Barcelona hat eine lange Tradition des zivilgesellschaftlichen Engagements. Das ist Arnau Monterde wichtig zu betonen. Der Direktor für demokratische Innovation der Stadt Barcelona verantwortet die Entwicklung neuer Formen politischer Beteiligung in der katalanischen Hauptstadt.
Als Mitbegründer der heute international bekannten Beteiligungsplattform Decidim war Monterde zwischen 2017 und 2019 maßgeblich an Barcelonas Aufstieg zur europäischen Vorzeige-Smart-City beteiligt. Zeitgleich war er außerdem in das EU-Projekt Decode involviert, das eine dezentrale Dateninfrastruktur schaffen will, um Bürger:innen die Hoheit über ihre Daten zurückzugeben. Während viele der damaligen Mitstreiter:innen die Stadtverwaltung inzwischen zugunsten prestigeträchtigerer Jobs verlassen haben, setzt sich Monterde auch Jahre später noch immer für ein partizipatives, demokratisches Barcelona ein.
„Soziale Bewegungen sind in Spanien schon immer stark gewesen, insbesondere in Barcelona als Hauptstadt Kataloniens“, erklärt der promovierte Experte für Fragen rund um die Interdependenz von Kommunikationstechnologien und Gesellschaft. „Die besondere Aufgabe bestand für uns darin, dieses analoge Engagement zu digitalisieren.“ Sein Ansatz: Die Bürger:innen sollen in die Lage versetzt werden, sich aktiv einzubringen. Dass mit Decidim eine Plattform geschaffen wurde, die eine neue Form der digitalen Partizipation ermöglicht, bezeichnet Arnau Monterde als einen der größten Erfolge der vergangenen Jahre für die Stadt Barcelona. Heute nutzen rund 100 Städte, Regionen und Organisationen weltweit die Open-Source-Software. Der Quellcode kann so von jedem eingesehen, verändert und erweitert werden.
Superblocks: Kollaborative Stadtplanung
Über die Plattform können politische Entscheidungsprozesse diskutiert, eigene Vorschläge eingereicht und neue Technologien ausprobiert werden. Eines der ersten großen Projekte, dass über Decidim der Barceloner Bevölkerung zur Abstimmung und Mitgestaltung vorgestellt wurde, waren die sogenannten „Superblocks“. Die Idee der Superblocks gibt es bereits seit den 1990er-Jahren, seit 2015 sind sie als Teil des „Sustainable Urban Mobility Plan“ Barcelonas und im Ergebnis eines umfangreichen Partizipationsprozesses Sinnbild einer radikalen Stadtentwicklung.
Ganze Viertel werden für das Projekt umgestaltet, Privatautos von den Straßen verbannt, Parkplätze zu Aufenthaltsorten umgestaltet, Beton durch frisches Grün ersetzt. Dass dieses Mammutprojekt Akzeptanz seitens der Bevölkerung findet, ist nicht zuletzt Decidim und der digitalen Partizipation zu verdanken, glauben die Verantwortlichen.
Bereits vor der Entwicklung von Decidim befasste sich Monterde mit Herausforderungen der digitalen Transformation in einer demokratischen Gesellschaft. An der Universitat Oberta de Catalunya (UOC) forschte er vor seinem Wechsel in die Stadtverwaltung zu politischer Beteiligung, der Bedeutung von Online-Netzwerken für Protestbewegungen und der Macht des kollektiven Handelns im Netz.
2015 promovierte er mit einer „technopolitischen Analyse“ zu „Entstehung, Entwicklung und Auswirkungen der 15M-Bewegung“, einer spanischen Protestbewegung, die ab 2011 tausende Bürger:innen gegen das politische und wirtschaftliche System ihres Landes auf die Straßen trieb. Auf die Forderungen der 15M-Bewegung gehen einige der politischen Entwicklungen zurück, die Barcelona heute ausmachen. So wird unter anderem die Haushaltsplanung nicht mehr hinter verschlossenen Rathaus-Türen entschieden, sondern zu großen Teilen gemeinsam mit der Bevölkerung über Decidim.
Demokratische Smart City statt Technokratie
„Eine echte strukturierte Beteiligung zu schaffen, ist sehr zeitaufwändig und teuer“, räumt Arnau Monterde ein. „Aber diese Beteiligung ist wichtig, um eine moderne Demokratie zu schaffen.“ Technologie müsse immer im Dienste der Menschen stehen, ist er überzeugt. Die entscheidende Frage, die er sich daher bei sämtlichen Projekten stelle, sei, wie sich die Beteiligung, aber auch die Souveränität der Bürger:innen verbessern lasse.
Die Antwort hierauf lasse sich nur finden, wenn die Bürger:innen schon in den ersten Entwicklungsprozessen involviert seien. Denn keine technologische Entwicklung sei heute frei von politischen Absichten, so Monterde: „Die Technologie im digitalen Zeitalter spiegelt einige der wichtigsten Machtverhältnisse in der Weltwirtschaft wider.“ Wolle man kein autokratisches System schaffen, sei es daher unmöglich, Entwicklungsprozesse ohne die Bürger:innen zu starten. „Um sinnvolle Technologien zu entwickeln, die den Menschen nutzen, müssen wir zunächst die Bedürfnisse der Bürger:innen kennen.“
Eine transparente Kommunikation mit der Bevölkerung sei entscheidend, um eine funktionierende und allgemein akzeptierte Smart City zu schaffen. Sein Appell: Städte müssten zu „Laboratorien echter Demokratie“ werden, die das Wissen und die kollektive Intelligenz der Bürger:innen nutzen, um kommunale Probleme zu lösen. Decidim sei hier ein international wegweisendes Beispiel. So lasse sich auch verhindern, dass internationale Unternehmen, die ihre Geschäftsmodelle vorantreiben wollen, das technologische Entwicklungsmodell der smarten Stadt allein besetzen.
„Die Städte“, so Monterde, „stehen im Bereich Technologie und Demokratie vor der Herausforderung, eine eigene souveräne, demokratisch kontrollierte technologische Infrastruktur zu schaffen, die auf einer Verpflichtung zu freien und offenen technologischen Lösungen mit vollständig partizipatorischen Modellen der Governance beruht.“ Jede vom öffentlichen Sektor finanzierte technologische Entwicklung müsse daher auf Open Source basieren. Für Monterde sind digitale Werkzeuge und Anwendungen in Städten „Formen der sozialen Gegenleistung“ für die Bürger:innen. Ronja Merkel