Cybersecurity icon

Cybersecurity

Kolumne Russland und die dunkle Seite der Kryptowelt

Die Sanktionen gegen Russland zeigen Wirkung – das zeigt der Boom des Markts mit Kryptowährungen. Das Land scheint ein neues Umfeld zu schaffen, um internationale Blockaden zu umgehen. Tim Stuchtey, Rebecca Singer und Dimitri Androssow kommentieren das Vorgehen.

Tim Stuchtey

von Tim Stuchtey

veröffentlicht am 26.05.2023

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen

Krieg bringt nicht nur Leid für die Soldaten und Zivilbevölkerung mit sich, sondern zerstört darüber hinaus den volkswirtschaftlichen Wohlstand einer Nation. Damit diese Kosten nicht nur den überfallenen Staat treffen, sondern auch den Aggressor, haben nach der russischen Invasion der Ukraine, die Vereinigten Staaten, die EU und weitere Länder Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängt. Damit soll zuallererst die russische Rüstungsproduktion erschwert, aber auch der gesellschaftliche Preis für den Zivilisationsbruch erhöht werden. Zu diesem Zweck wurden gezielte, sektorale und allgemeine Sanktionen gegen Russland (und Belarus) verhängt, um den Krieg zu verkürzen und einen politischen Wandel in Russland herbeizuführen. 

Der größte Teil des internationalen Handels – unabhängig davon, ob die USA daran beteiligt sind oder nicht – wird in US-Dollar abgewickelt, da der Greenback nach wie vor die Leit- und Reservewährung des internationalen Finanzsystems ist. Dies hat zur Folge, dass die USA eine überdimensionale und extraterritoriale Macht besitzen, Dollar einzufrieren und Transaktionen über Systeme wie Swift zu sanktionieren. Durch die Ausweitung der Sanktionen nicht nur auf Güter und Dienstleistungen, sondern auch auf das Finanzsystem sollen Russlands Fähigkeit, Handel mit Ländern zu treiben, die sich nicht an den westlichen Wirtschaftssanktionen beteiligen, eingeschränkt werden. Die Annahme ist, dass wenn ein Handel nicht bezahlt werden kann, er auch nicht zustande kommt.

Kryptowährungen sind eine Möglichkeit, Finanzsanktionen zu umgehen. Es ist ja gerade das Wesensmerkmal von Kryptowährungen, ohne das traditionelle Banken- und Finanzwesen auszukommen. Bislang werden Kryptowährungen zudem nicht von einer Zentralbank kontrolliert. Da Bitcoin und Co. neue Formen von Intermediären (digitale Börsen statt Banken) nutzen, umgehen sie die Sicherheitsvorkehrungen und Vorschriften, die zur Vermeidung illegaler Aktivitäten eingerichtet wurden. Es ist daher nur folgerichtig, dass Kryptowährungen von Russland zur Umgehung der westlichen Sanktionen verwendet werden. Nachfolgend wollen wir zeigen, wie dies nach unserem Wissen auch mithilfe russischer Politiker erfolgt.

Verändertes regulatorisches Klima in Russland

Die russische Regierung nutzt Kryptowährungen auf drei verschiedene Arten, um ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit wiederherzustellen und die westlichen Sanktionen zu umgehen. So erlaubt oder duldet der russische Staat den fortgesetzten Betrieb von im Westen verbotenen sogenannten Mixern, die zur Verschleierung von Transaktionen insbesondere im Bereich der Geldwäsche verwendet werden.

Ebenso die Existenz von Börsen, die es Einzelpersonen ermöglicht, mit sanktionierten russischen Banken zu interagieren und Geld unter Umgehung von Swift aus Russland heraus zu transferieren und die illegal erworbenen Gelder zu waschen.

Schließlich zudem die Zunahme des Kryptominings, also des Schürfens neuer Kryptomünzen innerhalb Russlands im vergangenen Jahr. Letzteres deutet auf den Wunsch nach mehr Liquidität im russischen Kryptomarkt hin. Der Mangel an Liquidität ist das Haupthindernis für Russland, im noch größeren Umfang auf Kryptowährungen zur Finanzierung sanktionierter Aktivitäten zu setzen.

Zusammengenommen deuten diese drei Maßnahmen darauf hin, dass die russische Regierung bei illegalen Kryptoaktivitäten nicht nur ein Auge zudrückt, sondern sie aktiv zu fördern und auszunutzen scheint. Sollte sich dies bewahrheiten, rückt Russland damit in die Nähe von Staaten wie Nordkorea und Iran, die staatlich geförderte Programme zur Umgehung internationaler Sanktionen haben.

Wie Russland ein Kryptoökosystem schafft

Seit der russischen Invasion in der Ukraine hat das russische Regime eine politische Kehrtwende in seiner Haltung zu Kryptowährungen vollzogen: Während es noch im Januar 2022 ein Verbot des Minings und der Nutzung von Kryptowährungen vorgeschlagen hat, ist beides mittlerweile voll akzeptiert. Das Schürfen von Kryptowährungen ist sehr energieintensiv, was mit ein Grund dafür ist, dass der Oblast Irkutsk, der Dank dreier Wasserkraftwerke von billigem Strom profitiert, zum Zentrum des Kryptominings geworden ist. So soll Russland derzeit weltweit der zweitgrößte Schürfer von Bitcoin sein, wie im April berichtet wurde.

Die Sperrung des Swift-Systems für russische Banken hat zu einem Boom der Kryptowährungen im Land geführt. Mit ihrer Hilfe gelingt es, auch ohne Nutzung traditioneller Finanzintermediäre, Vermögen außer Landes zu bringen und Geschäfte abwickeln zu können. Das auf die Analyse von Kryptotransaktionen spezialisierte Unternehmen Chainalysis berichtet, dass zwar nicht hinter jeder Buchung in Russland schmutziges Geld steckt, dass aber alleine von 2019 bis 2021 die russischen Börsen 700 Millionen Dollar an schmutziger Kryptowährung erhalten haben. Allerdings wird angesichts der westlichen Sanktionen auch ursprünglich sauberes Geld schnell als schmutzig deklariert, wenn es über sanktionierte Börsen oder Banken transferiert wird, oder wenn es für eine sanktionierte Institution bestimmt ist.

Ähnlich wie traditionelle Banken siedeln sich auch die Dienstleister rund um Kryptowährungen gerne in einem geografischen Cluster an. So versammelt sich die Moskauer Kryptoszene im Moscow International Business Center, auch „Moskau City“ genannt. Hierbei handelt es sich um einen Hochhauskomplex, in dessen Türmen zahlreiche Kryptounternehmen ihren Sitz genommen haben. Dort erlauben es Börsen wie „Suex“, „Chatex“ oder auch „Garantex“ Russen ihr Vermögen mithilfe von Kryptowährung außer Landes zu bringen, wie das US-Finanzministerium feststellte. Der prominente und offene Standort macht deutlich, dass die Betreiber dieser Marktplätze strafrechtliche Verfolgung zumindest durch russische Behörden kaum fürchten müssen. Dies könnte auch an der Nähe zwischen der Kryptoszene und der russischen Politik liegen.

Andrej Lugowoi ist Mitglied des russischen Parlaments, der Duma für die Liberal-Demokratische Partei Russlands (von deren Namen man sich aber nicht täuschen lassen sollte). Dort ist er stellvertretender Vorsitzender des Staatsduma-Ausschusses für Sicherheit und Korruptionsbekämpfung. Dieser Ausschuss ist auch für die Regulierung von Kryptowährungen zuständig. Bevor er Abgeordneter wurde, war Lugowoi für den russischen Geheimdienst tätig und wurde in Großbritannien im Zusammenhang mit dem Mord am Putin-Kritiker Alexander Litwinenko im Jahr 2006 beschuldigt.

Laut Medienberichten soll er zugleich mit einem Zentrum in Verbindung stehen, bei dem Schwarzgeld in Kryptowährungen umgetauscht wird. Diese „Wechselstube“ hat ihren Sitz im Moscow International Business Center. Die Räumlichkeiten sollen der Bratsk Energy Company gehören, die den Oblast Irkutsk (dem Zentrum des Kryptomining) mit Strom versorgt. 22,5 Prozent der Bratsk Energy Company seien demnach im Eigentum von Lugowois Ehefrau, und ihr Einkommen soll in den vier Jahren, in denen sie das Unternehmen besitzt (2017-2020), um das 30-fache gestiegen sein, wie die oppositionelle Plattform „Dossier Center“ von Mikhail Khodorkovsky berichtet. Als Abgeordneter hat Lugowoi begonnen, sich für die Schaffung von staatlich kontrollierten Kryptobörsen einzusetzen. Solche Zusammenhänge deuten auf eine klare Beziehung zwischen der russischen Politik, der Regulierung von Kryptobörsen und illegalen Strömen von Kryptowährungen in Russland hin.

Russland baut seine Kryptofähigkeiten aus

Chainalysis deutet in einem Bericht darauf hin, dass Russland in größerem Umfang auf klassische Formen der Sanktionsumgehung (Briefkastenfirmen, Trophy Assets und traditionelle Geldwäscheoperationen) setzt, statt auf Kryptowährungen. Zugleich beobachtet man aber auch, dass Russland seine Kryptofähigkeiten weiter ausbaut. Zudem versucht das Land sich bei internationalen Transaktionen vom US-Dollar zu lösen und sich anderen Währungen, wie dem Yuan zuzuwenden. Darüber hinaus arbeitet Russland an der Einführung einer eigenen digitalen Währung, die allerdings nur langsam in Gang kommt, dem Land aber zukünftig mehr Spielraum zur Umgehung westlicher Sanktionen verschaffen dürfte.

Nichtsdestotrotz wird Russland mit der zunehmenden Nutzung von Kryptowährungen im In- und Ausland seine Kryptokapazität weiter ausbauen. Gerade nachdem das EU-Parlament die MiCA-Regulierung (Markets in Cryptoassets) verabschiedet hat, mit der Dienstleistungen rund um Kryptowährungen und -transaktionen in der EU überwacht werden sollen, wird Russland dafür Sorge tragen wollen, weiter Zugang und Gestaltungsmöglichkeiten in dieser alternativen Finanzwelt zu haben. Schließlich ist wegen des fortlaufenden Angriffskrieges auf die Ukraine kaum absehbar, wann das Land auf den herkömmlichen (Dollar-dominierten) Finanzmärkten wieder Fuß fassen kann.

Tim Stuchtey ist geschäftsführender Direktor des Brandenburgischen Instituts für Gesellschaft und Sicherheit (BIGS).

Rebecca Singer ist studentische Hilfskraft am BIGS und beendet gerade ihren Master mit einer Spezialisierung auf das Management von Finanzkriminalität am Middlebury Institute of International Studies in Monterey, California.

Dimitri Androssow ist ein Vorstandsmitglied bei der Partei der Volksfreiheit (PARNAS) in Russland. Im Mai 2022 musste er das Land aufgrund von politischer Verfolgung verlassen. Seitdem ist er Gastwissenschaftler am BIGS.

In unserer Kolumnenreihe „Perspektiven“ kommentieren unsere Autor:innen regelmäßig aktuelle Entwicklungen, Trends und Innovationen im Bereich Cybersicherheit. Zuletzt von Tim Stuchtey erschienen: Was das Rip-and-Replace-Szenario mit Managementfehlern zu tun hat

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen