Gesundheitsexperten predigen es seit Langem: Prävention kann Leben retten, die Schwere von Erkrankungen verringern, Pflegebedürftigkeit hinausschieben – und dem System auch jede Menge Kosten ersparen. Doch die Deutschen sind bei dem Thema immer noch zu nachlässig. 85 Prozent der Bundesbürger gehen, wie jetzt eine aktuelle Studie zutage förderte, nicht oft genug zu Vorsorgeuntersuchungen. In anderen europäischen Ländern ist das zwar nicht besser, wie eine Befragung von 32.000 Menschen aus 16 Ländern im Auftrag des Arzneimittelkonzerns Stada ergab. Doch das macht die Ergebnisse nicht weniger besorgniserregend.
So nimmt trotz aller Appelle jede:r Vierte hierzulande – exakt 25 Prozent – nach eigenen Angaben überhaupt keine Vorsorgeuntersuchungen wahr. Und nur 15 Prozent der Befragten konnten mit Gewissheit sagen, dass sie zu allen für sie relevanten Präventionsterminen erscheinen. Jedoch ist in Deutschland zumindest der Anteil derjenigen, die zumindest einige Check-Ups wahrnehmen, mit 60 Prozent um einiges höher als im europäischen Durchschnitt (43 Prozent). Doch nur 47 Prozent nehmen ein Hautkrebs-Screening in Anspruch. Und nur 64 Prozent haben schon mal ein Blutbild machen lassen.
Ansonsten steigt die Teilnahme-Bereitschaft mit dem Alter: Von den 18- bis 24-Jährigen gehen lediglich elf Prozent der zu allen Check-Ups, bei den über 70-Jährigen sind es immerhin 23 Prozent. Und zwischen den Geschlechtern gibt es ebenfalls erhebliche Unterschiede. Die Wahrscheinlichkeit, dass deutsche Frauen Vorsorgeuntersuchungen wahrnehmen, beträgt 80 Prozent. Bei den Männern ist sie um zehn Prozentpunkte niedriger.
Fehlendes Wissen und zu wenig Zeit
Tatsächlich, so ermittelte das Institut Human8 Consulting für den Stada Health Report 2023, nehmen in Deutschland beispielsweise nur 17 Prozent der Männer die Hodenkrebs-Vorsorge in Anspruch – während zumindest die Hälfte der Frauen (52 Prozent) zur Brustkrebs-Vorsorge geht. Gynäkologische Untersuchungen werden hierzulande routinemäßig von 80 Prozent aller Frauen, Prostata-Untersuchungen von 54 Prozent der Männer über 55 in Anspruch genommen.
Was die Deutschen von Vorsorgeuntersuchungen abhält, ist der Studie zufolge vor allem fehlendes Wissen. 29 Prozent der Befragten bezeichneten dies als ausschlaggebend. Und das gilt nicht nur für diejenigen, die angaben, über keinerlei (35 Prozent) oder über nur über geringfügiges Gesundheitswissen zu verfügen (28 Prozent), sondern auch für jene, die sich nach eigener Einschätzung in diesem Gesundheitsspektrum ansonsten gut auskennen (26 Prozent). 22 Prozent sind sich zum Beispiel unsicher, welche Präventionsleistungen von ihrer Krankenkasse abgedeckt werden. Und mehr als 30 Prozent wissen nicht einmal, dass Hautkrebs-Screening zu den angebotenen Vorsorgeuntersuchungen gehört.
Ansonsten bezeichneten es 20 Prozent als schwierig, sich für Check-Ups die nötige Zeit zu nehmen. Jeweils weitere 19 Prozent nannten als Grund für nicht wahrgenommene Vorsorge, dass sie sich bei den Untersuchungen unwohl fühlen oder präventive Maßnahmen schlicht für unnötig halten. Und auch die Kosten für Gesundheitsprävention fallen ins Gewicht: Zwar wird diese Begründung hierzulande seltener genannt als im europäischen Durchschnitt (23 Prozent). Jedoch verzichten auch 18 Prozent der Deutschen nach eigenen Angaben auf ausreichende Vorsorge, weil sie ihnen zu teuer erscheint. Und 16 Prozent sind schlicht feige: Sie gehen aus Angst vor einer schlechten Prognose nicht zur Vorsorgeuntersuchung.
Weniger Medikamente und frische Lebensmittel
Besorgniserregend ist noch ein weiterer Befund: Den Angaben zufolge fühlten sich aufgrund der Wirtschaftskrise 58 Prozent der Befragten auch zu Einsparungen bei Gesundheitsausgaben gezwungen. Und das betrifft keineswegs nur Wellness-Behandlungen wie Massagen oder Akupunktur, bei denen jede:r dritte Europäer:in auf die Sparbremse trat. Auch Ausgaben für körperliche Aktivitäten und für frische Lebensmittel wurden deutlich reduziert – und zwar im Schnitt um geschätzte 25 Prozent. In Frankreich berichteten sogar 37 Prozent der Befragten von solchen Sparmanövern beim Lebensmittelkauf, in Deutschland waren es 33 Prozent. Und selbst beim Kauf von Medikamenten berichteten 15 Prozent der Befragten darüber.
Am stärksten gekürzt haben ihre Gesundheitsausgaben der Studie zufolge Menschen in der Tschechischen Republik (71 Prozent), in Rumänien (67 Prozent) und in Serbien (66 Prozent). Von den Befragten in Deutschland gaben 48 Prozent an, dass sich ihre diesbezüglichen Ausgaben nicht verändert haben.
Zufriedenheit sinkt, finanzielle Sorgen steigen
Abgefragt wurde für die Studie auch die Zufriedenheit mit dem jeweiligen Gesundheitssystem. In Deutschland beträgt die Quote der Zufriedenen immerhin 72 Prozent – das sind elf Prozentpunkte mehr als im europäischen Durchschnitt. Allerdings sank die Gesamtzufriedenheit aller Befragten zum dritten Mal in Folge deutlich – im vergangenen Jahr waren es noch 76, im Jahr 2021 sogar 82 Prozent. Ein Trend, der nicht nur weiter untersucht, sondern auch umgekehrt werden müsse, wie es bei den Studienautoren hieß. Dabei gehe es nicht nur darum, die Gesundheitsversorgung zu verbessern, sondern auch um die Menschen zu motivieren, mehr Verantwortung für die eigene Gesundheit zu übernehmen.
Die einzigen Länder mit verbesserten Bewertungen sind Rumänien (39 Prozent und plus acht Punkte im Vergleich zu 2022), Kasachstan (38 Prozent, plus 13 Punkte) und Serbien (34 Prozent, plus drei Punkte). Das Schlusslicht bildet Polen, wo nicht einmal jede:r Dritte mit dem nationalen Gesundheitssystem zufrieden ist (32 Prozent).
Bangen um die Medikamentenversorgung
Konkret äußerte beispielsweise exakt jede:r zweite Befragte Besorgnis über die Versorgungslage mit Arzneimitteln in Deutschland. Darunter gab ein gutes Viertel an, bereits bei sich selber oder nahen Angehörigen Schwierigkeiten beim Besorgen von benötigten Medikamenten erlebt zu haben. Im europäischen Gesamtdurchschnitt betrug die Quote der Befragten mit eigener Mangelerfahrung lediglich 18 Prozent. Allerdings gibt es auch zwei Länder, in denen Engpässe bei der Arzneimittelversorgung als noch kritischer empfunden werden: In Portugal treibt diese Sorge 56 Prozent der Befragten um, in Tschechien 53 Prozent.
Allerdings zeigt die Studie auch, dass die Deutschen deutlich besorgter als andere Europäer:innen. Im internationalen Schnitt nämlich bangen nur 39 Prozent der Befragten um ihre Medikamentenversorgung. Und die finanzielle Lage bereitet den Deutschen ebenfalls stärker Kopfzerbrechen als ihren europäischen Nachbarn: 49 Prozent der Befragten hierzulande sind deshalb in Sorge. International sind es nur 38 Prozent.
Etwas kompensiert werden die beunruhigenden Befunde zu den Vorsorgeuntersuchungen durch Aussagen, wonach 73 Prozent der Deutschen im vergangenen Jahr dennoch anderweitig vermehrt auf sich und ihre Gesundheit geachtet haben – beispielsweise durch gesündere Ernährung. Auch das mentale Wohlbefinden hat sich im Vergleich zu 2022 verbessert – in Deutschland gleichermaßen wie im europäischen Durchschnitt um satte zehn Prozentpunkte. Möglicherweise handelt es sich dabei allerdings auch um eine Reaktion auf das Abklingen der Corona-Epidemie.
Impfen in der Apotheke: Deutsche sind skeptischer
Bei der Frage, ob in Apotheken geimpft werden sollte, sind die Deutschen skeptischer als in anderen Ländern: 45 Prozent würden es befürworten, wenn sie sich ihre Spritzen dort holen könnten, weitere neun Prozent sehen in solchem Apotheker-Service ein Muss. Allerdings ist der Anteil der Befürworter im Vergleich zum vergangenen Jahr um acht Prozentpunkte gesunken.
In anderen Ländern ist der Wunsch nach Impfungen in Apotheken weit größer. So finden 52 Prozent der Franzosen, 42 Prozent der Menschen in Großbritannien und 40 Prozent der Italiener, dass in Apotheken Impfungen ebenfalls offeriert werden müssen.
Für die Online-Studie der Human8 Consulting wurden im Auftrag des Pharmakonzerns Stada von März bis April etwa 30.000 Menschen befragt – darunter jeweils rund 2.000 aus Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Kasachstan, den Niederlanden, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, der Schweiz, Serbien, Spanien, Tschechien, Usbekistan und dem Vereinigten Königreich. Die Ergebnisse sind in puncto Alter, Geschlecht und Region repräsentativ.