Bislang hatten nur sehr wenige der knapp 20.000 Unternehmen der öffentlichen Hand in Deutschland ihren Lagebericht um eine nichtfinanzielle Erklärung zu erweitern, in der sie über Nachhaltigkeitsthemen berichten. Dies ändert sich mit der Umsetzung der europäischen Richtlinie für die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (CSRD) in nationales Recht. Mit der Berichtspflicht ist auch eine gesetzliche Prüfungspflicht zu erfüllen, übergangsweise als Prüfung mit begrenzter Sicherheit. Bei der Einführung des Berichterstattungsprozesses sind somit immer zwei Perspektiven zu beachten: eine robuste Erstellung und die Prüfungsfähigkeit.
Welche öffentlichen Unternehmen sind wann betroffen?
Neu in Bezug auf den Anwendungskreis der Berichts- und Prüfungspflicht ist, dass alle großen Unternehmen in der Rechtsform einer AG, KGaA, GmbH sowie OHG und KG den Berichtspflichten der CSRD beziehungsweise dem deutschen Umsetzungsgesetz (UG) unterliegen. Zudem müssen viele öffentliche Unternehmen unabhängig von ihrer Unternehmensgröße ihren Jahresabschluss und Lagebericht analog zu den für große Kapitalgesellschaften geltenden Bestimmungen aufstellen und prüfen lassen. Hierunter fallen öffentlich-rechtliche Organisationsformen wie Eigenbetriebe, Zweckverbände, Anstalten des öffentlichen Rechts, Verbandskörperschaften oder Stiftungen. Teilweise – und mit Verweis auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – sehen wir hier allerdings bereits vorbereitete oder durchgeführte Änderungen von gesetzlichen Vorschriften auf Landesebene beziehungsweise von Satzungen auf Unternehmensebene, um den Anwenderkreis bei Unternehmen der öffentlichen Hand zu reduzieren.
Unternehmen, die bereits der Pflicht zur Erstellung einer nichtfinanziellen Erklärung unterliegen, haben die neuen Anforderungen an die Berichterstattung für Geschäftsjahre zu erfüllen, die am oder nach dem 1. Januar 2024 beginnen. Die Bundesregierung geht davon aus, dass das CSRD-UG noch dieses Jahr in Kraft tritt. Für das Berichtsjahr 2024 soll die Fiktion gelten, wonach der für das Geschäftsjahr 2024 bestellte Abschlussprüfer auch gleichzeitig als Prüfer des Nachhaltigkeitsberichts gilt. Wir raten Berichtsverantwortlichen zur frühzeitigen Abstimmung mit ihrem Prüfer insbesondere bei Festlegung der Berichtsinhalte. So können Unternehmen langwierige Diskussionen mit ihren Prüfern in der zeitkritischen Phase des Erstellungsprozesses oder nicht mehr zu behebende Unzulänglichkeiten vermeiden. Für neu in Bezug auf den Anwendungskreis betroffene Unternehmen beginnt die Berichterstattungspflicht für ab dem 1. Januar 2025 beginnende Geschäftsjahre. Es ist wünschenswert, dass es zur zeitlich gestaffelten Umsetzung kommt und die „Erstanwender 2025“ sich an den Nachhaltigkeitsberichten 2024 orientieren können.
Wesentlichkeitsanalyse als Ausgangspunkt des Nachhaltigkeitsberichts
Die Inhalte des Nachhaltigkeitsberichts sind überwiegend an die Ergebnisse der sogenannten Wesentlichkeitsanalyse geknüpft. Bei der Durchführung der Wesentlichkeitsanalyse haben Unternehmen einen erheblichen Ermessensspielraum. Die Wesentlichkeitsanalyse umfasst die beiden Perspektiven des Nachhaltigkeitsberichts:
- Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft, die sich über den eigenen Geschäftsbetrieb hinaus auch aus der vor- und nachgelagerten Wertschöpfungskette ergeben (Impact Materiality) sowie
- finanzielle Auswirkungen von Risiken und Chancen, denen das Unternehmen im Zusammenhang mit Nachhaltigkeitsaspekten ausgesetzt ist (Financial Materiality)
Die Wesentlichkeitsanalyse bezeichnet den Prozess zur Identifizierung der Auswirkungen sowie finanziellen Risiken und Chancen (Impacts, Risks and Opportunities, IRO) sowie deren Bewertung. Negative Auswirkungen sind nach Ausmaß, Umfang und Unabänderlichkeit der Auswirkungen zu bewerten. Ähnlich ist bei positiven Auswirkungen vorzugehen. Die Bewertung der Auswirkungen hat unter Einbeziehung der betroffenen Stakeholder (einschließlich der Natur als „stiller“ Stakeholder) zu erfolgen. Im nächsten Schritt sind Schwellenwerte festzulegen, welche IRO für das Unternehmen wesentlich sind. Sobald Auswirkungen sowie finanzielle Risiken und Chancen als wesentlich eingestuft wurden, sind die konkreten Berichtsanforderungen zu bestimmen.
Eine von Forvis Mazars durchgeführte Umfrage zum Stand der Wesentlichkeitsanalyse in den DAX40-Unternehmen hat eine sehr große Streuung hinsichtlich der Anzahl der zu berichtenden Nachhaltigkeitsthemen ergeben. Der Ausübung des Ermessensspielraums durch die öffentlichen Unternehmen ist sicherlich eine Vorbildfunktion für Unternehmen der Privatwirtschaft beizumessen.
Handlungsempfehlung bei der Erstellung:
- Um alle für das Unternehmen wesentlichen IROs zu ermitteln, ist zunächst eine Bestandsanalyse durchzuführen. Hierfür empfehlen wir unternehmensspezifische Themenlisten gemäß den Umsetzungsstandards ESRS und ein vertieftes Wertschöpfungskettenprofil. Zudem zu identifizieren sind die passenden internen und externen Stakeholder. Fachbereichs-Expert*innen sind zu bestimmen und zu befragen. Hierbei ist es vor allem wichtig, auf Qualität statt Quantität zu setzen – also die wirklich relevanten Stakeholder zu ermitteln und sie einzubinden.
- Für die Impact Materiality sind die nachhaltigkeitsbezogenen Auswirkungen anhand von Schwellenwerten zu identifizieren und anhand von Schweregrad und gegebenenfalls Eintrittswahrscheinlichkeit zu bewerten. Für die Financial Materiality erfolgt die Ermittlung, Bewertung und Priorisierung der finanziellen Risiken und Chancen auf Basis der Risikomanagementsysteme des Unternehmens.
- Im letzten Schritt steht die Validierung und Konsolidierung der Ergebnisse an.
Darstellung Prüfungsvorgehen:
- Im Prüfungsprozess betrachten wir zunächst, ob der Prozess der Wesentlichkeitsanalyse den Anforderungen der CSRD beziehungsweise der ESRS entspricht. Ein zentraler Punkt dabei ist die Frage, ob alle relevanten Stakeholder eingebunden wurden – entlang der gesamten Wertschöpfungskette des Unternehmens. Eine weitere Frage ist die Einhaltung der vorgegebenen Bewertungslogik.
- Zu einem angemessenen Prozess gehört auch eine Vollständigkeitsüberprüfung der Bestandsanalyse durch das Unternehmen. Außerdem prüfen wir die von den Verantwortlichen definierten Schwellenwerte zur Priorisierung der identifizierten nachhaltigkeitsbezogenen IROs. Wichtig ist hierbei für uns unter anderem eine nachvollziehbare Dokumentation der wichtigsten Entscheidungen.
Aufwand für Nachhaltigkeitsberichte öffentlicher Unternehmen
Wie viel Aufwand die Nachhaltigkeitsberichterstattung für öffentliche Unternehmen bedeutet, ist abhängig von deren Struktur und ihrer Wertschöpfungskette. Die betroffenen Akteure sollten deshalb so bald wie möglich die notwendigen Informationen beschaffen und frühzeitig mit der Implementierung entsprechender Prozesse beginnen.
Eine der größten Herausforderungen ist nach unserer Erfahrung, die unternehmensinternen Kapazitäten und das ESG-Fachwissen aufzubauen. Öffentliche Unternehmen müssen ihre internen Stakeholder definieren, diese einbeziehen und auf die neuen Anforderungen der CSRD und ESRS vorbereiten. Das erleichtert es später unter anderem, die IROs zu definieren und zu bewerten, ist allerdings mit einigem finanziellen sowie personellen Aufwand verbunden.
Die ESG-Verantwortlichen im Unternehmen zu schulen ist auch vor dem Hintergrund wichtig, dass der Gesetzgeber die Verantwortung, nachhaltigkeitsbezogene IROs zu steuern, bei den Firmen selbst sieht. Das bedeutet: Unternehmen können das Thema Nachhaltigkeit künftig nicht mehr auslagern, sondern müssen selbst in der Lage sein, ihre Wesentlichkeitsanalysen durchzuführen. Die Berichterstattung der öffentlichen Unternehmen wird auch zeigen, wie ambitioniert die öffentliche Hand selbst beispielsweise ihre im Klimaschutzgesetz verankerten Klimaschutzvorgaben umsetzt.