Im Dezember letzten Jahres begann die bisher größte Impfkampagne in Deutschland. Seitdem wurden Impfzentren eröffnet, Priorisierungen getroffen und Impfausweise digitalisiert. Mittlerweile wurden über 52 Millionen Deutsche mindestens einmal gegen SARS-CoV-2 geimpft. 57 Prozent der Gesamtbevölkerung haben bereits zwei Dosen erhalten. War die Impfkampagne also erfolgreich?
Mit Sicherheit war der Beginn der Impfkampagne gelungen. Weltweit arbeiteten viele Forschungsgruppen auf Hochtouren, teilten Sequenzdaten der Viren und nutzten Vorkenntnisse aus der MERS-Epidemie. Die Übertragung grundlagenwissenschaftlicher Kenntnisse der mRNA-Technologien in die Vakzinentwicklung war ein großer Erfolg. Das effiziente und zeitsparende Rolling-Review-Verfahren führte zur sicheren Bewertung und Zulassung gleich mehrerer hochwirksamer Impfstoffe durch die europäische Arzneimittel-Agentur EMA.
Großer Erfolg trotz schleppendem Start
Ebenfalls gelungen war die wissenschaftlich fundierte Priorisierungsentscheidung, die in der Frühphase besonders vulnerablen Menschen und kritisch exponierten Beschäftigten im Gesundheitswesen Vorrang einräumte. Ausnahmen bestätigten die Regel: Die vom Verein für Impfaufklärung in Deutschland mit über 4000 teilnehmenden Medizinstudierenden durchgeführte COVRAM-Befragung und RKI-Studien zeigen, dass exponierte Medizinstudierende im Praktischen Jahr erst deutlich später als Ärzt:innen mit ähnlich hoher Exposition geimpft wurden.
Dennoch hatte die Mehrzahl der Berechtigten bereits im März einen vollständigen Impfschutz mit entsprechend stark rückläufigen Hospitalisierungs- und Todeszahlen. Mobile Impfteams schafften zudem schon zu Beginn sehr niederschwellige und komfortable Impfangebote in Alten- und Pflegeheimen. Obwohl der Impffortschritt im internationalen Vergleich gerade zu Beginn teils schleppend verlief, ist es ein großer Erfolg, dass mittlerweile jede:r ein kostenloses und freiwilliges Impfangebot erhalten hat.
Was besser werden muss
Trotzdem: Obwohl vieles gut lief, sind die Zielimpfquoten von über 85 Prozent noch lange nicht erreicht. Woran liegt das, was ginge besser und welche Herausforderungen ergeben sich für die Zukunft?
Teilweise hemmen praktische Barrieren: Ein weiter Weg zum Impfzentrum und umständliche Terminvereinbarungen stellten initial Hindernisse dar. Mit der zunehmenden Verlagerung in Arztpraxen sind wohnortnahe Angebote jedoch mittlerweile die Regel. Aber auch sprachliche Hürden sowie fehlende Aufenthaltspapiere und Krankenversicherungen sind Barrieren, die durch Informationsmaterial auf verschiedenen Sprachen und anonyme Impfangebote überwunden werden sollten. Hier gilt es, noch mehr niedrigschwellige Angebote zu schaffen.
Denkbar sind terminlose Impfangebote in Apotheken, Impfbussen und an ohnehin gut besuchten Orten – etwa in Bahnhöfen, Bildungsstätten, Stadien und Clubs. Vor allem Menschen, die noch unsicher sind und nicht aktiv ein Impfzentrum aufsuchen würden, können durch alternative Impf-Orte besser erreicht werden. Auch bei der Schaffung von alternativen Impfanreizen sind Innovation großzügige Finanzierung und politischer Wille weiterhin gefragt.
Ebenfalls problematisch, aber jetzt hoffentlich überwunden, war die inkonsistente Kommunikation von Bundesgesundheitsministerium und Ständiger Impfkommission (STIKO). Der scheinbare Dissens von Politik und STIKO zur Impfung von Jugendlichen hat Vertrauen gekostet und für Verunsicherung gesorgt. Jedoch wurde in der Nutzen-Risiko-Analyse der STIKO nur eine sehr enge Abwägung von individuellen Covid-Folgen gegen individuelle Impfrisiken vorgenommen. Die psychosozialen, körperlichen und gesellschaftlichen Folgen der Corona-Restriktionen insbesondere für junge Menschen (Schulschließungen, Bewegungsmangel, ökonomische Bürden für die Zukunft), die aus niedrigen Impfquoten und fehlenden Handlungskonzepten von Seiten der Politik resultieren, wurden zunächst weitgehend außer Acht gelassen.
Mit über zehn Millionen erfolgreich geimpften Jugendlichen in den USA und immerhin einer Million geimpften Jugendlichen in Deutschland gibt es mittlerweile eine exzellente Datengrundlage für die endlich erfolgte STIKO-Empfehlung zur Impfung von Jugendlichen.
Aufklärung ist entscheidend
Zugegebenermaßen anspruchsvoll, aber in Teilen der Gesellschaft leider nicht sehr zielgruppengerecht und erfolgreich, war die Aufklärungskampagne. Denn Hauptursachen für die ausbaufähigen Impfquoten sind weiterhin mangelnde Aufklärung, Desinformation und gelegentlich auch Skepsis gegenüber staatlichen Institutionen. Gegen dieses Unwissen hätte schon von Anfang an stärker vorgegangen werden müssen. Laut COSMO, einem Gemeinschaftsprojekt des RKI und der Universität Erfurt, schätzen Ungeimpfte die Wirksamkeit der Impfstoffe mit gerade einmal 50 Prozent grob falsch ein. Der sehr effektive Schutz der Impfstoffe vor symptomatischen Verläufen und Hospitalisierung wird auch in der Gesamtbevölkerung stark unterschätzt. COSMO zufolge wussten nur etwa 34 Prozent der Befragten, dass eine Impfung auch die Wahrscheinlichkeit einer Weiterübertragung enorm senkt. Evidenzbasierte Informationen zu Wirkung und Risiken der Impfung müssen daher noch leichter zugänglich und verständlich aufbereitet sein, um möglichst viele zu erreichen – denn je besser die Befragten über Impfungen informiert waren, desto höher war auch ihre Impfbereitschaft.
Dort setzen studentische Initiativen wie der Verein für Impfaufklärung in Deutschland an: Vor allem Jüngere möchten wir über Social Media und Podcasts zum Thema Impfungen erreichen. Bei Jugendlichen haben Peers einen großen Einfluss auf die Impfentscheidung. Daher besuchen wir als Medizinstudierende, die selbst nicht viel älter als die Schüler:innen sind, Schulklassen und informieren dort interaktiv über die Relevanz von Impfungen. So wollen wir Grundlagen für eine informierte und bewusste Entscheidung schaffen.
Impfaufklärung ins Medizinstudium
Insgesamt hat die Pandemie deutlich gezeigt, dass wir in Zukunft noch mehr in wissenschaftliche Aufklärung und Bildung investieren müssen. Konkret sollte Impfaufklärung langfristig ins Kerncurriculum medizinischer Ausbildungen aufgenommen werden, da medizinischem Personal eine besonders große Verantwortung und viel Vertrauen bei Impfkampagnen zukommt. Zugleich muss in Schulen bundesweit Basiswissen zu Impfungen, Immunität und Umgang mit Wissenschaft vermittelt werden, wie es in einigen Bundesländern bereits der Fall ist. Darüber hinaus hat der sozioökonomische Status einen großen Einfluss auf die Gesundheit. Wer sozial benachteiligt ist, schlechteren Zugang zu Bildung hat oder in prekären Verhältnissen lebt, hat eine um viele Jahre verkürzte Lebenserwartung. Das war schon vor der Pandemie so und verschärft sich durch diese nochmals.
Für gesunde, selbstbestimmte und freie Entscheidungen maßgebende Faktoren sind daher nicht neu und bleiben politische Ziele: Bildung, Teilhabe, transparente Kommunikation und verständliche Aufklärung. Denn nur wenn wir die Menschen dort abholen, wo sie sind, können wir gemeinsam die Zielimpfquoten erreichen.
Liv Jürgensen, Vorsitzende der Lokalgruppe Berlin des Vereins für Impfaufklärung in Deutschland e.V., Medizinstudentin an der Charité.