Standpunkte Zirp, zirp, zirp im Bundesinnenministerium

Russland setzt auf hybride Bedrohungen, China auf zunehmende Cyberaggressionen und in den USA verbündet sich der Präsident mit den Techbro-Milliardären. Aus dem Bundesinnenministerium klingt derweil dröhnende Stille, kritisiert Manuel Atug von der AG Kritis. Für ihn ist klar: Es geht um mehr als nur digitale Souveränität.
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Jetzt kostenfrei testenImmerhin 17 deutsche Innenministerien (Bund und Länder zusammengenommen) sind verantwortlich und zuständig für die innere Sicherheit und die Verwaltung. Das Bundesinnenministerium (BMI) hat bekanntermaßen folgende Geschäftsbereiche unter seiner Hoheit:
- Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV)
- Bundeskriminalamt (BKA)
- Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI)
- Bundespolizei (BPOL)
- Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (Zitis)
Darüber hinaus noch im Rahmen des Bevölkerungsschutzes und der Katastrophenhilfe das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) sowie die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW). Alle diese Behörden sind derzeit besonders gefordert (oder könnten es demnächst sein): Während Russlands Präsident Wladimir Putin immer offenere hybride Bedrohungen in Europa und auch Deutschland wirken lässt, China uns zu deindustrialisieren versucht und offensiv ancybert, entwickeln sich die USA mit ihrem Präsidenten Donald Trump und seinen sogenannten „Techbro-Milliardären“ zu einem neuen Aggressor.
Noch 2022 hatte man vor russischem Virenscanner gewarnt
Diese disruptiven Veränderungen führen zu intensiven Diskussionen in Deutschland, Europa und der ganzen Welt. Vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Lage könnte man auch im BMI mehr Geschäftigkeit erwarten. Doch es klingt eher nach „Zirp, zirp, zirp“. Weder wird eine Produktwarnung zu US-Cloud oder US-KI ausgesprochen, noch eine Abkehr-Empfehlung kommuniziert oder angewiesen.
Das sah Anfang 2022 mal anders aus, da hatte das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) eine Produktwarnung vor Kaspersky-Virenschutzsoftware vorgenommen. Sie war nicht logisch in sich geschlossen, denn es gab einige kritische russische Software und Produkte nach diesem Maßstab. Das BSI musste dafür einige Kritik einstecken, ob der fehlenden vollständigen Logik. Die Fachaufsicht und damit verantwortlich und zuständig ist und bleibt aber das BMI, was solche Themen angeht. Seit dieser Warnung ist es sehr still geworden. Dabei stellen die unvorhersehbaren und rücksichtslosen Entscheidungen des US-Präsidenten unsere Versorgungssicherheit infrage.
Und nicht nur das, es wird weiter fleißig eingekauft: Deutsche Geheimdienste und Strafverfolgungsbehörden nutzen Palantir KI-Softwarelösungen von Peter Thiel. Und Innenminister fordern weiterhin fröhlich die vom Europäischen Gerichtshof schon seit über fünfzehn Jahren (!) immer wieder als verfassungswidrig erklärte Vorratsdatenspeicherung – was am Ende noch mehr Bedarf an Palantir bedeutet. Alles nur eine Frage der Digitalen Souveränität?
Die „Techbros“ beteiligen sich am Rückbau demokratischer Institutionen
Nein. Am Ende geht es bei der Debatte nicht nur um Digitalisierung, es geht auch um die Frage in was für einer Gesellschaft wir leben wollen. Konzerne wie Palantir, X, Open AI, Amazon oder Meta, machen gemeinsame Sache mit Trump und seinem Vizepräsidenten J.D. Vance, nehmen demokratische Institutionen ins Visier auf und stürzen das System um. Projekt 2025 ist der öffentliche Bauplan für all das. Vordenker für Thiel und Co ist Curtis Yarvin, der ebenfalls keinen Hehl aus seinen Ansichten und Bauplänen macht.
Beispiel? Bekannte US-Investoren und Unternehmer sprechen ganz unverhohlen von sogenannten „Freedom Cities“, in denen Technologien ohne Auflagen getestet und Konzerne ohne Regulierung agieren dürfen. Die Bandbreite reicht von den Herstellern von Autonomen Waffensystemen über Gentherapien bis hin zur Kernspaltung. Und auch in Deutschland scheinen diese Gedanken nicht länger absurd, wie 2023 die ARD berichtete.
Es lässt sich feststellen, dass gerade viele Millionen deutsche Steuergelder bei Menschen landen, die unverhohlen mit faschistischen Ideologien liebäugeln. Ab wann wird man eigentlich zum Mittäter? Frage für eine Freundin. In Sachen (digitale) Souveränität schaffen wir nicht nur die benötigte Kehrtwende nicht, wir schaffen sie auch geschmeidig weiter ab. Und das BMI schaut zu, wie das BSI eine Kooperation mit Google, Oracle oder Amazon AWS eingeht. Während all das geschieht, begründet das BSI Kooperationen wie folgt:
„Dieses Spektrum muss aus Sicht des BSI so gestaltet sein, dass auch US-amerikanische Angebote unter nationaler oder europäischer Kontrolle genutzt werden können – sowie stets ein Wechsel hin zu nationalen Lösungen möglich sein muss. Durch die breite strategische Aufstellung wird Wahlfreiheit gefördert und zusammen mit dem kontrollierten Einsatz Souveränität und auch das Schutzziel Verfügbarkeit adressiert.“
Wir fragen uns alle, wie viel Kooperation passt in Digitale Souveränität? Ein Bündnis von über 30 zivilgesellschaftlichen Organisationen hat einen Forderungskatalog für eine „digitale Brandmauer" gegen Faschismus vorgelegt. Unter anderem mit dabei sind die AG Kritis, Amnesty International, der CCC, D64, die Deutsche Vereinigung für Datenschutz e.V., Digitalcourage, Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (Fiff) e. V., Load e.V. – Verein für liberale Netzpolitik und viele mehr.
Die Gesellschaft für Informatik e.V. geht einen relevanten Schritt weiter und bemängelt nicht nur die Kooperation aus Sicht nationaler Sicherheit und Cybersecurity, „sondern auch die strategische Autonomie und Handlungsfähigkeit der Bundesbehörden“ und bemängelt das Geschäftsmodell von Google, welches „primär auf der Erfassung, Analyse und Verwertung von Daten Dritter“ basiert. Man stelle sich besser nicht genauer die Frage, worauf das Geschäftsmodell von Palantir basiert. Inzwischen warnen Norwegen und Dänemark vor US-Cloud-Anbietern und sogar die EU-Kommission arbeitet an Vergabekriterien, um die digitale Souveränität zu adressieren.
Im BMI, den zugehörigen Geschäftsbereichen, dem weiteren deutschen Geheimdienst BND und der nationalen Verteidigung, also dem Bundesministerium der Verteidigung und dessen Geheimdienst MAD, herrscht derweil weiterhin Funkstille. Dabei riskieren wir nicht nur unsere Versorgungssicherheit, sondern am Ende auch unsere Freiheit.
Manuel „HonkHase“ Atug befasst sich mit den Themen EU NIS2, Kritis, Hackback, Ethik, Hybrid Warfare, Cyberresilienz, Bevölkerungs- und Katastrophenschutz. Er ist Gründer und Sprecher der unabhängigen AG Kritis. Im Netz ist er als @HonkHase aktiv. Er ist Experte der European Research Executive Agency (EU REA) und wird regelmäßig für die Bundesregierung und die Bundesländer als Sachverständiger in Fragen der Cybersicherheit und dem Katastrophenschutz berufen.
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