Der Verkehrssektor reißt jedes Jahr die Klimaziele, welche die CDU-geführte Vorgängerregierung nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil 2021 festgelegt hat. Erst vor zwei Wochen hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg entschieden, dass die Bundesregierung ihr Klimaschutzprogramm nachschärfen muss. Ein wesentlicher Grund hierfür ist der Schwerlastverkehr, der zu über 99,9 Prozent mit Dieselmotoren und zu weniger als einem Promille batterieelektrisch betrieben wird. Die Aufgabe, den Schwerlastverkehr klimaneutral zu machen, ist daher ebenso ehrgeizig wie schwierig. Sie kann nur mit technoökonomischem Sachverstand und Pragmatismus gelingen.
Dies bedeutet, dass auch und gerade beim Schwerlastverkehr im Lichte der jeweiligen Einsatzbedingungen entschieden werden muss, welcher Weg zur Klimaneutralität gangbar und jeweils am geeignetsten ist. Nur mit solchen technologieoffenen Lösungen, welche in Deutschland, der EU und erst recht weltweit den Schwerlastverkehr zum Teil rein batterieelektrisch, zum Teil mit Wasserstoff und zu einem wesentlichen Teil mit Kombinationen von beidem klimaneutral machen können, besteht die Chance, mittel- und langfristig Dieselmotoren im Schwerlastverkehr zu ersetzen und bei den Klimazielen in Deutschland, der EU und weltweit endlich voranzukommen.
Aktuelle Wasserstoffinitiativen
Vor kurzem haben sich 80 Unternehmen in einem offenen Brief an die Bundesregierung für „die sofortige Wiederaufnahme einer verlässlichen Förderung der Wasserstoffmobilität“ ausgesprochen. Erst kürzlich hat die Europäische Kommission das vierte IPCEI-Projekt von gemeinsamem europäischen Interesse im Bereich Wasserstoff namens Hy2Move genehmigt und gibt damit bis zu 1,4 Milliarden Euro an öffentlichen Mitteln für Deutschland, Estland, Frankreich, Italien, die Niederlande, die Slowakei und Spanien frei, wie die EU-Kommission mitteilte.
Das Projekt soll technologische Innovationen mit Fokus auf Mobilität und Transport vorantreiben und 3,3 Milliarden Euro an privaten Investitionen freisetzen. Bereits im April trat die Alternative Fuels Infrastructure Regulation (AFIR) zum europaweiten Aufbau von Wasserstofftankstellen in Kraft, welche auch Deutschland verpflichtet. Vor diesem Hintergrund überrascht es, dass sich die Mehrheit des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung gegen den Aufbau der öffentlichen Wasserstoffbetankungsinfrastruktur in Deutschland ausspricht.
Klimapolitischer Hintergrund
Der Gütertransport verursacht rund ein Drittel der Treibhausgase des Verkehrssektors. Dieser ist und bleibt das Sorgenkind bei den Treibhausgasemissionen in Deutschland. Statt der erlaubten 133 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente sind 2023 146 Millionen Tonnen ausgestoßen worden, also 13 Millionen Tonnen zu viel. Zwar wurden die Sektorenziele auf Initiative der Ampel kürzlich abgeschafft, aber nur in Deutschland.
Unsere Emissionen widersprechen aber auch dem Green Deal der Europäische Union, deren „Effort Sharing Regulation“ vorschreibt, welche Ziele die Mitgliedsstaaten unter Berücksichtigung ihrer Wirtschaftskraft erreichen müssen. Wenn Deutschland die EU-Sektorenziele überschreitet, drohen Strafzahlungen im zweistelligen Milliardenbereich, die in der zweiten Hälfte der 2020er-Jahre fällig werden. Ab 2027 muss Deutschland auch Rechte zum Ausstoß von Treibhausgasen erwerben. Um all das zu vermeiden, muss der Verkehrssektor und auch der Schwerlastverkehr einen wesentlichen Beitrag leisten. Es sind daher rasch gute Entscheidungen gefragt.
Problematische Empfehlung mit irritierender Begründung
Die Empfehlung der Mehrheit des Sachverständigenrates zur Priorisierung batterieelektrischer Lkw (BE-LKW) im aktuellen Frühjahrsgutachten ist vor diesem Hintergrund aus deutscher, europäischer und klimapolitischer Sicht problematisch. Noch irritierender ist die Begründung: Um der Empfehlung, den „Schwerpunkt staatlichen Handelns zunächst auf eine Marktdurchdringung von BE-Lkw“ zu legen, praktisches Gewicht zu verleihen, wird unter der fett gedruckten Überschrift „Die Privatwirtschaft hat diesen Weg bereits eingeschlagen“ zunächst zutreffend berichtet, dass „bei Europas größten Lkw-Herstellern … bereits heute batterieelektrische Lösungen für alle Lkw-Segmente, inklusive der schweren Klasse bestellt werden“ können und dass zwei von drei Lkw-Herstellern in die Entwicklung wasserstoffbetriebener Schwerlast-Lkw für Langstrecken erst investieren.
Dabei wird jedoch im Hinblick auf Innovation durchaus problematisch nicht erwähnt, dass es Spezialisten wie etwa die Hersteller Quantron, Faun und Hyzon gibt, die heute schon solche Fahrzeuge auf dem Markt anbieten. Dennoch lautet die Empfehlung am Ende des Absatzes: „Solange die künftige Verfügbarkeit und die Preise von grünem Wasserstoff ungewiss sind, sollte … die direkte Elektrifizierung durch den BE-Lkw bevorzugt werden, während Wasserstoffoptionen weiter entwickelt, getestet und demonstriert werden können.“ Zu kritisieren ist hier, dass die beiden klimaneutralen Eckpunkte Batterieelektrisch und Wasserstoff so diskutiert werden, als wären das unvereinbare Gegensätze.
Technoökonomische Komplementarität statt Gegensatz
Es steht außer Zweifel, dass – wann immer das bei Verfügbarkeit erneuerbarer Energie direkt möglich ist – nicht nur im Verkehr, sondern generell bei industriellen Prozessen aus technischen Effizienzgründen der direkten Elektrifizierung der Vorzug vor dem Umweg über Wasserstoff zu geben ist. Wenn dies nicht direkt geht und der indirekte Weg über Batterie(n) mit relativ geringen Effizienzverlusten praktisch möglich ist, spricht wie im Pkw-Sektor auch bei Lkw nichts gegen diesen Weg.
Wenn aber – wie im Schwerlastverkehr auf Langstrecken und bei vielen anderen Einsatzbereichen, in welchen die Ladeleistungen und Zeitbedarfe für Batterieladungen hierfür nicht ausreichen – die Einsatzbedingungen das nicht zulassen, reicht die Betrachtung der technischen Effizienz nicht aus. Dann ist nach derzeitigem Technologiestand Wasserstoff in Brennstoffzellen-Lkw (FCE-Lkw) in Verbindung mit Batterien für die Rekuperation bei Gefälle, beim Bremsen und natürlich auch bei parallelem Laden, wenn Wasserstoff getankt wird, eine technoökonomisch effiziente Option, um Diesel-Lkw zu ersetzen. Zumindest im Stau oder in der Stadt wird dann batterieelektrisch gefahren – und je nach Batteriegröße immer dann, wenn das in Anbetracht der Einsatzbedingungen möglich und wirtschaftlich ist.
Nach unseren Projekterfahrungen beim FIM Forschungsinstitut für Informationsmanagement und dem Institutsteil Wirtschaftsinformatik des Fraunhofer FIT werden die marktwirtschaftlichen Entscheidungen von Spediteuren, deren Kunden, Investoren in Ladeinfrastruktur und Wasserstofftankstellen dazu führen, dass reine BE-Lkw immer dann genutzt werden, wenn dies praktisch vertretbar ist.
Aber die oben genannten Kombinationen mit unterschiedlich großen Batterien in FCE-Lkw werden ebenfalls genutzt werden. Aufgrund der wesentlich größeren Reichweite solcher Lkw, der geringeren Temperaturabhängigkeit und dem wesentlich schnelleren Tankvorgang reichen deutlich weniger Wasserstofftankstellen aus, als Hochleistungsladepunkte bei reinen BE-Lkw benötigt würden. Daher können diese optimal auf die Verfügbarkeiten von Netzen und EE-Kapazitäten entlang des europäischen TEN-T Netzes verteilt werden – und zwar nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa.
Das Argument der Mehrheit des Sachverständigenrates, dass die Marktpreise für Wasserstoff derzeit ungewiss sind, trifft im Hinblick auf die Weltmärkte, Transportkosten, den Aufbau des Kernnetzes und der Verteilnetze hierzulande fraglos zu. Im Unterschied hierzu ist aber recht gut kalkulierbar, was nach EU-Regulatorik aus erneuerbaren Stromportfolios gewonnener grüner Wasserstoff hierzulande derzeit, auf kurze und auf mittlere Frist kostet. Damit lässt sich gut berechnen, was Tankstellen mit kombinierter Elektrolyse- und Tankinfrastruktur kosten. Und auch die Kosten der Trailer-Transporte sind bekannt. Würde daher die Förderung von BE- und FCE-Lkw nicht auf Eis liegen, könnte man damit rascher beginnen, als der Stromnetzausbau an vielen Orten Ladepunkte für reine BE-Lkw zulässt.
Abweichende Meinung im Sachverständigenrat
Der abweichenden Stellungnahme des Ratsmitglieds Veronika Grimm ist daher zuzustimmen, wenn sie begründet argumentiert, dass „im Verkehrssektor vorausschauendes politisches Handeln, das den technologischen Fortschritt weitest möglich für die Transformation nutzbar macht“ erforderlich ist und „die Antriebstechnologien im Güterverkehr nicht in Konkurrenz [stehen], sondern [sich] ergänzen auf dem Weg zur Klimaneutralität“.
Ein deutscher Sonderweg, stattdessen rein auf BE-Lkw zu setzen, wäre europapolitisch und im Hinblick auf Maschinen und Anlagenbauer, Lkw-Hersteller, Spediteure, deren Kunden, Investoren ein entscheidender Fehler. Dieser würde dazu führen, dass Diesel-Lkw ein wesentlich längeres Leben haben, als das klimapolitisch gewollt sein kann. Wenn sich die Bundesregierung diesen Sonderweg zu eigen macht und in der EU damit erfolgreich ist, wird sich nicht nur Deutschland, sondern die gesamte EU vom Zukunftsmarkt der Wasserstoffmobilität verabschieden. Das können und sollten wir besser machen.