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Cybersecurity

Standpunkte Transatlantische Sicherheit in Zeiten des Krieges

Niklas Hanitsch, Secjur
Niklas Hanitsch, Secjur Foto: Vanessa Berndt

Die EU und die USA verbindet nicht nur eine gemeinsame Wertebasis, sondern auch technologisch bedingt geteilte Verletzlichkeiten. Diese Herausforderungen brauchen eine umfassende, koordinierte Zusammenarbeit, schreibt Niklas Hanitsch von Secjur.

von Niklas Hanitsch

veröffentlicht am 14.11.2023

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Heute, in der Zeit des modernen, sowohl konventionellen als auch digitalen Kriegs, fühle ich mich erneut an die Notwendigkeit erinnert, über den Wert der Beziehungen zwischen Menschen und Nationen nachzudenken. In einer Welt, in der Daten das Öl der Moderne sind, öffnet sich ein neues Schlachtfeld, das nicht nur die feste Erde, sondern auch die unsichtbaren Datenautobahnen, die unsere Kontinente überqueren, bedroht. Die Angriffe sind nicht nur physisch, sondern auch digital und die transatlantischen Bindungen, die unsere Gesellschaften und Wirtschaften formen, sind sowohl unser größter Aktivposten als auch unsere Achillesferse.

Für eine größtmögliche Schadwirkung muss keine Pipeline im Nordatlantik angegriffen werden: Eine Attacke auf gemeinsamen Datenströme kann seine ganz eigene fatale Dynamik entwickeln. Dabei stehen technologische Geheimnisse, wertvolle Wirtschaftsdaten und Forschungsvorsprünge auf dem Spiel. Cyberangriffe und Hackeraktivitäten, die von feindlichen Nationen ausgehen, haben das Potenzial, nicht nur Kritische Infrastrukturen zu gefährden, sondern auch die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und den USA nachhaltig zu beeinträchtigen.

Heute, da unsere tägliche Arbeit global vernetzt ist, wird die Notwendigkeit einer gemeinsamen Sicherheitsstrategie daher immer dringlicher. Die Vernetzung der transatlantischen Infrastruktur erstreckt sich über fast alle Branchen und Sektoren. So nutzen die USA und die EU mit Google einen primären gemeinsamen Web-Index. China (mit Baidu) und Russland (mit Yandex) verfolgen eine Strategie der digitalen Isolation, um sich infrastrukturell unabhängig zu machen. In Europa bauen unsere digitale Arbeitswelt und Wirtschaft hingegen auf US-amerikanischer Software und Diensten auf. Millionen von Europäerinnen und Europäern verlassen sich täglich auf US-Softwarelösungen wie Microsoft, tauschen sich über Zoom aus, pflegen ihre Geschäftsbeziehungen über Linkedin und speichern ihre Daten in der Dropbox.

Dieser alltägliche Gebrauch von US-Technologien verknüpft die beiden Kontinente auf eine tiefgreifende Weise. Das enge Verflechten der Wirtschaften der EU und der USA, geprägt von Geschäftsbeziehungen und gemeinsamen digitalen Infrastrukturen, erzeugt eine unvermeidliche Abhängigkeit und eine geteilte Verletzlichkeit, die beide Seiten gleichermaßen betrifft und für geteilte Konsequenzen sorgt.

Die Attacke auf das US-Unternehmen Solarwinds verdeutlichte 2019 die Ausmaße eines koordinierten Angriffs auf die gemeinsame Infrastruktur. So hatten sich Hacker über ein Update für Solarwinds’ Softwareplattform Orion Zugriff auf die Systeme von Kunden verschafft. Davon betroffen waren neben dem US-amerikanischen Heimatschutzministerium und der Nationalen Verwaltung für Nukleare Sicherheit auch Chip-Hersteller Nvidia sowie die Tech-Konzerne. Nach einer Anfrage des Bundestagsabgeordneten Manuel Höferlin (FDP) stellte sich heraus, dass auch in Deutschland das Bundeskriminalamt (BKA), das Robert Koch-Institut (RKI) und sogar das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) selbst, als Solarwinds-Kunden von dem Angriff betroffen waren.

Gemeinsame Sicherheitsstrategie notwendig

Trotz dieses hohen Grades an Vernetzung und geteilter Verwundbarkeit fehlt ein koordinierter und umfassender Rahmen für eine gemeinsame Sicherheitsstrategie. Das Misstrauen, das die transatlantischen Gewässer trübt, ist ein Hindernis, das überwunden werden muss, um einer gemeinsamen Bedrohung wirksam zu begegnen.

Ich bin der Ansicht, dass die Zeit gekommen ist, die verstreuten Fäden unserer Beziehungen zu verbinden und ein Band der Solidarität und Stärke zu weben, das zukünftigen Bedrohungen standhält. Der Zerfall unserer Gesellschaft, sowie autokratische oder anti-demokratische Entwicklungen gehören zu den größten Herausforderungen unserer Generation. Und als jemand, der in einem Europa lebt, das täglich von US-amerikanischen Technologien geprägt wird, sehe ich die unvermeidbare Notwendigkeit, dass unsere Sicherheit, Privatsphäre und wirtschaftliche Vitalität von einer vereinten Front abhängen.

Wir haben gemeinsame Ziele, Werte und Prinzipien, die sich in unseren jeweiligen Gesetzen widerspiegeln, wie beispielsweise dem NIST-Framework in den USA und der NIS2-Richtlinie in der EU. Diese Standards ähneln sich in vielen Aspekten, da sie auf einem risikobasierten Ansatz beruhen. Dennoch gibt es weite Unterschiede hinsichtlich der Ausgestaltung und der angewandten Mittel. Während die USA nach dem Patriot Act auf eine umfassende Überwachungsstrategie setzt, strebt die EU danach, ihre Infrastrukturen unter Wahrung der Grundrechte zu schützen.

Die Europäische Union und die Vereinigten Staaten teilen auf dem Papier eine gemeinsame Wertebasis, die Prinzipien wie eine freiheitliche Grundordnung, persönliche Autonomie und die Schutzwürdigkeit sensibler Informationen umschließt. Sie haben dasselbe Ziel – aber es gibt große Lücken, was die Ausgestaltung und Wahl der Mittel zur Sicherung der geteilten Infrastruktur angeht. Nur durch eine umfassende, koordinierte Zusammenarbeit können die EU und die USA den Herausforderungen der digitalen Ära erfolgreich begegnen und ihre wirtschaftlichen Interessen schützen.

Niklas Hanitsch ist Rechtsanwalt und Gründer von Secjur, einer Plattform für Compliance-Automatisierung gemäß EU-Standards.

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