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Standpunkte Herzdiagnose via Smartwatch: Kostenerstattung bisher nicht sinnvoll

Foto: Promo

Noch ist es nicht so weit, einem solchen Frühwarnsystem wirklich einen eindeutigen Mehrwert bescheinigen zu können, meint der Vorsitzende des Bundesverbands niedergelassener Kardiologen, Norbert Smetak.

von Norbert Smetak

veröffentlicht am 17.01.2020

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Im Januar 2020 ist das Digitale Versorgung Gesetz (DVG) in Kraft getreten. Ärzte können ihren Patienten nun Gesundheits-Apps verschreiben, die Kosten dafür übernimmt die Gesetzliche Krankenversicherung. Smartwatches wie die Apple Watch ermöglichen über eine integrierte EKG-App die Überwachung des Herzrhythmus: Wenn fünf von sechs zufälligen optischen Pulsmessungen innerhalb von 48 Stunden auf Vorhofflimmern deuten, erfolgt ein Alarm mit der Empfehlung einen Arzt zu konsultieren. Müssen wir künftig damit rechnen, dass unsere Praxen mit alarmierten Smartwatch-Patienten überquellen?  

Wer eine moderne Smartwatch mit Pulsmessfunktion trägt, kann bei einem irregulären Pulssignal eine EKG-Messung mithilfe einer entsprechenden App auf der Uhr durchführen. Diagnostiziert die Messung daraufhin Vorhofflimmern, empfiehlt die App die ärztliche Abklärung einer etwaigen Herzerkrankung. Denn Vorhofflimmern kann die Bildung eines Blutgerinnsels zur Folge haben mit einem erhöhten Risiko für einen Schlaganfall. Das Frühwarnsystem am Arm verleiht damit ein Gefühl der Sicherheit und ist grundsätzlich natürlich im Interesse der Medizin.  

Mit Smartwatch lassen sich weder Herzinfarkt noch Schlaganfall erkennen

Doch noch sind wir nicht so weit, um einem solchen Frühwarnsystem via Smartwatch wirklich einen eindeutigen Mehrwert sowohl für den individuellen Patienten als auch für das Gesundheitssystem an sich bescheinigen zu können. Die Smartwatches können derzeit allenfalls dazu beitragen, Herzrhythmusstörungen zu erkennen. Es lassen sich mit ihrer Hilfe weder ein Infarkt noch ein Schlaganfall oder andere Herzerkrankungen erkennen beziehungsweise ausschließen. Handelt es sich jedoch um selten auftretende Herzrhythmusstörungen, kann die Smartwatch durchaus einen Beitrag zu einer frühen Diagnose leisten. Denn sie sind ja naturgemäß schwer zu dokumentieren.  

Die Apps können allerdings nicht sagen, um welche Herzrhythmusstörungen es sich konkret handelt. Was bei digital per Tracker oder Smartwatch diagnostizierten Rhythmusstörungen bei beschwerdefreien und an sich herzgesunden Menschen zu tun ist, ist noch nicht ausreichend untersucht und bisher völlig unklar. Klar ist derzeit nur, dass eine entsprechende Mitteilung der App die Menschen alarmiert und genauere Untersuchungen beim Arzt zur Abklärung nötig machen. Denn wenn die App auch durchaus ein richtiges EKG aufzeichnen kann wie die neueste Apple Watch-Generation, so wird dabei nur ein Kanal aufgezeichnet. In der Praxis arbeiten wir jedoch mit einem 12-Kanal-EKG und selbst die Langzeit-EKG-Geräte zeichnen zwei oder drei Kanäle auf mit einer entsprechend genaueren und für die Beurteilung notwendigen Messung der Herzwerte.  

Erste Daten dazu liefert die neue Apple Heart Study, die gemeinsam mit Medizinern von der Stanford University School of Medicine durchgeführt wurde. Von 420.000 Teilnehmern erhielten 2.161 innerhalb von acht Monaten eine Mitteilung über einen irregulären Puls. 450 von ihnen führten daraufhin die Messung mit dem EKG-Patch durch. Bei einem Drittel dieser Patienten diagnostizierte die App Vorhofflimmern. Diese 150 Patienten entsprechen also 0,04 Prozent alle Studienteilnehmer. Lassen sich die Ergebnisse auch nur ansatzweise auf Deutschland übertragen, können wir die zusätzlichen Patienten wohl gut verarzten.  

Nur vier Prozent tragen Wearables auf Empfehlung des Arztes

Noch ist die medizinische Bewertung der Studiendaten offen, sowohl was die Bestimmung des Schlaganfallrisikos betrifft, als auch wann bei diesen Patienten eine gerinnungshemmende Therapie initiiert werden sollte. Es macht jedoch keinen Sinn, Diagnostik-Tools durch die GKV zu finanzieren, solange niemand weiß, was die Fachärzte mit den Ergebnissen überhaupt anstellen sollen. Hier sind noch umfangreiche klinische Folgestudien notwendig. 

Solange aus den Studiendaten nicht konkrete Handlungsempfehlungen für den behandelnden Arzt abgeleitet werden, zum Beispiel wann bei der Diagnose von asymptomatischem Vorhofflimmern gerinnungshemmende Medikamente verabreicht werden sollen, halten wir die Kostenerstattung nicht für sinnvoll. Vernünftiger wäre es, dieses Geld in die Regelversorgung zu investieren, damit wirklich kranke Menschen gut versorgt werden können, beispielsweise in Brustschmerzambulanzen. Und wer eine Smartwatch tragen will, tut dies sowieso am ehesten aus eigenem Antrieb. Laut einer Forsa-Studie vom Juni 2019 tragen 72 Prozent der User das Wearable zur eigenen Kontrolle, 51 Prozent als Anreiz für eine gesündere Lebensweise. Die Empfehlung eines Arztes nannten aber nur vier Prozent als Beweggrund.

Ein Risiko ist auch die Datenweitergabe

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Frage, was mit den erhobenen Gesundheitsdaten passiert. Das Interesse eines der größten internationalen IT-Konzerne ist ja prinzipiell wirtschaftlicher Natur, während medizinische Institutionen ein Interesse an der Gesundheit von Patienten haben. Im milliardenschweren Gesundheitsmarkt könnte jedoch Missbrauch mit sensiblen Gesundheitsdaten betrieben werden. Der Datenschutz muss hier also oberste Priorität genießen, wird aber bisher regional unterschiedlich definiert und gehandhabt. Der Bundesverband Niedergelassener Kardiologen hält daher die Durchführung weiterer unternehmensunabhängiger Studien für erforderlich, um sowohl den klinischen Nutzen als auch die datenschutzrechtlichen Risiken dieser neuen, sich rasant verbreitenden und leicht erreichbaren Technologien zu untersuchen.

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