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Cybersecurity

Kolumne Die Cybersicherheit und das F-Wort

Unser Kolumnist schaut in die Zukunft. Und zwar mit Grauen. Wie heutiges kleinstaatliches Denken und das fehlende Hinterfragen von Ressort-Grenzen unsere Zukunftsfähigkeit und Sicherheit auch in zwanzig Jahren noch gefährden, skizziert Sicherheitsexperte Timo Kob.

Timo Kob

von Timo Kob

veröffentlicht am 19.05.2022

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In der vorvergangenen Woche kam der erste Schwachstellenreport für das Jahr 2035 heraus. Sie lesen richtig, 2035. Denn manche Fehl- oder Nichtentwicklungen wirken sich erst mit deutlicher Verzögerung, dafür aber an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus. Die Rede ist von einer Studie der Universität Hildesheim, des Wissenschaftszentrums Berlin und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) zur Umsetzung des Digitalpakts Schule. Zweieinhalb Jahre und eine Pandemie nach dessen Start sind weiter nur zehn Prozent der Gelder an den Schulen angekommen.

Wie nicht anders zu erwarten, geht dabei jedes Bundesland seinen eigenen Weg, mit dem F-Wort Föderalismus lässt sich zuverlässig jede Agilität und Aufbruchsstimmung im Keim ersticken. Und wo dann doch noch etwas zuckt, kann man diesem Rest mit der zweiten Keule „Ressort-Zuständigkeit“ final den Garaus machen. Als Argument des Föderalismus im derzeitigen Umfang (ich sehe sehr wohl den grundsätzlichen Nutzen des Föderalismus in einer auf die aktuelle Welt angepassten Form) hört man immer wieder, dass dies ja ein Wettbewerb der Systeme wäre, der am Ende zu besseren Lösungen führen würde.

In unserer globalisierten, vernetzten Welt erscheint mir persönlich dies jedoch mehr wie ein Wettrennen von Mäusen, in dem der Sieger dann eben als Erster von den Katzen, die die anderen Länder schlauerweise ins Rennen geschickt haben, gefressen wird.

Bewegung bei der Verfolgung von Cyberkriminalität

Und während wir beim Thema der Verfolgung von Cyberkriminalität Gott sei Dank durchaus Bewegungen erleben, diese strenge Umsetzung des Föderalismus zu überdenken, gilt das beim Thema Bildung, mit seinem essenziellen Wirkhebel auf unsere Gesellschaft, leider nicht. Angesichts des schleppenden Tempos der Digitalisierung an Schulen werden wir die dramatischen Folgen dieser Halbherzigkeit und Flickschusterei noch über Jahrzehnte spüren.

Der ehemalige Bitkom-Präsident Thorsten Dirks hat einmal den schönen Satz geprägt „Wenn Sie einen Scheiß-Prozess digitalisieren, haben Sie dann eben einen digitalisierten Scheiß-Prozess“. Gleiches gilt für Bildungssysteme. Nur iPads und Whiteboards zu beschaffen und W-Lan anzubieten, verbessert nichts. Wo lernen die Kinder, Chancen und Risiken der Digitalisierung zu bewerten und zu gestalten? Hier ist auch die eine Stunde in der Woche Informatik – wo es sie denn gibt – nicht viel mehr als ein Feigenblatt.

Wenn sich die Digitalisierung durch alle Lebensbereiche zieht, dann doch bitte auch in der Bildung. Jedes Klagen ob eines Fachkräftemangels klingt hohl, wenn hier nicht bereits in der Schule aktiv gehandelt wird.  Denn woher sollten denn die zukünftigen Digitalisierungs- und Cybersicherheitsexpert:innen kommen, wenn wir mit atemberaubender Beharrlichkeit an Lehrinhalten des vergangenen Jahrhunderts festhalten, die Entwicklungen der Gesellschaft konsequent ignorieren und es als Meilenstein der Digitalen Bildung feiern, wenn Goethes Faust als eBook vorliegt.

Der Kampf gegen den Fachkräftemangel beginnt in der Schule

Natürlich steht hier nicht die Cybersicherheit im Fokus, aber es reicht nicht, bei der Diskussion über Fachkräftemangel mehr Lehrstühle an den Informatikfakultäten zu fordern. Wer Fachkräftemangel beklagt, sollte schon auf die Grundschulen schauen, wo jetzt die Versäumnisse geschehen, die uns in fünfzehn bis zwanzig Jahren wehtun werden.

Ironischerweise hat übrigens genau die GEW (genauer gesagt die GEW Köln) noch während der Pandemie ein Schreiben veröffentlicht, in dem bei der Digitalisierung in erster Linie davor gewarnt wurde, dass „wir […] uns nicht von einem unreflektierten, von kommerziellen Interessen befeuerten Hype“ treiben lassen sollten, und in dem zu Homeschooling mittels Schulbüchern die Meinung vertreten wurde, dass „die einfachsten Lösungen häufig nicht die schlechtesten“ seien.

Lehrer:innen müssen für das Thema gewonnen werden

Und gewiss, es reicht nicht, die Gelder einfach über den Schulen auszukippen, wenn rund die Hälfte der Lehrerschaft hier eine geringe Änderungsbereitschaft und Akzeptanz zeigt. Eine der wesentlichen Aufgaben von Lehrer:innen ist das individuelle „Fördern und Fordern“ der Schüler:innen. Dies muss der Staat umgekehrt auch mit Lehrkräften machen, um die Herausforderungen auf dieser Seite zu reduzieren. Wenn Lehrer:innen nicht für das Thema gewonnen werden, wird jeder Ansatz scheitern.

Aber schon am Digitalpakt Schule sieht man leider, wie dieser banale Ansatz auf allen Ebenen ignoriert wird. Hier gilt seitens des Staates „Erst fordern, dann fördern“. Wenn der Staat andererseits den Zugang zu Fördermitteln so gestaltet, dass die Schulen erst eigenständig fertige Pläne entwickeln müssen, um dann Unterstützung zu bekommen, braucht man sich nicht zu wundern, dass zwar diejenigen (wenigen) Schulen mit hoher IT-Affinität in der Lehrerschaft immer besser werden, die Kluft zu allen anderen Schulen aber immer größer wird, da diese überhaupt nicht von den vorhandenen Möglichkeiten und Angeboten profitieren können.

Dabei ist der Gedanke dahinter ja durchaus nachvollziehbar, dass man nicht Fördermittel verschwenden will, wo noch kein Konzept vorhanden ist. Aber in Anlehnung an Faust (Sie wissen schon: als eBook!) agiert hier der Staat als Kraft, „die stets das Gute will und stets das Böse schafft“. Die Angst vor Missbrauch und Fehlinvestition im Einzelfall verhindert den sinnvollen Einsatz in der Breite und man wundert sich dann heute, dass es nicht vorangeht, und in fünfzehn Jahren wiederum, dass noch immer Fachkräfte fehlen.

Föderalismus als Beruhigungspille

Aber gegen Depression und Selbsterkenntnis bei den Verantwortlichen hat ja noch immer der Föderalismus geholfen: Ein Dutzend Bundesländer können nach hinten schauen und sich erfreuen, dass es tatsächlich noch langsamere Länder gibt, und sich mit einem zufriedenen „So schlecht sind wir ja gar nicht“ wieder schlafen legen. Diese „Kleinstaatlichkeit“ (und hier beziehe ich die erwähnten Ressort-Verantwortlichkeiten als weiteren Verkleinerungsfaktor mit ein) zieht sich leider durch alle Themen, die die Strategie von Digitalisierung, Bildung oder Verteidigung betreffen.

Bildung ist hierbei zwar nur ein einzelnes Puzzlestück, aber man sieht gerade bei der Digitalen Bildung wie in einem Brennglas all die Probleme, deren halbherzige Bekämpfung mit Geld, aber ohne intelligente übergreifende Konzepte uns überall bei der Digitalisierung der Gesellschaft hemmen. Wo ist das übergreifende Bild, der große Wurf?

Manchmal hilft es, Äpfel mit Birnen zu vergleichen

Grundsätzlich finde ich die stetigen Vergleiche mit Estland zum Thema Digitalisierung und Israel zum Thema Cybersicherheit auf Dauer nervig, weil wir da nun einmal Äpfeln mit Birnen vergleichen. Aber manchmal ergibt es eben doch Sinn, etwa nach Israel zu schauen und zu verstehen, warum es nicht nur im religiösen Sinne, sondern auch in Bezug auf Sicherheitsfragen als das gelobte Land gepriesen wird.

Dort wurde aus der Erkenntnis der Bedrohung nicht nur beschlossen, sich selbst um den bestmöglichen Schutz zu kümmern, sondern wirtschaftspolitisch entschieden, dieses Risiko in eine Chance zu wandeln und den Anspruch zu erheben, hier eine führende Nation für entsprechende Produkte zu werden. Ergänzt wurde dies um regionale Förderpolitik, so dass das nationale Zentrum für die entsprechende Forschung und Entwicklung – staatlich und privatwirtschaftlich – in die benachteiligte Wüstenregion Beersheva gelegt wurde und der Finanzminister sogar Steuervorteile für die hinziehenden Mitarbeiter:innen gewährt.

Im Anschluss wurde geprüft, woher denn eigentlich der Nachwuchs regional stammt, und mit dem Bildungsministerium gemeinsam dann so nachgesteuert, dass in unterrepräsentierten Regionen der MINT-Unterricht verstärkt wird, um dies auszugleichen. Klingt stringent und logisch? Dann schließen Sie kurz die Augen und zählen Sie vor Ihrem inneren Auge, wie viele Teil-Verantwortliche aus wie vielen Bundesländern, Ministerien und so weiter Ihnen in Deutschland erklären würden, warum das alles in Deutschland so nicht geht. Drum blättern wir in unserem Faust-eBook etwas weiter und schließen mit: „Der Worte sind genug gewechselt. Lasst mich auch endlich Taten sehn“. 

Timo Kob ist Professor für Cybersecurity an der FH Campus Wien. Er leitet den Bundesarbeitskreis Cybersecurity im Wirtschaftsrat der CDU, ist Mitglied des Hauptvorstandes des Bitkom und Gründer und Vorstand von Hisolutions.

In unserer Reihe „Perspektiven“ ordnen unsere Kolumnist:innen regelmäßig aktuelle Entwicklungen, Trends und Innovationen im Bereich Cybersicherheit ein.

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