Im Jahr 2045 soll Deutschland klimaneutral sein. Das Herz der Transformation ist die Energiewende, die mit Putins Angriffskrieg auf die Ukraine noch mehr Relevanz bekam, denn erneuerbare Energien sind Friedens- und Freiheitsenergien. Die wesentlichen Stellschrauben dazu werden in den ländlichen Räumen gestellt. Sie sind die Zukunfts- und Chancenräume. Hier entscheidet sich, ob wir die Herausforderungen unserer Zeit meistern, den Zusammenhalt stärken und für alle Menschen gleichwertige Lebensverhältnisse sowie klimaneutralen Wohlstand schaffen.
Mit dem Bau von Windrädern, Solarparks und modernen Biomethananlagen gewinnen wir hier die Energien der Zukunft, klimaneutralen Strom, Biomethan sowie Wasserstoff und machen uns unabhängig von Diktatoren und Despoten. Hier sollen die nachwachsenden Rohstoffe für nachhaltige Dämm- und Baustoffe der Zukunft und die gesunden klimafreundlichen Lebensmittel für unsere regionale Ernährung, für Schulen, Kitas und Co produziert werden.
Hier müssen wir die Moore wieder vernässen und die Wälder klimastabil umbauen. Und um das kostbare Gut Wasser in den Kreislauf zurückzubringen und zu speichern, benötigen wir hier die Renaturierung von Auen, Feuchtwiesen und Flusslandschaften. Hier gilt es, mit Vielfalt in der Landschaft, mit Hecken, Gehölzen, Blüh- und Mähwiesen, mit Agroforst und kleinen Ackerstrukturen das dramatische Artensterben zu beenden.
Und hier wird sich entscheiden, wie sich Deutschland als klimaneutraler Wirtschaftsstandort in Zukunft behaupten wird. Gerade energieintensive Unternehmen werden sich vor allem da niederlassen, wo preiswerte grüne Energie erzeugt wird.
All das zeigt, wie zentral die Rolle der ländlichen Regionen ist. Wie gut uns die Modernisierung Deutschlands zum Wohle aller gelingt, hängt maßgeblich davon ab, inwieweit wir die Menschen dafür gewinnen, diese Modernisierung mitzugestalten und sie zu ihrem eigenen Projekt zu machen. Große anstehende Veränderungen können uns alle verunsichern. Und viele leben bereits seit Generationen hier, engagieren sich für ihre Heimat. Aber die Chancen sind enorm, dass günstiger Strom und regionale Wertschöpfung Dörfer und Kleinstädte neu aufleben lassen.
Transformation in ländlichen Räumen ist weit mehr als ein Ingenieursprojekt
Die klimaneutrale Zukunft gelingt nur gemeinsam mit den Menschen auf dem Land. Deshalb ist es wichtig, sie angemessen zu beteiligen. Einige Bundesländer wie Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg setzen bereits eine gesetzlich verpflichtende Bürgerbeteiligung um. Aber auch das wird nicht alle erreichen, weil viele Menschen sich Anteile an Wind- oder Solarparks gar nicht leisten können.
NRW arbeitet dazu an neuen Regelungen. Hier soll die Beteiligung auch in Form von vergünstigten Stromtarifen oder -produkten erfolgen. Darüber hinaus soll es möglich sein, pauschale Zahlungen an Anwohner:innen vorzusehen oder Gelder in Projektgesellschaften/Stiftungen fließen zu lassen, die vor Ort beispielsweise soziale Projekte unterstützen.
Auf kommunaler Ebene können die zusätzlichen Einnahmen bereits jetzt schon zielgerichtet eingesetzt werden, wie zur Finanzierung von preisgünstigen öffentlichen On-Demand-Verkehren. Über Bürgerbefragungen oder einen sogenannten Bürgerhaushalt könnten alle Menschen noch mehr direkt mit ihren Ideen beteiligt werden. Alle auf dem Land sollten mitgestalten und mitentscheiden können, denn eine lebendige Zivilgesellschaft ist das Rückgrat unserer Demokratie. Es ist deshalb wichtig, viel Energie auch in professionell begleitete Prozesse zu stecken.
In Coesfeld im Münsterland konnte so 2021 dank einer frühen Bürgerbeteiligung und vielen Informationsprozessen organisiert durch die Stadt ohne die sonst üblichen Klagen, Gerichtsverfahren und Konflikte der größte Windpark Nordrhein-Westfalens, der drittgrößte Deutschlands, eingeweiht werden. Und der Gewinn bleibt vor Ort: Die Hälfte der Anteile an dem Windpark gehört den Menschen in Coesfeld. Ein Viertel besitzen die Landwirt:innen, auf deren Grundstücken die Windräder stehen und ein weiterer Teil die örtlichen Stadtwerke. Eine Bürgerstiftung bekommt ebenfalls Geld aus dem Stromgeschäft.
Was wir bisher auf den Weg gebracht haben
Damit noch mehr Wertschöpfung vor Ort ankommt, haben wir in der Ampel die finanzielle Beteiligung der Kommunen an Wind- und Freiflächenanlagen deutlich ausgeweitet. Für jede Windanlage gibt es bis zu 20.000 Euro kommunale Beteiligungsgelder im Jahr.
Auch die Gewerbesteuer für die Erneuerbaren-Projekte kommt künftig in erheblich größerem Umfang bei den Kommunen an. Sie wird nun zu 90 Prozent nach dem Verhältnis der installierten Leistung der Anlagen verteilt. Das Verhältnis der Arbeitslöhne wird nur noch zu zehn Prozent berücksichtigt. Die vorherige Regelung war für die Standortgemeinden nachteilig. Die Neuregelung wird sich erstmals 2023 in den Kassen der Standortgemeinden bemerkbar machen.
Wir haben außerdem die Bürgerenergiegenossenschaften gestärkt, Agri-PV auf 2,5 Hektar je Hof privilegiert und den selbst erzeugten Strom begünstigt. Für eine weitere Erhöhung der 0,2 Cent Beteiligung der Kommunen setze ich mich ein.
Damit aber nicht nur für die Produktion von klimaneutraler Energie, sondern auch für regionale, möglichst ökologische Lebensmittel und nachhaltige Rohstoffe mehr Geld auf dem Land bleibt, haben wir in der Förderpolitik den Fokus auf regionale Wertschöpfung gesetzt: Die „Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW) haben wir mit der Abschaffung der 50 Kilometer Regel und Hinzunahme der Daseinsvorsorge in ihrem Kern neu aufgestellt.
Das „Bundesprogramm Ländliche Entwicklung“ haben wir zu einem „Bundesprogramm Ländliche Entwicklung und regionale Wertschöpfung“ weiterentwickelt; ein 100 Millionen-Euro-Transformations-Unterstützungsprogramm nur für Kleinunternehmen aufgelegt sowie einen Modellregionen-Wettbewerb Ernährungswende und mehrere Wertschöpfungskettenprogramme für Lebensmittel und Co aufgesetzt. Für die Themen Klimaanpassung, Wasser und Artenvielfalt konnten wir vier Milliarden Euro im Haushalt über das Bundesprogramm „Natürlicher Klimaschutz“ verankern.
Was noch zu tun ist
Aber es gibt noch viel zu tun. Wir brauchen einen Check für ländliche Räume, bei dem alle Förderprogramme gezielt überprüft werden, ob sie deren spezifische Belange ausreichend berücksichtigen. Wir benötigen jetzt überall die Manager:innen, die als Klimamanager:in, als Ernährungsmanager:in und Biodiversitätsmanager:in an den vielen Schnittstellen den Wandel koordinieren, begleiten und vorantreiben.
Wir benötigen bundesweit Maßnahmen, die eine Kultur des „Ermöglichens“ und ein „Wir-Gefühl“ entstehen lassen, damit aus dem Ingenieursprojekt der Modernisierung auch ein gesamtgesellschaftlich getragenes Projekt hervorgeht.
Und wir müssen die Frauen in ihren besonders wichtigen Rollen in den ländlichen Räumen besser unterstützen. Egal ob im Ehrenamt oder in Unternehmen, in Schulen, Kitas oder bei der Pflege sorgen sie doch dafür, dass vieles besser läuft und dennoch sind sie strukturell oft benachteiligt.
Deshalb brauchen wir jetzt auch mehr Mittel für die ländliche Entwicklung in der GAK, der „Gemeinschaftsaufgabe Agrar- und Küstenschutz“, für die Unterstützung der Menschen bei den Prozessen genauso wie für die Daseinsvorsorge, die Kultur und soziale Orte des demokratischen Miteinanders. Wir setzen uns ein für die Entfristung des Regionalbudgets, mehr regionale Wertschöpfung in der GAK sowie weitere Erleichterungen bei der Mittelverwendung.
Aber auch die Länder müssen ihren Teil dazu beitragen, damit die Mittel besser abfließen. Denn 2022 sind etwa 397 Millionen Euro aus der GAK gar nicht abgerufen worden. Viel Geld, was den ländlichen Räumen für immer verloren geht.
Bis aber all diese Maßnahmen greifen und das Land angemessen profitiert, ist es unsere Pflicht, uns mit den Menschen auf dem Land bei den gewaltigen Aufgaben zu solidarisieren und sie massiv zu unterstützen. Denn die Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft muss jetzt gelingen.