Die Weigerung der Bundesregierung Panzer an die Ukraine zu liefern, ist ein klassisches Beispiel dafür, wie stark unsere Außenpolitik von Angst geprägt ist. Deutschlands unstrategisches und inkonsequentes taktierendes Verhalten bei der Unterstützung der Ukraine hat nicht nur zu einem massiven und unausweichlichen Vertrauens- und Reputationsverlust in Europa und den USA geführt, vielmehr schwächt es mittelfristig die Smart-Power-Fähigkeiten Europas.
Geostrategisch verliert Deutschland durch die Verweigerung der Verantwortung- und Führungsübernahme bei allen Verbündeten massiv an Vertrauen. Mittel- und Osteuropa, das Baltikum aber auch Nordeuropa können sich nicht mehr auf den deutsch-französischen Motor der EU verlassen. Vielmehr gelten beide Länder als Bremsklotz einer strategischen und ganzheitlichen sicherheitspolitischen Neuausrichtung Europas. Die fehlende Erkenntnis ohne Politikänderung Deutschlands schadet der EU, sofern das Führungsvakuum nicht gefüllt wird. Zumindest aber schwächt es die Union, da mit Deutschland und Frankreich zwei wirtschaftliche Schwergewichte betroffen sind, die sich zunehmend isolieren und die Stabilität von EU und Nato untergraben. Europa ist weiterhin auf eine starke USA angewiesen, was den Vereinigten Staaten weniger Kapazitäten für die Aufgaben im Indo-Pazifik lässt.
Durch den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf die Ukraine wird eine Neuordnung Europas notwendig. Nach dem hoffentlich baldigen und erforderlichen militärischen Sieg der Ukraine und der Wiederherstellung der territorialen Integrität wird eine neue europäische Sicherheitsordnung entstehen. Die baltischen und skandinavischen Staaten und die mittel- und osteuropäischen Staaten (mit Ausnahme Ungarns) werden diese neue Friedens- und Sicherheitsordnung prägen und ihr Mitspracherecht geltend machen. Diese Staaten haben durch den Umgang und die Einstellung auf die erforderliche Neuordnung strategisch, kommunikativ und militärisch – zusammengefasst also mit Smart Power, ihre neue Rolle und ihren Anspruch verdeutlicht.
Deutschland ist auf diese Anforderungen bislang nicht vorbereitet. Mit der Nationalen Sicherheitsstrategie (NSS), die seit März dieses Jahres federführend durch das Auswärtige Amt erarbeitet wird, soll sich dies ändern. Damit lässt sich prüfen, inwiefern sich die Worte aus der Rede des Kanzlers zur sicherheitspolitischen Wende umsetzen lassen und inwiefern der politische Wille vorhanden ist. Dabei geht es Außenministerin Baerbock darum, eine ganzheitliche Sicherheitsstrategie vorzulegen, die innere, äußere, wirtschaftliche und soziale Sicherheit berücksichtigt. Deshalb hätte eine NSS – alle Facetten von Sicherheit sinnvoll austariert – eigentlich in die Hände des Bundeskanzleramtes gehört. Angesichts der Zögerlichkeit und der Indifferenz des Kanzlers kann Deutschland allerdings froh sein, dass die Federführung bei der Außenministerin liegt.
Welche Aspekte gilt es in der NSS aufzugreifen?
Die NSS muss Aspekte der Trendanalyse und der strategischen Vorausschau institutionalisieren, sie muss rechtliche Resilienz schaffen und Positionen zu völkerrechtlichen Fragen bieten. Krisenprävention und Resilienz der Gesellschaft müssen mit Strategien der Klimaaußenpolitik einhergehen wie eine einsatzbereite Bundeswehr, deren Material funktioniert und die Fähigkeiten besitzt, die eine umfassende Bündnis- und Landesverteidigung ermöglichen. Interoperabilität und Kooperationsfähigkeit sind mit einer Neuausrichtung der Rüstungsexport- und Rüstungsindustriepolitik verknüpft. Strategien zur Handlungsfähigkeit in den internationalen Organisationen müssen genauso beachtet werden wie Rohstoffsicherheit, Lieferketten und Ressourcenmanagement. Zuletzt gilt es, globale Bedrohungen mit nationalen Auswirkungen wie Pandemien, Klimaänderung, Migration, neue Technologien und Kriegsführung oder gar den Fachkräftemangel einzubinden. All diese Aspekte sind ein unvollständiger Teil einer ganzheitlichen Sicherheitsstrategie.
Angesichts des systemischen Wettbewerbs und des Angriffs auf die regelbasierte Ordnung, gilt es ausschließlich auf die Entwicklung von Smart Power-Fähigkeiten zu setzen und die NSS darauf zu fokussieren. Gleichzeitige globale Herausforderungen und Krisen bei begrenzten Ressourcen und bestehenden dysfunktionalen Abhängigkeiten Deutschlands im Bereich der Energie, der Sicherheit und der Wertschöpfungsketten, zwingen uns, klare Interessen zu definieren und eindeutige Prioritäten zu setzen. All das muss die NSS leisten. Darüber hinaus müssen parallel und strategisch vorausschauend die Instrumente geschaffen werden, damit die NSS ebenso smart umgesetzt werden kann und Deutschland so seine geostrategische Position innerhalb Europas verbessert. Wir haben Einrichtungen zur Trendanalyse und strategischen Vorausschau, aber sie werden bislang kaum in sicherheitspolitische Überlegungen eingebunden.
Was ist dazu institutionell erforderlich?
Sicherheit wird in einer neuen europäischen Ordnung mittelfristig nicht national „gedacht“, sondern europäisch „gemacht“ werden. Dazu muss Deutschland seine Interessen übergreifender koordinieren und für einen künftigen europäischen Sicherheitsrat formieren. Deshalb ist ein nationaler Sicherheitsrat (NSR) in Deutschland oder zumindest ein stark aufgewerteter Bundessicherheitsrat erforderlich. Denn anders als in anderen Ländern hat Deutschland bislang keine ausgebreitete strategische Kultur, die eine solche Einrichtung weniger erforderlich machen würde. Vielmehr muss die Bildung einer strategischen Kultur Teil der NSS ein. Sie wird jedoch Zeit benötigen, sich zu festigen. Diese Zeit ist für Deutschland knapp, denn die EU selbst muss sich reformieren und hin zu qualifizierten Mehrheitsentscheiden und strafferen Entscheidungsstrukturen gelangen. Auch die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Ländern Afrikas und Asiens muss auf Smart Power-Fähigkeiten setzen, wenn sie im systemischen Wettbewerb mit China bestehen will.
Die drei klassischen europäischen Taktgeber Berlin, Rom und Paris verlieren hingegen durch das zögerliche Vorgehen ihrer Regierungen massiv an Führungsstärke. Damit wird die geostrategische Position Europas im Systemwettbewerb mit China geschwächt. Die EU wird auf Jahre mit Russland beschäftigt sein, sollte die Ukraine verlieren und eine dauerhafte Bedrohung sowie weitere Angriffe auf Nachbarländer befürchten müssen.
Eine geschwächte EU ohne Führung ist noch abhängiger vom Wohlwollen der USA, das nicht so unumstößlich sein muss, wie dies derzeit unter Präsident Biden der Fall ist. Ein geschwächtes Europa kann zudem kein glaubhafter Partner afrikanischer Länder oder des NMO sein. China beobachtet die Entwicklungen in der Ukraine, die Sanktionswirkungen und die Resilienz des regelbasierten internationalen Systems genau und könnte animiert sein, gleichfalls auf die Macht des Stärkeren und auf strategische Gleichzeitigkeit zu setzen. So würde die Kriegsgefahr auch im Indo-Pazifik steigen, unser Gesellschaftssystem käme noch stärker unter Druck. Deutschlands Rolle in der Neuen Ordnung Europas hängt deshalb auch davon ab, ob die NSS und die Institutionalisierung smarter Instrumente wie einem NSR Deutschlands Position verbessert und zur Wiederherstellung von Vertrauen und Reputation beiträgt.