetzen könnte, wird mit Blick auf Jevons immer deutlicher, dass die Nachfrage nach Cybersecurity-Fachleuten mit der Reifung der KI-basierten Technologien noch weiter steigen wird. Tatsächlich könnte KI der Hauptfaktor für den Anstieg der Nachfrage nach Cybersicherheitsexperten sein.

Oleg Brodt ist Chief Innovation Officer der Cyberabteilung an der Ben-Gurion Universität in Be'er Scheva und Direktor für Forschung und Entwicklung des Deutsche Telekom Innovation Labs. Der Beitrag ist bereits auf Englisch erschienen.

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