Bis 2030 erwarten Experten nahezu eine Verdopplung des Mobilitätsaufkommens, die vorhandenen Kapazitäten reichen dafür jedoch schon heute nicht aus. Vielerlei Kräfte treiben den Wandel in der Mobilitätsbranche. Manche spitzen das Problem zu, andere versuchen, dem drohenden Verkehrsinfarkt entgegenzuwirken: Zum einen sind dies die immer individueller werdenden Mobilitätsbedürfnisse bei gleichzeitiger Urbanisierung. Zum anderen fördern gesellschaftliche Einflüsse wie ein verstärktes Umweltbewusstsein und der Wandel hin zur Sharing-Economy den Wunsch nach ökologischen Mobilitätsangeboten. Auch der technologische Fortschritt ist ein entscheidender Faktor. Künstliche Intelligenz und die vollständige Vernetzung werden final Einzug in die Gestaltung von Mobilitätsangeboten halten und zu deren Optimierung beitragen. Diese Entwicklungen reichen dennoch nicht aus, um den Mobilitätsbedarf zu bewältigen.
Sprechen Experten heute vom Zukunftsbild, das die Bedürfnisse nach Individualität, Flexibilität und Effizienz gleichermaßen adressiert, bezeichnen sie dies als „Smart Mobility“. Smart Mobility beschreibt dabei ein Szenario, in dem Mobilität als Dienstleistung genutzt wird. Im Idealfall wird die Dienstleistung dabei allerdings nicht durch einzelne Anbieter, sondern vielmehr durch die Kooperation mehrerer Akteure erbracht. Die Bündelung von Kompetenzen und der intelligente Datenaustausch im gesamten Mobilitäts-Ökosystem sind die stärksten Möglichkeiten, die Werteversprechen gegenüber den Kunden einzuhalten. Wie erreicht die Branche den notwendigen Austausch von Daten und Informationen über Unternehmensgrenzen hinweg?
Status Quo überwinden
In Deutschland agieren die verschiedenen Verkehrssysteme aktuell nicht mit-, sondern gegeneinander. Die über die Jahre gewachsenen Möglichkeiten durch Technologien wurden primär genutzt, um meist isolierte Mobilitätsangebote zu entwickeln, sowie die Effizienz im eigenen System zu erhöhen, und nicht, um ganzheitliche und serviceübergreifende Lösungen zu schaffen.
Kooperationen zwischen einzelnen Ökosystemen, wie dem Automobilverkehr, dem öffentlichen Verkehr, Mobilitätsplattformen und Sharing-Anbietern sind bislang eher selten. Die Einzelsysteme der Anbieter werden jedoch allmählich ihre Grenzen erreichen. Deshalb müssen sich die Stakeholder mit der Entstehung eines übergreifenden Ökosystems und ihrer spezifischen Rolle darin beschäftigen.
Unsere flächendeckend vernetzte Zukunft wird es auch im Bereich der Mobilität erleichtern, Informationen in Form von Daten durchgängig auszutauschen. In der Schweiz wird durch das Bundesamt für Verkehr die Option einer nationalen Metaplattform geprüft, in der alle Daten zur Gesamtoptimierung vorhanden wären. Auch in China sammelt je Verkehrssektor ein Unternehmen im Auftrag des Staates die Verkehrsdaten, die anschließend zur Gesamtplanung von Mobilitätsangeboten und –infrastruktur zusammengeführt werden.
Aktuell lässt sich hierzulande bei diesem Thema ein gewisser Protektionismus der Unternehmen beobachten: Sie befürchten, dass Wettbewerber einen Vorteil aus geteilten Daten ziehen, oder sie die Kontrolle über die Verwendung der Daten verlieren. Auch, weil der Wert der Daten aktuell schwer einzuschätzen ist und jeder die Kundenschnittstelle behaupten möchte.
Ein erstes positives Beispiel für eine durchgehende Perspektive ist die neue Mobilitätsplattform „Jelbi“ der BVG, in die sich jeder Anbieter integrieren kann und so sofort als Teil der Mobilitätskette angeboten wird.
Um den Forderungen nach Effizienz und bestmöglicher Verkehrssteuerung gerecht zu werden, ist es zwingend notwendig, dass sämtliche Akteure der Mobilitätsbranche miteinander vernetzt sind. Der Austausch von Daten, der zur Gesamtoptimierung beiträgt, muss forciert werden, einerseits durch interoperable Dienste und andererseits durch die Motivation der Akteure, ihre Daten tatsächlich miteinander zu teilen.
Erst eine gemeinsame Vision, dann ein einheitliches System
Durch hohe kapitalmarktgeförderte Investitionen konnten sich bislang amerikanische Unternehmen mit datenbasierten Technologien und Services wie Echtzeit-Navigation weltweit durchsetzen. Chinesische Unternehmen werden von einem lenkenden Staat vor Investitionsrisiken und ausländischen Bedrohungen geschützt. Um in diesem Wettbewerb weiterhin eine zentrale Rolle zu spielen, muss sich das durch Diversität und gemeinsame Werte geprägte Europa auf eine nutzerzentrierte Entwicklung der Mobilitätsbranche fokussieren und die dafür nötigen Infrastruktur- und Bewegungsdaten zur Entwicklung intelligenter Services nutzen.
Der wichtigste Aspekt ist zunächst, eine gemeinsam getragene Mobilitätsvision zu formulieren und in realistischen Schritten umzusetzen, damit Investitionen verschiedener Mobilitätsanbieter in die gleiche Richtung weisen, Planungssicherheit geboten wird und somit die Bereitschaft zur Kooperation der Stakeholder steigt. Zudem sind der Aufbau eines wirtschaftspolitischen Rahmens und die Formulierung von gesetzlichen Standards entscheidende Aspekte, um Anbietern und Nutzern Sicherheit und Transparenz zu bieten. Darüber hinaus müssen für Anbieter und Vermittler Anreize zum Mitwirken in übergreifenden Ökosystemen geschaffen werden.
Wesentliche Erfolgsfaktoren der zukünftigen Mobilität sind unter anderem der Aufbau eines einheitlichen Verkehrsmanagementsystems sowie das Sicherstellen von Nutzen, Einfachheit und Zuverlässigkeit der neuen Services, denn die Akzeptanz neuer Mobilitätsformen durch die Nutzer bestimmt das Gelingen der Mobilitätswende. Durch diese gezielten Maßnahmen kann ein Umstieg möglichst vieler Nutzer auf Angebote der Smart Mobility vorangetrieben werden. Die Mobilität der Zukunft kann nur in einer zielgerichteten Kooperation aus Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Forschung gelingen.