In den vergangenen Jahren hat uns immer die Frage beschäftigt, ob die Elektromobilität kommt. Betrachtet man die aktuellen europäischen CO2-Emissionsnormen, die Verkaufsziele der Automobilbranche oder Aussagen von Universitätsprofessoren, wird klar: Ja, sie kommt. Oder wie der Generaldirektor des TCS, des Schweizer Pendants zu ADAC und ÖAMTC, Jürg Wittwer, formuliert: Die Elektromobilität kommt viel schneller, und sie verändert viel tiefgreifender, als wir erwarten.
Um sich den Herausforderungen, die mit einer steigenden Elektrifizierung des Pkw-Sektors einhergehen, zu widmen, hat das Bundesunternehmen Austria Tech einen Hochlauf modelliert, wie sich Bestands- und Neuzulassungszahlen von E-Pkw in Österreich entwickeln müssen, um 2050 einen CO2-freien Pkw-Sektor zu erreichen. Daraus abgeleitet wurde der Bedarf an Heimladestationen. Für das Hochlaufmodell wurden alle Pkw „mit Stecker“ betrachtet, wobei die Anteile von BEV (Battery Electric Vehicle) und PHEV (Plug-in-Hybrid Electric Vehicle) nicht separat ausgewiesen wurden.
2030 müssen drei von vier Neuzulassungen elektrisch sein
Gemäß Modell benötigt es bis 2025 einen E-Anteil unter den Neuzulassungen von rund 28 Prozent, ehe er im Jahr 2030 auf 76 Prozent ansteigt und sich bis 2040 der 100-Prozent-Marke annähert. Im Vergleich dazu steigt der Bestand etwas flacher an. Bei einer angenommenen Lebensdauer eines Pkw von 14 Jahren beträgt der E-Anteil im Bestand 2025 rund sieben Prozent und 2030 rund 27 Prozent. In den folgenden Jahren steigt er jedoch stark an, auf 59 Prozent im Jahr 2035 und 86 Prozent im Jahr 2040, bevor er im Jahr 2050 zielgemäß 100 Prozent erreicht.
Jahrzehnte lang haben wir uns daran gewöhnt, dass wir zur Tankstelle fahren müssen, um Energie für unser Auto zu tanken. Mit E-Autos ändert sich das grundlegend. Aus Studien und Projekten wissen wir, dass im Schnitt 80 bis 90 Prozent der Ladungen zu Hause erfolgen. Neben dem laufenden Ausbau öffentlicher Ladeinfrastruktur ist für den weiteren Markthochlauf von E-Pkw vor allem das einfache Laden zu Hause entscheidend. Da in der neuen EU-Gebäuderichtlinie (2018/844/EU) einheitliche Vorgaben für Ladeinfrastruktur bei Neubauten festgelegt wurden, hat sich Austria Tech die Herausforderungen bei der Nachrüstung von Ladeinfrastruktur in Bestandswohnanlagen näher angesehen.
Bis 2030 müssen 440 neue Wallboxen pro Werktag errichtet werden
Auf Basis der modellierten Neuzulassungs- und Bestandszahlen wurde anhand von Gebäude- und Haushaltsstatistiken der E-Pkw-Anteil pro Haushalt sowie die benötigten Ladepunkte ermittelt. Bis 2030 ergibt sich daraus ein Bedarf von rund 1,3 Millionen Ladepunkten in Bestandswohnanlagen in Österreich. Das bedeutet, dass zwischen 2019 und 2030 rund 440 Wallboxen pro Werktag errichtet werden müssten. In Gebäuden mit mehr als zehn Wohnungen sind das immerhin noch 140 Wallboxen pro Werktag bis 2030.
Wenn in Zukunft alle E-Autos gleichzeitig laden, könnte es schon einmal eng werden. Doch dasselbe gilt für das gleichzeitige Kochen und Wäsche waschen. Für die Planung von E-Ladestationen ist es analog zur herkömmlichen Elektro-Planung notwendig, Gleichzeitigkeitsfaktoren heranzuziehen. Dazu gibt es Werte vom Versorger Oesterreichs Energie und Ergebnisse aus Pilotversuchen. Bei einer Pilotanlage in Wien-Liesing kam man nach sechswöchigem Test eines Anteils von 50 Prozent E-Pkw zu dem Ergebnis, dass eine problemlose Versorgung der Ladeinfrastruktur ohne Verstärkung des Hausanschlusses möglich ist. In Kombination mit einem Lastmanagement, also der Möglichkeit, gesteuert zu laden, und einer netzschonenden Langsam-Ladung von 2 bis 3,7 Kilowatt (kW) und maximal 11 kW, kann in einer ersten Ausbaustufe in sehr vielen Wohnhausanlagen die Lösung gefunden werden.
Meist sind die Schritte zu einer Heimladestation noch sehr umständlich, und vielfach fehlt es an Wissen. Um einen standardisierten Ablauf und eine Hilfestellung bei der Errichtung von Ladeinfrastruktur in Wohnanlagen bereitzustellen, erarbeitet Austria Tech gemeinsam mit vier Projektpartnern den sogenannten e-Mobility Check. Dieser wurde an 14 Anlagen getestet und liefert nach Fertigstellung im Februar 2020 einen Leitfaden für eine erleichterte Nachrüstung von Ladeinfrastruktur in Wohnanlagen. Inhalte sind: Checklisten für Elektriker und E-Planer, eine Entscheidungsgrundlage für Eigentümer und Verwalter sowie Kostenbeispiele.
Autos kommunizieren mit der Infrastruktur
Die Errichtung von Ladeinfrastruktur für E-Pkw in Wohnanlagen ist eine von vielen notwendigen Maßnahmen für die Erreichung der Klimaziele und zeigt beispielhaft, wie eng die Sektoren Mobilität, Wohnen und Energie verknüpft sind. Für eine konsequente Dekarbonisierung bis 2050 ist es neben der Optimierung einzelner Bereiche unabdingbar, Maßnahmen in einen Gesamtkontext zu stellen, um Potenziale frühzeitig zu nutzen. Der Ansatz der Sektorintegration bietet dabei die Möglichkeit, jene Bereiche, die traditionell getrennt voneinander betrachtet wurden, ganzheitlich zu optimieren.
Neue Mobilitätstrends bieten neue Chancen. Durch die Digitalisierung werden Fahrzeuge zunehmend vernetzt und mit anderen Fahrzeugen und der Infrastruktur kommunizieren. Vernetzung wiederum erleichtert die geteilte Nutzung von Fahrzeugen (Carsharing) und das Management von Flotten. Durch automatisiertes Fahren und die Kombination von Services entstehen neue Mobilitätsangebote. Doch gilt es, Potenziale für eine CO2-Einsparung bereits früh in Planungen miteinzubeziehen und so positive Effekte für Mensch und Umwelt zu erzielen. Dabei ist es notwendig, unser Detailwissen aus einzelnen Bereichen intelligent miteinander zu verknüpfen und aus neuen Pilotanlagen zu lernen.
Austria Tech ist eine 100-Prozent-Tochter des österreichischen Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT). Sie agiert als Integrator im Themenfeld der Mobilität und unterstützt bei der Transformation hin zu einem ökologischen, effizienten und modernen Verkehrssystem, von neuen Services über digitale Infrastruktur bis hin zu automatisierter Mobilität.