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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Die Stunde der digitalen Medizin

Foto: Jörg Debatin und Henrik Matthies (Jan Pauls Fotografie)

Das lange technik-skeptische Deutschland zeigt in der Coronakrise, dass es bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens zu den weltweiten Vorreitern gehören kann, meinen Jörg Debatin und Henrik Matthies vom Health Innovation Hub.

von Jörg Debatin, Henrik Matthies

veröffentlicht am 01.04.2020

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Für das deutsche Gesundheitswesen ist die Corona-Pandemie ohne Zweifel ein disruptives Ereignis. Gefragt sind jetzt innovative und unkonventionelle Lösungen. Dabei werden digitale Technologien eine prominente Rolle spielen. Wichtige regulatorische und technische Grundlagen wie der Wegfall des Fernbehandlungsverbots oder die Entwicklung von Telemedizin-Plattformen sind bereits gelegt. Innovationen wie Video-Sprechstunden, Bots und Apps ermöglichen Datenaustausch und Kommunikation ohne menschliches Zusammentreffen. Ihr Einsatz senkt das Infektionsrisiko und schützt vor allem das medizinische Personal. Wir erleben die Stunde der digitalen Medizin. Das Bewusstsein und die Offenheit für Digital Health ist bei Ärzten und Patienten quasi über Nacht entstanden. 

Große und kleine Unternehmen stellen ihre Plattformen, Tools und Apps kostenlos zur Verfügung, damit wir alle die Krise besser bestehen und zuhause bleiben können. Zwei Beispiele: Das Berliner Start-up Kinderheldin gibt wegen Corona verunsicherten Eltern und Schwangeren Orientierung und informiert über Schutzmaßnahmen; über die App Keleya können digitale Geburtsvorbereitungskurse wahrgenommen werden. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der GKV-Spitzenverband haben zudem letzte Woche die Begrenzungsregelungen bei den Videosprechstunden aufgehoben. Die Konsultation per Video ersetzt den persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt. 

Betreiber von Telemedizinplattformen berichten von täglichen Wachstumsraten um über 1000 Prozent. Erfreulicherweise sind viele Plattformen derzeit kostenfrei. Patienten, und nicht nur die mit Corona-Verdacht, können in dieser Situation von zu Hause mit dem Arzt Ihres Vertrauens direkt kommunizieren. Dieses Vorgehen soll jetzt auch auf andere Leistungserbringer im Gesundheitswesen, wie Logopäden und Physiotherapeuten, ausgeweitet werden. Digitale Physiotherapieanwendungen wie Kaia oder virtuelle Terminplattformen wie Physioflix verzeichnen eine Rekordnachfrage. Plötzlich geht vieles, was vor Wochen noch undenkbar war! 

Inzwischen gibt es auch eine ganze Reihe Corona-spezifische Unterstützungstools. Das Leipziger Start-up DocYet hat einen ChatBot entwickelt, der jedem Menschen anhand seiner persönlichen Umstände Handlungsempfehlungen gibt. Diese Empfehlungen beruhen auf den Richtlinien des Robert Koch-Instituts. Der Bot ist auf den Internet-Seiten zahlreicher Krankenkassen und dem Digitalratgeber der Apothekenumschau verfügbar. Einen ähnlichen Zweck verfolgt eine digitale Anwendung der Berliner Charité, CovApp. Anhand der Antworten eines Online-Fragebogens werden Handlungsempfehlungen generiert und dem Bürger zur Verfügung gestellt. 

Die Vielzahl der sehr konkreten und kreativen Lösungen können einen in dieser Zeit mit Mut erfüllen.

Auf dem Weg zum Vorreiter digitaler Gesundheit  

Die Digitalisierungsagenda von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat bereits deutliche Spuren hinterlassen. Ob elektronische Patientenakte, Ausbau der Telematik-Infrastruktur oder die Verschreibungsmöglichkeit digitaler Gesundheitsanwendungen: Kein anderes Land weltweit hat in den letzten zwei Jahren derart viele Projekte auf den Weg gebracht. Der „FastTrack“, die Möglichkeit digitale Gesundheitsanwendungen durch Ärzte per Rezept zu verschreiben, wird in der Breite bereits diesen Sommer in ganz Deutschland kommen. Dadurch können viele physische Interaktionen vermieden, Aufklärung, Diagnose und Therapie in die Wohnzimmer gesetzlich Krankenversicherter gebracht werden. 

Wir versus Virus

Die Bundesregierung hat am vergangenen Wochenende gemeinsam mit vielen Initiativen und Vereinen einen digitalen Ideenwettbewerb als Hackathon gestartet: #WirvsVirus. Der Hackathon wurde innerhalb von nur fünf Tagen realisiert, auch das geht in der öffentlichen Verwaltung. Knapp 43.000 Freiwillige haben sich innerhalb von nur 48 Stunden für den Hackathon registriert und arbeiteten in Kleingruppen von Freitag-Nachmittag bis Sonntagabend an hunderten digital/technischen Lösungen, von der Unterstützung hilfsbedürftiger Nachbarn über die Stärkung des von Insolvenz bedrohten lokalen Einzelhandels bis zur technischen Reinigung von Atemschutzmasken durch Haushaltselektronik.

Aber nicht nur in Deutschland, weltweit vernetzen sich Wissenschaftler, Unternehmer und Freiwillige, um innovative und schnelle Lösungen gegen Corona zu entwickeln. So ruft der Blog Hackaday Ingenieure und Erfinder dazu auf, ein „Open Source“-Beatmungsgerät zu entwerfen und die Baupläne dazu ins Netz zu stellen. Das Ziel: die überlebenswichtigen Geräte zuverlässig und günstig zu machen und Engpässe zu überbrücken. 

Die Balance aus Solidarität, Empathie und Innovation hat unser Gesundheitswesen stark gemacht. Digitale Technologien werden es noch besser machen.

Hinweis: Der hih hat eine neue Website zu Corona veröffentlicht mit einem täglichen Newsletter, um einen laufenden Überblick über die vielen nutzbringenden digitalen Angebote zu ermöglichen: https://corona-digital.de 

Professor Jörg F. Debatin ist Chairman des Health Innovation Hub (hih) des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG), Dr. Henrik Matthies dessen Managing Director. 

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