Es müssen karge Zeiten gewesen sein, als Uwe Corsepius 2011 das Generalsekretariat des Rates der Europäischen Union übernahm. So karg, dass der damalige EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker – ausgewiesener Ironiker – bei den Dinnern des Rates witzelte, Corsepius‘ Austeritätspolitik mache nicht einmal vor der Verpflegung der europäischen Staatschefs halt. Was war geschehen? Corsepius kam als Merkels Europaberater aus dem Kanzleramt nach Brüssel. Er war für den deutschen Sparkurs in der Eurokrise verantwortlich gewesen. Das kam bei vielen Mitgliedsstaaten nicht gut an. Knapp zehn Jahre später ist Corsepius wieder im Kanzleramt – wieder als Leiter der Abteilung 5 des Kanzleramtes, Europapolitik. Es ist nun wiederum das Schicksal, das die Ironie ins Spiel bringt, denn ausgerechnet Corsepius ist es jetzt, der beim „Corona-Gipfel“ in der vergangenen Woche die „Sparsamen Vier“, die Regierungen der Niederlande, Dänemarks, Schwedens und Österreichs, dazu bringen sollte, möglichst hohe Zuschüsse für das Corona-Hilfspaket zu bewilligen. Gleichsam ist es das erste Mal, dass die EU Schulden in großem Stil aufnimmt. Es ist ein historischer Moment.
Doch davon hat Corsepius, der Anfang August seinen 60. Geburtstag feiert, schon viele erlebt. Es gibt kaum einen in der Regierung Merkel, der so lange Diplomatie in Brüssel macht wie der gebürtige Berliner. Dabei deutet in den Neunzigerjahren für Corsepius nichts auf eine Karriere im Brüsseler Betrieb hin. Nach seinem wirtschaftswissenschaftlichen Diplom an der Universität Erlangen-Nürnberg promoviert Corsepius am Kieler Institut für Weltwirtschaft im Fach Volkswirtschaft. Bereits unter Kanzler Kohl wird er Mitarbeiter im Referat für wirtschaftspolitische Grundsatzfragen im Bundeswirtschaftsministerium. Nach zweijährigem Zwischenstopp beim Internationalen Währungsfonds im Washington wechselt Corsepius ins Bundeskanzleramt.
Das Thema Europa spielt für Corsepius erst unter Kanzler Schröder eine Rolle. Der setzt ihn im Kanzleramt als Experten für die wirtschaftlichen Aspekte der europäischen Integration ein. Unter Kanzlerin Merkel wird Corsepius schließlich das erste Mal Leiter der Abteilung Europapolitik. Das Dasein eines diplomatischen Außenseiters wird Corsepius auch Jahre später nicht loswerden. Die Medien nennen ihn „Merkels Eurofighter“ oder „Dr. No“, vielleicht auch, weil er die Presse am liebsten meidet, sich selten äußert. Der Diplomatie-Stil des hochgewachsenen, hageren Corsepius sei preußisch direkt, heißt es in Brüssel. Als er Generalsekretär des Rates der EU wird, gibt es viele unerfreute Stimmen. Merkel jedoch hört auf seinen Rat. Seit 2016 ist er wieder auf seinem alten Posten im Kanzleramt. In Europa dürfte er mehr Einfluss haben als die vielen Außenminister, die er in seiner Brüsseler Zeit miterlebt hat. Und das ganz ohne Parteibuch.
Corsepius scheut die Medien
Dem Tagesspiegel gegenüber sagte er einmal über sich selbst, er sei kein Visionär. Corsepius ist kein Politiker mit Weitblick, der zukunftsweisende Konzepte entwickelt. Er ist der Mann fürs Detail. Beim Lissaboner Vertrag arbeitete er unermüdlich an den einzelnen Klauseln mit. Es ist wieder ein historischer Moment, an dem unbemerkt Corsepius beteiligt ist. Kompromisse aushandeln kann er gut, auch wenn das bedeutet, den nüchternen Zahlen zu folgen als am visionären Transportprozess des Green Deals festzuhalten, den Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen noch Ende letzten Jahres vorgestellt hatte.
Statt der ursprünglichen 13,5 Milliarden Euro, die die EU für ihr Forschungsprogramm „Horizon Europe“ eingeplant hatte, bleiben lediglich fünf Milliarden übrig. „EU4Health“, das Programm zur europaweiten Bekämpfung der Covid-Pandemie, schmolz von geplanten 9,4 auf 1,67 Milliarden zusammen. Das ist ein Sieg der Nationalstaaten, die ihre Gesundheitsprogramme weitgehend fern von europäischen Eingriffen halten können. Es wird auch nach dieser Zwischenetappe Corsepius‘ Aufgabe sein, weiter für die deutsche Agenda der Ratspräsidentschaft zu werben und die Mitgliedsstaaten stärker zusammenzubringen. Er tut das natürlich ganz wie es seine Art ist – fernab der Medienöffentlichkeit. David Renke