Zwei Jahre Pandemie offenbaren die Schwächen unseres Gesundheitssystems dramatisch wie nie: Kliniken, Ärzt:innen und Pflegepersonal arbeiten jenseits ihrer Kapazitäten und Kräfte, müssen geplante Operationen verschieben und die Triage als Ultima Ratio diskutieren. Unser Gesundheitssystem stößt immer wieder an seine Grenzen.
Die neue Bundesregierung steht vor der Aufgabe, dieses System zu modernisieren – gemeinsam mit den Betreiber:innen der Gesundheitseinrichtungen, dem medizinischem Fachpersonal und den Kostenträgern. Ganz oben auf der Prioritätenliste sollte dabei die Professionalisierung, also vor allem die flächendeckende Digitalisierung der Verwaltung stehen. Damit kann auch dem Personalmangel entgegengewirkt werden. Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass dieser zum alles limitierenden Faktor wird und Ärzt:innen und Pfleger:innen die Basis und wichtigste Stütze unseres Gesundheitssystems sind – etwa wenn Intensivbetten nicht belegt werden können, weil schlicht das Personal fehlt.
Digitale Prozesse schaffen bessere Arbeitsbedingungen
Das Personalmanagement und die Verwaltung medizinischer Einrichtungen in Deutschland basieren zum Teil auf veralteten, analogen Prozessen. Die Folge: komplizierte, unflexible und vor allem ineffiziente Abläufe, die hohe Kosten, Qualitätsmängel und im schlimmsten Fall Versorgungsengpässe verursachen. Wir spüren den daraus resultierenden Fachkräftemangel und die chronische Überlastung unserer Ärzt:innen und Pflegekräfte überall – in den Städten genauso wie in den ländlichen Regionen. So verbringen Ärzt:innen bis zu vier Stunden ihrer täglichen Arbeitszeit mit Verwaltungs- und Dokumentationstätigkeiten. Zeit, die an bürokratische Prozesse verschenkt wird und bei der Behandlung von Patient:innen fehlt. Angesichts solcher Umstände verlassen viele Fachkräfte das Gesundheitssystem, die ohnehin angespannte Situation verschärft sich, ein Teufelskreis beginnt.
Digitale Lösungen können in dieser Situation rasche und qualifizierte Abhilfe schaffen. Allein am Beispiel eines digitalen Dienstplanes zeigt sich eindrucksvoll, wie viele Ressourcen freigesetzt werden, wenn der Einsatz des Personals digital optimiert wird: Gesetzliche und tarifrechtliche Rahmenbedingungen sind automatisch hinterlegt, ebenso Arbeitszeiten, Pausen und Urlaubstage. Die Organisation über solche Software-Plattformen erlaubt es, alle aktuellen Pläne zu teilen und den Mitarbeiter:innen per Smartphone zugänglich zu machen. Bürokratischer Aufwand entfällt, Arbeitszeit für die Betreuung von Patient:innen wird frei. Medizinisches Personal wird entlastet und ist zufriedener.
Und das Potential eines digitalisierten Gesundheitssystems ist noch größer: Werden alle Verwaltungs- und Organisationsprozesse einer Klinik über digitale Plattformen abgewickelt, erledigen sie sich schneller, effizienter, kostengünstiger und mit minimalem Personalaufwand. Eine Erhebung des Statistischen Bundesamtes 2021 ermittelte gar, dass rund 70 Milliarden Euro und damit über 60 Prozent der Ausgaben in Krankenhäusern auf das Personal entfallen. Umso essentieller also, dass personelle Kapazitäten bestmöglich zum Einsatz kommen.
Aufgabe der Politik ist es, diesen Modernisierungsprozess im Jahr 2022 nach Kräften zu unterstützen und wenn nötig die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu schaffen. Sie muss die öffentlichen und privatwirtschaftlichen Ressourcen bündeln und unser Gesundheitssystem stärken. Auf diese Weise kann sie den Weg ebnen, um ein nachhaltig attraktives Arbeitsumfeld für ÄrztInnen und Pflegekräfte schaffen. Damit wir in Deutschland eine medizinische Versorgung schaffen, in deren Mittelpunkt immer und überall der Mensch steht – Patient:innen ebenso wie das Personal in den medizinischen Einrichtungen.
Sang-Woo Pai ist CEO von doctari, einem Anbieter von digitalen Tools und Plattformen für Kliniken und medizinischen Einrichtungen für interne Personal-Abläufe.