Bislang ist Karl Lauterbach nicht gerade als Verfechter und Vorreiter der Digitalisierung im Gesundheitswesen aufgetreten. Das hat sich nun schlagartig geändert und der Bundesgesundheitsminister hat bei der Vorstellung seiner Digitalstrategie nicht weniger als den „Turbo-Schub“ angekündigt. Elektronische Patientenakte, E-Rezept, Stärkung der Telemedizin – nach der Devise „Geht nicht, gibt's nicht“ soll mit den vorgestellten Maßnahmen nicht nur das Gesundheitswesen auf Zukunft programmiert, sondern auch mit dem weitverbreiteten Defätismus aufgeräumt werden.
Bei aller berechtigter Kritik ist der Ansatz auf jeden Fall richtig. Es ist höchste Zeit, aufs Gaspedal zu treten und aus dem Dauerparkmodus raus zu kommen. Doch dabei dürfen wir nicht vergessen, um was es bei der Digitalisierung wirklich geht und wir müssen uns die Frage stellen, welche Zukunft wir für unser Gesundheitswesen wollen. Wollen wir die Leistungserbringer durch Call-Center-Ansätze ersetzen? Wollen wir zulassen, dass medizinische Leistungen künftig immer mehr auf großen Plattformen einfach „geshoppt“ werden können und wir damit eine Amazonisierung des Gesundheitswesens fördern, wodurch Ärzt:innen in eine extreme Plattformabhängigkeit geraten? Die Gefahr ist groß, wenn wir bei all den aktuellen Diskussionen eine elementar wichtige Sache außer Acht lassen: Die schützenswerte Arzt-Patienten-Beziehung.
Weniger Stolpersteine, mehr Menschlichkeit
Wir brauchen digitale Lösungen, die die Patientenkommunikation erleichtern, die mehr Zeit für die Behandlung ermöglichen und dem oft an der Burn-Out-Grenze agierendem Praxispersonal administrative Aufgaben abnimmt. Diese Lösungen müssen praxistauglich sein und Mehrwert und nicht Mehraufwand bringen. Vor allem aber müssen sie die Leistungserbringer befähigen, die vertrauensvolle Beziehung zu ihren Patient:innen eigenmächtig steuern zu können und nicht die Kontrolle an Großkonzerne abgeben zu müssen.
Hier ist die Politik gefragt, die richtigen Anreize zu setzen, die motivieren und den selbstbestimmten Weg in die Digitalisierung nicht durch fragwürdige Maßnahmen verleiden. Wenn Ärzt:innen aus eigener Tasche für die von staatlicher Seite zur Verfügung gestellten Mitteln wie Konnektoren und dem neuen elektronischen Heilberufsausweis zahlen müssen, dann schafft das völlig falsche Anreize, fördert die Frustration und hemmt die Quote derer, die mitmachen.
Ähnlich widersprüchlich verhält es sich beim Thema Datenschutz. Paradoxerweise läuft die Digitalisierung auch gerade deswegen so schleppend, weil wir hierzulande – richtigerweise – sehr hohe Anforderungen an den Datenschutz stellen. Aber während die Politik jahre- und jahrzehntelang an vermeintlich hypersicheren Lösungen arbeitet, freuen sich private Anbieter mit Sitz im Ausland – die mit der Macht mehrerer Hundert Millionen von Wagniskapital Millionen von Patienten in Deutschland auf ihr Portal bringen und damit auch die Ärzte zum Nachziehen zwingen.
Der deutsche Datenschutz steht im Zweifel hintenan. Viele Leistungserbringer haben den Glauben an die Digitalisierung verloren. Kein Wunder, ist man doch das Thema viel zu lange von einer sehr technokratisch geprägten Sichtweiseangegangen, begleitet von endlosen Ankündigungen von Maßnahmen, die weit in der Zukunft liegen. Nach dem Motto: Wir müssen nur warten bis Technologie x fertig ist und dann ist es da, das digitale Zeitalter.
Mehr Raum für eigentliche Aufgaben
Wenn wir wollen, dass wir alle gemeinsam in eine digitale Zukunft steuern, muss der Mehrwert der Technologie der sein, das wir ein menschlicheres Gesundheitssystem erschaffen. Dabei müssen wir genau an dem Punkt ansetzen, den sehr viele überhaupt dazu bringt, in die Medizin zu gehen: Die intrinsische Motivation, Menschen zu helfen.
Hier muss es Aufgabe der digitalen Systeme und Tools sein, automatisierbare Vorgänge zu übernehmen, um mehr Raum für die Akteur:innen im Gesundheitswesen zu schaffen und sie im Systemfreizuspielen. Was nicht sein darf, ist dass Technologie die menschliche Interaktion ersetzt, medizinische Leistungen zu einer reinen Ware werden und die so wichtige Arzt-Patienten-Beziehung den Tech-Giganten überlassen wird.
Martin Drees ist CEO und Mitgründer der medizinischen Kommunikationslösung medflex mit Sitz in Konstanz. Er hat zuvor Deutschlands größte Ärzte-Community coliquio gegründet und setzt sich mit medflex für die Stärkung der bestehenden Arzt-Patientenbeziehungen dank digitaler Kommunikation ein