Markus Bönigs Lieblingstier ist der Lachs. Er nennt ihn gerne das Sinnbild seines Lebens. Denn genau wie der Fisch liebt er es, gegen den Strom zu schwimmen. Der Gründer und Geschäftsführer des Gesundheits-Start-ups Vitabook will die Dinge nicht genauso angehen, wie alle anderen auch. „Wenn man echte Veränderung will, muss man gegen den Strom“, sagt der 45-Jährige.
Der gebürtige Hamburger kommt aus einem frommen Pastorenhaushalt - und es war ihm schon früh klar, dass er eines Tages eine Firma gründen wollte. Trotzdem tat er das erst einmal nicht. „Ich wollte eine gute Idee haben, sonst hätte ich es gleich lassen können“, sagt er. Bönig studierte Betriebswirtschaftslehre und begann seine Karriere danach bei weltweit tätigen Konzernen wie General Electric und Bechtle AG. Schließlich landete er bei Cisco Systems.
Mit 30 nochmal ganz neu angefangen
Während des Vision Summits 2008 in Berlin fand Bönig dann plötzlich die bislang fehlende Inspiration und wusste, was er gründen wollte: ein Social Business. Bei der Veranstaltung habe er gemerkt, was ihm bislang im Berufsleben gefehlt hatte. „Mir gefällt es besser, mit Menschen zu arbeiten, die wirklich etwas tun und nicht nur Geld verdienen.“ Mit Mitte 30 schmiss er also seinen Job komplett hin, wie er sagt. Ging in Elternzeit und arbeitete an einer Dissertation – mit einem wohl eher ungewöhnlichen Thema für Betriebswirte: Der junge Mann recherchierte die Gründe für den Verlust einer selbstbestimmten Lebensführung am Lebensende, setzte sich mit Medikation und chronischer Krankheit im hohen Alter auseinander.
Was entstand, war ein Geschäftsmodell für elektronische Gesundheitsakten. 2011 gründete er sein erstes Unternehmen mit dem Namen Ordermed. Fünf Jahre später benannte er das Start-up in Vitabook um. „Mir ist es sehr wichtig, auch im hohen Alter noch selbstbestimmt leben zu können“, sagt Bönig. Seiner Meinung nach lassen sich hier schon durch kleine Veränderungen große Probleme lösen.
Vitabook lässt sich inzwischen in zwei Bereiche aufteilen. Einer beschäftigt sich unter der Marke Ordermed mit elektronischer Rezeptbestellung seitens von Apotheken und Pflegeheimen. Der andere besteht aus einer Patientenmanagement-Plattform, bei der die gesamte Therapie online ablaufen kann. Die Idee des E-Gesundheitsakten-Anbieters ist simpel: Patienten können sich über Vitabook Daten digital senden lassen und selbst jederzeit den behandelnden Ärzten online zur Verfügung stellen. Das Angebot richtet sich vor allem an chronisch Kranke. Und alles wird in Deutschland gespeichert.
Inzwischen 250.000 Nutzer
Obwohl Patienten dank Google & Co. immer besser informiert würden, fehle es ihnen an einem Überblick über das persönliche Behandlungsgeschehen, so Bönig. Aktuelle Medikamente seien ihnen unbekannt, die gleichen Röntgenuntersuchungen fänden mehrfach statt, kaum ein Arzt wisse, was der Kollege dem Patienten an Arznei verschrieben habe. Bönig spricht von 800.000 Menschen jährlich, die ins Krankenhaus kommen, weil sich ihre Medikamente nicht miteinander vertragen.
Inzwischen zählt Vitabook knapp 250.000 aktive Nutzer. Wer einen Termin oder ein Rezept braucht, muss nicht mehr zig Anrufe zu tätigen. Vitabook regelt das. Notfalls per Fax – denn im Zweifelsfall sei jeder deutsche Arzt zumindest auf diese Weise erreichbar. Wer mit der Plattform zusammenarbeitet, kann zudem eine kostenfreie elektronische Schnittstellenanbindung nutzen. Geld verdient Vitabook durch Partnerschaften mit Apotheken, die sich als Partner registrieren lassen und deshalb im System höher gerankt werden.
Starker Widerstand von Ärzten und Apothekern
Um an die Daten von Ärzten und Apothekern zu kommen, ging Bönig ungewöhnliche Wege. Zu Beginn kaufte er Adressdaten deutscher Ärzte. Möglich machte dies ein Urteil des Bundesgerichtshofes, das dieses Vorgehen erlaubte. Allerdings stieß der Gründer bei den Medizinern und Apothekenbetreibern anfangs auf starken Widerstand. „Viele haben sich sehr an uns abgearbeitet und nach Dingen gesucht, die verboten sein könnten.“ Als das nicht gelang, sei Misstrauen gesät worden. „Im Gesundheitssystem wird ganz stark versucht, revolutionäre Akteure fernzuhalten“, kritisiert der Hamburger.
Wie man es trotzdem schaffen kann? „Immer die Willigen suchen, die nicht mehr missioniert werden müssen“, rät Bönig. Und die würden dann wieder andere mitziehen. Lisa Oder