Sich selbst ein Glas Wasser einzugießen, ist auf den ersten Blick sehr einfach: Flasche öffnen, über einem Glas etwas kippen, fertig. Eine alltägliche Bewegung, die viele Menschen ausführen, ohne allzu sehr darüber nachzudenken. Dabei sind diese oft schwieriger als gedacht. „Vermeintlich einfache Bewegungen sind oft ein komplexes Wechselspiel zwischen verschiedenen Muskelgruppen“, sagt Annette Hagengruber. Um sich etwa Wasser einzuschenken, muss die Innenhand rotiert werden, bevor sie noch einmal über einem Glas rotiert. Für Menschen, die an einer Krankheit wie MS erkrankt sind, kann diese Bewegung zur Herausforderung werden. Genau hier setzt ihre Arbeit an. Die Wissenschaftlerin arbeitet seit vier Jahren am Institut für Robotik und Mechatronik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Dort beschäftigt sie sich mit Assistenz- und Servicerobotern. Jenen Geräten also, die in Zukunft Menschen mit Einschränkungen im Alltag unterstützen sollen – etwa wenn sie sich ein Glas Wasser einschütten möchten.
Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit sind EMG-Interfaces. Das Anspannen, etwas des Oberarms, soll genügen, um einen Rollstuhl oder einen Roboterarm in Bewegung zu bringen. Durch Machine Learning werden Modelle erzeugt, die Muskelimpulse in Bewegungssignale umwandeln. Auf diese Weise soll vor allem Menschen geholfen werden, die sich nur noch sehr eingeschränkt bewegen können. Hagengruber arbeitet hauptsächlich mit dem Robotersystem EDAN, das aus einem Rollstuhl mit einem Leichtbau-Roboter besteht. „Hoffentlich können die Menschen die Roboter bald benutzen, um wieder selbständiger zu sein“, sagt Hagengruber.
Zwischen Mensch und Technik
Im Mittelpunkt von Annette Hagengrubers Forschung steht der Mensch. Über ein Studium der Medizintechnik mit einer Vertiefung im Bereich Prothetik landet sie schließlich am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt und arbeitet an ihrer Promotion. Was bei all dem gleichgeblieben ist: Ihr Interesse an der Verbindung zwischen neuer Technologie und der Arbeit mit Menschen.
„Ich finde es unglaublich motivierend zu sehen wie die Probanden Fortschritte machen“, sagt Hagengruber. Inzwischen melden sich auch beeinträchtige Menschen direkt bei ihrer Forschungsgruppe, um die Roboter zu testen.
Raus aus den Laboren und in rein in den Alltag
Für sie und ihr Team am DLR könnte die Coronakrise eine große Chance sein, erzählt Hagengruber. „Das Interesse an Digitalisierung und Servicerobotik ist seit Beginn der Pandemie deutlich gestiegen.“ Das gelte vor allem für Pflegeeinrichtungen. Kein Wunder, war die Situation dochauch schon vor der Pandemie in vielen Pflegeheimen sehr angespannt. Wenig Personal, hohe Kosten, wenig Zeit: Diese Belastungen setzten vor allem das Pflegepersonal unter Druck. Vor allem sich ständig wiederholende Tätigkeiten könnten von Servicerobotern übernommen werden. „Bei unserer Arbeit geht es nicht darum, Pfleger zu ersetzen“, betont Hagengruber mehrfach während des Gesprächs.
Was ihr besonders wichtig ist: Die Wissenschaft muss raus aus den Laboren und rein in den Alltag der Menschen. Erst unter realen Bedingungen und mit echten Menschen zeigt sich, was funktioniert – und was nicht. Denn oft stoße sie erst dann auf Probleme, die sie vorher noch gar nicht im Blick hatte. Das fängt bei den Wörtern an. „Wir sagen zum Beispiel immer „Wir manipulieren die Objekte. Das heißt einfach nur, dass wir Dinge bewegen.“ Oft sei es ihr passiert, dass die Menschen bei dem Wort „Manipulation“ erst mal skeptisch waren.
Genauso oft muss die Wissenschaftlerin auch erklären, dass ihre Forschung nur wenig mit den Robotern aus Science-Fiction-Filmen zu tun hat. Selbst einfache Bewegungen können immer noch schneller von einem Menschen, als von einem Roboter ausgeführt werden. Denn auch vermeintlich einfache Bewegungsabläufe sind für die Maschinen zu komplex. Katja Neitemeier