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Standpunkte Anreize für Impfungen setzen

Sebastian Moritz, Managing Partner bei TWS Partners
Sebastian Moritz, Managing Partner bei TWS Partners

Anreize oder „Nudging“ sind ein heißes Thema in der Gesundheitsprävention. Angesichts stockender Imfpkampagnen und steigender Inzidenzen schlägt Spieltheoretiker Sebastian Moritz vor, verhaltensökomische Konzepte für Impfwerbung zu nutzen.

von Sebastian Moritz

veröffentlicht am 20.07.2021

aktualisiert am 22.07.2021

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Vor dem Hintergrund der steigenden Infektionszahlen in UK, die aktuell wieder auf dem Niveau vom Januar 2021 liegen, zeigt sich, dass mit der Ausbreitung der Delta-Variante auch in Deutschland eine neue Infektionswelle im Herbst droht. Diese würde aus Sicht von Experten vor allem die noch ungeimpften Bevölkerungsteile mit voller Wucht treffen. Um diese Welle aufzuhalten, ist daher ein konsequentes Impfen der Bevölkerung über den Sommer erforderlich: Offizielles Ziel der Impfkampagne in Deutschland sind mindestens 80 Prozent geimpfte Erwachsene bis zum Herbst. 

Doch bei den Erstimpfungen hat man bereits einen großen Teil der Impfwilligen erreicht, viele Menschen verschieben bereits ihre Impftermine oder nehmen sie nicht wahr. Auch in anderen Ländern, die einen deutlichen Vorsprung beim Impfen aufweisen, wie den USA, UK und Israel, konnte die Quote an Geimpften bisher die 70-Prozent-Hürde nicht übersteigen. Untersuchungen verweisen zudem auf aktuell zirka 24 Prozent an Impfskeptikern in Deutschland. Weitere Gruppen scheiden aus, weil der Impfstoff für sie noch nicht uneingeschränkt empfohlen wird, wie für Kinder oder Schwangere. Andere können aus Unverträglichkeitsgründen oder wegen Allergien nicht geimpft werden. Doch es gibt auch noch diejenigen, die beim Thema Impfen indifferent sind oder die Frage einfach vor sich herschieben.

Anstubsen ja, aber Wahlfreiheit beibehalten

Für diese Gruppen müssen Anreize für Impfungen geschaffen werden. Verhaltensökonomische Konzepte sind dafür besonders geeignet. Diese setzen nicht auf Zwang, sondern lassen Menschen die Wahlfreiheit, sollen aber gesellschaftlich wünschenswertes Verhalten wahrscheinlicher werden lassen. Sie sollen ein Anstoß, aber keine Anordnung sein. Die Ökonomie-Nobelpreisträger Richard Thaler und Cass Sunstein prägten dafür den Begriff des „Nudgings“ (deutsch „Anschubsen“) der Menschen. Vertraute Beispiele hierfür sind Fußspuren auf dem Boden eines Bahnhofs, um Laufwege zu beeinflussen oder Darstellungen von Krankheitsbildern auf Zigarettenschachteln, um Käufer abzuschrecken.

Das berühmte „Behavioural Insights Team“ in Großbritannien, auch Nudge-Einheit genannt, arbeitet mit dem von ihm entwickelten EAST-Konzept für die Entwicklung von verhaltensökonomischen Interventionen. EAST ist dabei die Abkürzung für „easy, attractive, social, timely“ (deutsch „einfach, attraktiv, sozial, zeitgenau“). Dieses Konzept gibt Leitlinien vor, wie Nudges ausgestaltet sein sollten.

Je komplexer Entscheidungssituationen werden und je mehr Informationen vorliegen, desto schwieriger wird es für Menschen, rationale Entscheidungen zu treffen und danach auch zu handeln. Dazu gehört zum Beispiel die Darstellung von Informationen zu den Vor- und Nachteilen des Impfens, aber auch der Prozess des Impfens selbst. Komplexe und mehrseitige Aufklärungsbögen oder verwirrende Anmeldungsprozesse zu Impfungen schrecken verunsicherte Personen ab. Die Hürde, eine Impfung zu erhalten, sollte deswegen so niedrigschwellig wie möglich sein. Darauf zielen Ideen ab, die das Impfen auf Supermarkt-Parkplätzen oder vor anderen Freizeiteinrichtungen mit Hilfe mobiler Impfteams ermöglichen.

Es muss attraktiv sein

Eine Impfung muss über den medizinischen Nutzen hinaus Vorteile versprechen, die der Bevölkerung wichtig sind. Eine verunsicherte Person, die durch einen einfachen (für die Person auch noch kostenlosen) Antigen-Test den selben unmittelbaren Zugang zu einem Flugzeug, Restaurant oder Kino erhält, wird kaum einen Anreiz haben, sich impfen zu lassen. Sollten für Nicht-Geimpfte Personen hingegen striktere Testregeln bestehen, wie zum Beispiel durch die Notwendigkeit eines PCR-Tests, oder dadurch, dass die Kosten für einen Antigen-Test nicht mehr automatisch übernommen werden, dann verändert sich die Situation dramatisch. Dies zeigt sehr gut das Beispiel Frankreich: Nach der jüngsten Ankündigung von Präsident Macron, dass in Zukunft in deutlich mehr Alltagssituationen Tests notwendig sein werden, wurden am Folgetag zwei Millionen Anmeldungen für Impftermine registriert.

Im Extremfall kann das Kalkül der Bevölkerung aber auch durch monetäre Anreize beeinflusst werden. Die automatische Teilnahme an einer Millionen-Dollar Lotterie, wie es bereits in den USA pilotiert wurde, hat viel mediale Aufmerksamkeit erzeugt. 

Das soziale Umfeld nutzen

Die Forschung belegt, dass Menschen dazu tendieren, sozial gewünschtem Verhalten zu folgen. Die Kenntnis dessen, was der Nachbar, Kollege, Freund oder auch ein persönliches Vorbild gemacht haben, hat einen Einfluss auf das eigene Verhalten. In Kombination mit der Nutzung von sozialen Netzwerken kann dies zur Erhöhung von Impfquoten beitragen. Eine Impfaktion im Rahmen des Sommerfests des Sportvereins oder in der Kantine des Unternehmens kann unentschlossenen Personen den entscheidenden „Anstubser“ geben. Genauso erfolgreich hat sich die Kommunikation der Vorteile über „Influencer“ erwiesen, das heißt Personen des öffentlichen Lebens, denen die Impfzielgruppe vertraut. Diese können Sport-Stars sein, denen junge Leute nacheifern, oder Nachrichtensprecher, denen mittlere Semester eher vertrauen.

Eine komplexe Entscheidung erfordert einen signifikanten Einsatz der betroffenen Personen – kognitiv aber auch vom zeitlichen Aufwand her. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass die Personen für die Ansprache empfänglich sind. Eine Impfaktion vor dem Kindergarten morgens um 8 Uhr wird wahrscheinlich weniger Erfolg haben als die Ansprache am Samstag vor einer Waschstraße.

Welche Maßnahmen der Staat und die Privatwirtschaft hierzulande treffen können, damit Herdenimmunität erreicht werden kann, muss im Einzelfall diskutiert werden, aber die Lösungskonzepte der Verhaltensökonomie können einen entscheidenden Beitrag dazu leisten. Denn von einer Herdenimmunität profitieren am Ende alle – und vermutlich kann nur so ein erneuter Lockdown verhindert werden. 

Sebastian Moritz ist Managing Partner bei TWS Partners. Das Unternehmen ist nach eigenen Angaben Marktführer für angewandte Spieltheorie. Seit 20 Jahren arbeitet TWS mit fast 80 hochspezialisierten Beratern an den Standorten München und London für Unternehmen der unterschiedlichsten Branchen. Das Team ist darauf spezialisiert, die Methodik der Spieltheorie und der Verhaltensökonomie bei unternehmerischen Entscheidungen nutzbar zu machen. 

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