Wer die folgenden Zahlen liest, dem kann der berühmte Bissen eigentlich nur im Halse stecken bleiben: Jährlich entstehen in Deutschland fast elf Millionen Tonnen an Lebensmittelabfällen. Mit übrig gebliebenen Speiseresten, nicht verkauften Lebensmitteln und Verlusten entlang der Produktions- und Lebensmittelkette könnten wir in Deutschland also einen rund 7500 Kilometer langen Containerzug füllen, der ungefähr von Berlin nach Peking reichen würde.
Das muss uns zu denken geben, und das ist ein klarer Handlungsauftrag an die Politik: Denn nicht wenige der entsorgten Lebensmittel sind noch genießbar.
Dass sie einfach im Müll landen, ist unverantwortlich. Hinzu kommt ein irritierender Befund im Lebensmittelabfall-Indexbericht der Vereinten Nationen aus diesem Jahr: Rund ein Fünftel der den Verbraucherinnen und Verbrauchern zur Verfügung stehenden genießbaren Lebensmittel werden weggeworfen – insgesamt eine Milliarde Mahlzeiten weltweit täglich.
Das von den Vereinten Nationen und Deutschland vereinbarte Ziel, die Anzahl der Lebensmittelabfälle auf Handels- und Verbraucherebene bis zum Jahr 2030 zu halbieren, bleibt angesichts dessen eine riesige politische und – wie ich finde – auch ethische und gesamtgesellschaftliche Herausforderung.
Der Senat und insbesondere mein Haus nimmt seine Verantwortung hier in Berlin an. Zur Bekämpfung von Lebensmittelverschwendung haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart, den nachhaltigen Umgang mit Lebensmitteln zu forcieren und unter Einbindung der regionalen Wirtschaft bestehende Initiativen zur Lebensmittelverschwendung zu bündeln. Es ist und wird auch auf längere Sicht eines der politischen Handlungsfelder im Bereich Verbraucherschutz bleiben.
Berlin ist dabei als Stadt mit mehr als 3,5 Millionen Einwohnern ein besonderer Kosmos. In Berlin leben sehr viele Menschen auf engem Raum, es gibt unzählige Restaurants und Imbisse, hunderte Hotels, tausende Kantinen und Mensen und eben mehrere Millionen Menschen, die hier leben und noch mehr jährliche Besucher dieser Stadt.
Wer aufmerksam durch unsere Stadt geht, kann das Problem nicht selten sogar sehen: Weggeworfenes Essen in Mülltonnen oder einfach auf der Straße ist ein allgemeines Phänomen. Klar ist: Wir sind als Metropole auch besonders gefordert. In ländlichen Gebieten werden viel weniger Lebensmittel verschwendet.
Runder Tisch gegen Lebensmittelverschwendung
Um möglichst effiziente Maßnahmen gegen die Lebensmittelverschwendung in Berlin zu entwickeln, werde ich daher jetzt wichtige Akteure aus dem Handel sowie der Berliner Tafel und weiterer lebensmittelrettenden Organisationen zusammenbringen.
Warum der Handel zuerst? Weil er schon sehr viel leistet und Strategien und technologische Mittel in Form von Künstlicher Intelligenz gegen Lebensmittelverschwendung entwickelt hat. Der Handel kann damit als Vorreiter für anderen Branchen fungieren.
Aber Berlin besitzt nicht nur ein dichtes Netz an Handelsunternehmen, Supermärkten und Verkaufsstellen, sondern hat mit der Berliner Tafel und ihren zweitausend Ehrenamtlichen sowie der sogenannten Foodsharing-Bewegung mit ebenfalls mehreren tausend Aktiven riesige ehrenamtliche Potenziale. Das sind Menschen, die sich für dieses Thema mit ihrem ganzen Herzblut, mit viel Engagement und viel Energie einsetzen. Wir wollen mit dem Runden Tisch den Handel und dieses hervorragend organisierte Engagement enger zusammenführen.
Berlin hat bereits mit der von mir verantworteten Berliner Ernährungsstrategie bundesweit Vorbildcharakter. Ähnlich wollen wir auch bei der Eindämmung der Verschwendung von Lebensmitteln strategisch weiterkommen.
Der Runde Tisch gegen Lebensmittelverschwendung verfolgt drei Kernziele: Es soll eine Austauschplattform für die Beteiligten entstehen, um aktuelle Entwicklungen in Berlin auch politisch besser wahrnehmen und aufgreifen zu können. Zentrale Berliner Akteure im Bereich Handel sowie der Berliner Tafel und weiterer lebensmittelrettender Organisationen sollen noch besser vernetzt und sichtbar gemacht werden. Nicht zuletzt soll der Runde Tisch effiziente Maßnahmen und strategische Konzepte anstoßen, die am Ende mithilfe einer „Berliner Erklärung“ öffentlich bekannt gemacht werden.
Konzept der Verteilerkühlschränke fördern
Hierfür notwendig ist, dass das öffentliche Bewusstsein weiter geschärft wird. Bereits zum Auftakttermin Anfang dieses Monats erwarten wir eine mit Fachleuten besetzte Veranstaltung in der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmern sollen das Thema Lebensmittelverschwendung aus unterschiedlichen Perspektiven diskutieren und dann Lösungsvorschläge erarbeiten. Unter anderem wird ein Supermarktbetreiber darlegen, dass mit Hilfe intelligenter Lösungen in den Märkten gar nichts weggeschmissen werden müsste.
Erste kleinere Ansätze gibt es bereits, auf die konkrete Maßnahmen folgen. Beispielsweise hat mein Haus gemeinsam mit der Verbraucherzentrale Berlin das Konzept der sogenannten Verteilerkühlschränke entwickelt. Unter Einhaltung von Hygienevorgaben und der Lebensmittelsicherheit werden über diese Kühlschränke in sozialen Einrichtungen in Berlin gespendete Lebensmittel an Bürgerinnen und Bürger weitergegeben. Warum soll es solche Aufbewahrungsorte zur Weitergabe von gespendeten und noch genießbaren Lebensmitteln nicht auch an weiteren Orten in der Stadt geben?
Bis zur Grünen Woche 2025 wollen wir uns auf erste, effiziente Maßnahmen im Rahmen des Runden Tisches verständigt haben. Das ist ambitioniert, ist aber der Dringlichkeit des Themas geschuldet.
Lebensmittel wieder wertschätzen
Aber nicht nur der Handel ist gefragt. Andere Branchen haben ebenfalls Nachholbedarf und vor allem: Ein Großteil der Lebensmittelabfälle – und damit auch der Verschwendung – fällt mit fast 60 Prozent in privaten Haushalten an. Insofern helfen bereits kleine Veränderungen jedes Einzelnen, wie beispielsweise den Einkauf besser zu planen, saisonal und regional einzukaufen, die Lebensmittel richtig zu lagern und Reste mitzunehmen, um die Verschwendung deutlich zu reduzieren. Das ist eine gute Nachricht: Wir stehen als Verbraucher nicht ohnmächtig vor dieser großen Aufgabe. Jeder kann seinen Beitrag leisten.
Mit dem Runden Tisch gegen Lebensmittelverschwendung möchte ich also mit den entscheidenden Playern wirksame Maßnahmen entwickeln und die Öffentlichkeit mitnehmen, damit wir gemeinsam Lebensmittel wieder wertschätzen als das, was sie für uns sind: „Lebens-Mittel“!