Smart-City icon

Smart City

Werkstattbericht Selbst ist die Stadt: Ambitionierte Digitalisierungsvorhaben kommunaler Angestellter

Matthias Wieliki, Leiter Zentrale Steuerung beim  Magistrat der Stadt Bad Nauheim
Matthias Wieliki, Leiter Zentrale Steuerung beim Magistrat der Stadt Bad Nauheim Foto: Foto: Hessisches Ministerium für Digitales und Innovation

Die massenhafte Entlassung der Staatsdiener in den USA kann zwar vielleicht mehr Effektivität bringen, aber auch Wertverlust. Matthias Wieliki beschreibt im Werkstattbericht, was „Selbst-ist-die-Stadt“ als Mindset verändern könnte.

von Matthias Wieliki

veröffentlicht am 05.03.2025

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen

In den USA entlässt ein durch den Präsidenten eingesetzter Sonderbeauftragter massenhaft Staatsbedienstete mit zweifelhaften Methoden. Ziel ist es die Effizienz des Staatsapparats zu erhöhen. Ein für uns im öffentlichen Dienst (noch) kaum denkbares Szenario und doch Anlass einmal nachzudenken. Wie werthaltig ist unsere Arbeit im öffentlichen Dienst? Wie wertvoll ist unser Beitrag in den Kommunen – dem vielfach beschworenen „Maschinenraum der Demokratie“?

Diese Fragen können wir gerade mit Blick auf die technologischen Potenziale nur auf den ersten Blick mit dem erwartbaren „ja“ beantworten. In Zeiten von demokratischen Zerreißproben und der nicht hinreichenden Finanzierung der Kommunen einerseits und recht selbstbewusst klingenden Forderungen der Gewerkschaften andererseits sollten wir genau hinschauen.

Das OZG – Katalysator für digitale Entwicklung in Verwaltung?

Während die USA gerade fragwürdige Wege einschlagen, liegt die Hoffnung für einen effizienten Verwaltungsapparat hierzulande wieder einmal auf dem Onlinezugangsgesetz. Seit seiner Neuauflage im Sommer 2024 zielt es noch stärker auf einheitliche Standards und Vorgaben ab. Die Wirksamkeit seines Vorgängers kann als verhaltener Erfolg gewertet werden, der das Eis in der Fläche gebrochen hat. Es wurden erste Grundlagen geschaffen und vor allem haben wir Erfahrungen gesammelt – zumindest manche von uns.

Während die einen Städte die Arme hochkrempelten und Verwaltungsdigitalisierung vorantrieben, schimpften die anderen über fehlende Konsequenz, technische und organisatorische Hürden sowie die hinderliche föderale Struktur. Die verfügbaren Technologien haben in den vergangenen Jahren durch Robotic-Process-Automation und den Einsatz Künstlicher Intelligenz einen weiteren Vorschub erhalten. Offen bleibt die Frage, was erforderlich ist, damit diese Technologien nicht mehr hinter den Möglichkeiten bleiben, was die konsequente Ende-zu-Ende-Digitalisierung in deutschen Amtsstuben betrifft. Die Antwortet lautet: Mehr als zentrale Standards und das Once-Only-Prinzip braucht es vor allem einen Wandel im Mindset. Nicht bei den Digitalisierungsverantwortlichen, den CDO's und den Smart-City-Beauftragten, sondern bei denen, die die Entscheidungen treffen.

Kommunale Selbstverwaltung reloaded!

Die übergeordneten staatlichen Ebenen beeinflussen natürlich die Entwicklungen in den Städten, Gemeinden und Regionen. Aber das Leben der Menschen findet nicht in den Bundesländern oder dem Staat statt, sondern ganz konkret und real in den Kommunen. Etwas mehr vom Mindset „Selbst-ist-die-Stadt“ ist die konsequente Weiterführung des Grundsatzes der kommunalen Selbstverwaltung. Kommunen, die mutig und umsichtig vorangehen, die zur Verfügung stehenden Technologien nutzen und nicht an alten Strukturen hängen, besinnen sich auf das.

Ein Ökosystem für Innovation in und mit Kommunen

In Bad Nauheim haben wir das Glück in einem nicht unmaßgeblich durch das Land Hessen gestalteten „Digitalisierungsökosystem“ zu wachsen, das dies unterstützt. Kommunale Verwaltungsinnovation vorantreiben, wo sie entstehen kann. Wo Nutzendenbedürfnisse auf Services treffen. Wo Institutionen und Behörden direkt greifbar und nah an den Menschen sind. Wo Feedback eingeholt wird und der Druck zur Effizienzsteigerung spürbar ist.

Das Programm ermöglicht es in Bad Nauheim, unabhängiger von übergeordneten Verwaltungsebenen zu agieren und ihre Dienstleistungen effizienter und bürgernäher zu gestalten. Gleichzeitig werden Nachnutzungs- und Efa-Prinzipien gezielt gefördert, um smarte Städte und Regionen durch bezahlbaren Technologie-Einsatz in der Fläche zu unterstützen. Wir sind in der Lage, innovative digitale Projekte eigenverantwortlich umzusetzen und somit unsere digitale Infrastruktur nachhaltig zu verbessern. Klingt nach top-down und bottom-up in Kombination – dem sogenannten Gegenstromverfahren. Wenn wir am Bild des Ökosystems weiterzeichnen, dann sind mutige Akteure mit Vorstellungskraft, Gestaltungswillen und einem hohen Zug zum Tor Dünger und Nährstoff für Entwicklung. Damit sind wir bei den Menschen und dem Mindset „Selbst ist die Stadt“.

Den Weg zu Ende gehen – über Kompetenzen, Mindset und Räume

Während der Vorläufer des OZG zumeist dafür sorgte, dass erste Services vom analogen Formular zur digitalen Eingabemasken transformiert wurden, stehen wir gerade an der Schwelle den Gedanken der Verwaltungsdigitalisierung konsequent zu Ende zu denken. Low- und No-Code, RPA und Künstliche Intelligenz schaffen auf technischer Seite die Voraussetzung. Denkt man aber weiter, ist man schnell an dem Punkt, dass sich der Leistungsfokus der Kommune komplett verschiebt. Und zwar trotz und gerade wegen mehr Technologisierung zu mehr Mensch.

Wenn man sich nur einmal das klassische Bürgerbüro anschaut, wird deutlich, wohin der Weg geht. Ein hohes Maß an höchst standardisierten Services, die zu hohen Anteilen einen geringen Komplexitätsgrad aufweisen. Braucht es also in 10 Jahren noch Meldehallen mit großen Wartebereichen und zahlreichen Schaltern? Oder bauen wir sie zurück – internationale Vorreiter zeigen wie es geht? Und braucht es dann – wie Amerika sagt – weniger Bedienstete? Die klare Antwort lautet „nein“. Unabhängig davon, dass sich die demografische Situation auch bereits heute stark auf den Personalkörper in Kommunen auswirkt.

Es braucht neue Kompetenzen, um Begegnungen mit Menschen positiv und nutzbringend zu gestalten. Um verschiedene Perspektiven mit in die Entwicklung von Lösungen einzubeziehen – nicht zuletzt auch die Perspektive der Daten im Sinne der Smart City.

Ein neues digitales Geschäftsmodell für Kommunen

Der wirkliche Wertbeitrag kommunaler Bediensteter für das Leben der Menschen liegt nicht im rechtmäßigen und effizienten Abarbeiten von mehr oder weniger komplexen Vorgängen. Er liegt darin, dass sie gemeinsam mit den Menschen und den gewählten Mandatsträgern Zukunft gestalten. Dazu müssen sie Kapazitäten haben, die durch die Automatisierung von Standardprozessen entstehen. Das, was die konsequente End-to-End-Digitalisierung verspricht, ist ein vollkommen neues Geschäftsmodell der Kommunalverwaltung.

Menschen mitnehmen und Mindset verändern

Wir haben das Bild in Bad Nauheim vor Augen und schreiben gerade an den Plänen, wie wir dahin kommen. Neben den zu akquirierenden Fördermitteln sind unsere Werkzeuge zur flächendeckenden Kulturveränderung und dem Wandel des Selbstverständnisses zentral hierbei. So arbeiten wir in allen Bereichen mit einer Adaption des OKR-Systems (Objectives und Key Results). Hierüber fragen sich alle Teams zweimal jährlich, wer ihre Kunden sind und welche Mehrwerte sie durch die Verwaltungsleitung gesetzten „Midtermgoal“ schaffen. Von der Erzieherin über die Müllwerker bis zu den Teams in der Verwaltung. Das motiviert, weil neben dem Teamgeist auch der Sinn in der Arbeit anders wahrgenommen wird.

Aus der Praxis für die Praxis empfehlen wir eine Frage, die dabei hilft, das individuelle Selbstverständnis unserer Bediensteten nochmal anders zu reflektieren: „Was soll auf Deiner Feier, die dich in den Ruhestand verabschiedet, über Dich gesagt werden? Nicht in der offiziellen Rede, sondern dann wenn Du heim gegangen bist.“ Wir machen die Erfahrungen, dass die auch oft unausgesprochenen Antworten hierauf Wirkung haben – auf den Wertbeitrag der Menschen, die für uns alle arbeiten. Und dann ist die Massenentlassung staatlicher Bediensteter wie in den USA ein echter Wertverlust statt eines intendierten Effizienzgewinns. Und der „Maschinenraum der Demokratie“ erweitert sich zur „Keimzelle für zukunftsfähige Städte und Zusammenleben“.

Matthias Wieliki leitet im Magistrat der Stadt Bad Nauheim den Fachbereich Zentrale Steuerung. Es ist sein erster Beitrag für diese Rubrik.

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen