Standpunkte Eine suffizienzorientierte Landwirtschafts- und Ernährungspolitik für Deutschland und die EU

Die Auswirkungen von Landwirtschaft und Ernährung auf Artenvielfalt, Wasserhaushalt, Bodenqualität und weitere Bereiche sind enorm – genauso groß sind die Potenziale einer suffizienzorientierten Ausrichtung. Wie der Sektor entsprechend umgestaltet werden könnte, beschreibt Carina Zell-Ziegler, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Öko-Institut, in ihrem Standpunkt.
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Jetzt kostenfrei testenSuffizienz bedeutet, sparsam mit Energie und Ressourcen umzugehen, um planetare Grenzen einzuhalten und gleichzeitig ein gutes Leben für alle Menschen zu ermöglichen. Im Impulspapier „Krisenfest, sozial und umweltgerecht. Impulse zur Entwicklung einer Suffizienzstrategie für Deutschland“ listen wir konkrete Politikvorschläge für vier Sektoren auf, darunter auch Ernährung und Landwirtschaft. Sie sind in Zusammenarbeit mit dem Wuppertal Institut und der Europa-Universität Flensburg entstanden.
Wir machen klar: Suffizienz ist keine individuelle Entscheidung. Eine energie- und ressourcensparende Lebens- und Wirtschaftsweise wird durch die politisch gestalteten Rahmenbedingungen, die Infrastrukturen und Anreize geprägt. Daher ist es wichtig, über Suffizienzpolitik und ihre Potenziale zu sprechen.
Umstellung der Ernährung birgt große Einsparpotenziale
Unsere Empfehlungen: Kantinen sollten auf die Planetary Health Diet sowie mehr regionale, saisonale und ökologische Lebensmittel setzen. Weitere ökonomische und/oder regulatorische Anreize für pflanzenbasierte Ernährung wie zum Beispiel die Abschaffung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf Fleisch und Milchprodukte, der eine umweltschädliche Subvention in Höhe von jährlich mehr als fünf Milliarden Euro darstellt, lohnen sich. Dies kann zu einer Einsparung von mehr als sechs Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten im Jahr führen.
Weitere Optionen sind eine Steuer oder Emissionsabgabe auf tierische Produkte. Veränderte Ernährungsgewohnheiten im Sinne der Planetary Health Diet könnten bis 2045 zu einer Emissionseinsparung von bis zu 30 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten führen.
Tierhaltende Betriebe brauchen alternative Einkommensquellen
Mit unserer Ernährung bestimmen wir mit, was die Landwirtschaft produziert. Die reduzierte Nachfrage nach tierischen Lebensmitteln infolge einer Ernährungsumstellung sollte zusätzlich mit produktionsseitigen Maßnahmen unterstützt werden. Daher fordern wir parallel zur staatlich geförderten gesunden Ernährung entweder ein ordnungsrechtliches Gebot zur Kopplung der Tierzahlen an die vom Betrieb bewirtschaftete und in der Umgebung liegende Fläche. Oder fiskalische Anreize, die eine Abstockung der Tierzahlen fördern.
Das Umweltbundesamt hat berechnet, dass mit einer Reduktion der Rinderzahlen um 37 Prozent zwischen 2010 und 2030 fast 13 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent eingespart werden können. Bei der Transformation der Tierhaltung zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen und der Verringerung der Tierbestände sollte die Umstellung auf mehr Tierwohl, eine graslandbasierte Fütterung und eine Verringerung der regionalen Konzentration von Tierbeständen berücksichtigt werden.
Allerdings ist eine Umstellung der Tierhaltung nur möglich, wenn sie wirtschaftlich tragfähig ist und die Betriebe Zugang zu alternativen Einkommensquellen haben. Sowohl bei der Ernährungsumstellung als auch bei der Reduktion der Tierzahlen sollten neben den Emissionseinsparungen weitere soziale und ökologische Vorteile wie ein Rückgang der ernährungsbedingten Krankheiten und der Gewässerschutz im Vordergrund stehen.
Maxime: Öffentliches Geld für öffentliche Leistungen
An einer Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) führt aus Suffizienzsicht kein Weg vorbei. Das Ziel muss sein, nachhaltige Praktiken attraktiv zu entlohnen und damit Anreize zu schaffen, Betriebe entsprechend umzustellen. Statt der pauschalen Flächenprämie wären dies nur Zahlungen entsprechend dem Leitsatz „öffentliches Geld für öffentliche Leistungen“. Die Zahlungen müssten also an ökologische Kriterien gekoppelt sein und entsprechend umgeschichtet werden.
Für die Transformationsaufgaben werden aber auch weitere finanzielle Mittel über die GAP-Gelder hinaus notwendig sein. Über die GAP könnte dann die Abstockung der Tierbestände - vor allem auf Moorstandorten - entlohnt werden. Gleichzeitig sollten ausreichend Anreize geschaffen werden, um die freigewordenen trockengelegten Moorflächen wiederzuvernässen.
Bei Ökolandbau und besonders hohen Tierschutzstandards sollten Extraprämien winken, genauso wie bei der Erhaltung und dem Aufbau von Humus oder der Nutzung von Flächen zur Förderung der Biodiversität. Das Umweltbundesamt schätzt, dass eine jährliche Wiedervernässung trockengelegter landwirtschaftlicher Flächen von circa fünf Prozent bis 2030 über 20 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent einsparen würde. Im Projektionsbericht der Bundesregierung 2023 wird das langfristige Einsparpotenzial des Aktionsprogramms natürlicher Klimaschutz auf 4,3 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent im Jahr 2050 beziffert.
Reduktion der Lebensmittelabfälle wie in Frankreich angehen
Um die Lebensmittelabfälle wie geplant zu halbieren, sollte die Kommunikation des Mindesthaltbarkeitsdatums („Oft länger gut“) intensiviert werden. Informationskampagnen und Wettbewerbe zur besseren Essensplanung könnten hilfreich sein sowie Regeln für Supermärkte wie in Frankreich. Dort sind seit dem Verbot für Supermärkte, Lebensmittel wegzuwerfen, die Preise am Tagesende gesunken. Eine Reduktion oder Halbierung von Lebensmittelabfällen wird mit einer mittel- bis langfristigen Emissionseinsparung von etwa acht Millionen Tonnen CO2-Äquivalent im Jahr beziffert.
Landwirtschaftliche Flächen dem Kapitalmarkt entziehen
Für eine langfristige Strategie braucht es ein Zielbild, das wie folgt aussieht: Für die Landwirtinnen und Landwirte, auch kleine Betriebe, lohnt es sich finanziell, ihre Flächen nachhaltig zu bewirtschaften und ihre Tiere nach hohen Tierwohlstandards zu halten. Ihre wichtige Arbeit für den Erhalt der regionalen Lebensmittelproduktion, der Kulturlandschaft und auch der Biodiversität wird mehr wertgeschätzt.
Emissionsintensive Produkte, vor allem tierische, werden nur noch im umwelt- und gesundheitsverträglichen Maß gekauft, da die Steuern so gestaltet sind, dass externe Effekte mit eingepreist sind. Landwirtschaftliche Flächen sind dem Kapitalmarkt und Spekulationen entzogen, Flächen werden stattdessen nach ökologischen Kriterien und an das beste Konzept verpachtet oder verkauft. Die Planetary Health Diet ist als Ernährungsweise Mainstream geworden, die Zahl ernährungsbedingter Krankheiten ging dadurch um die Hälfte zurück.
Multiple Krisen erfordern Multi-Solving-Strategien
In einer Zeit multipler Krisen müssen die Anreize und Regeln so gestaltet werden, dass Menschen und Umweltgüter gleichermaßen geschützt werden und Landwirtinnen und Landwirte ein gutes Auskommen haben, je höher, desto nachhaltiger sie wirtschaften. Solche Ansätze werden als Multi-Solving-Strategien bezeichnet; unsere Vorschläge aus Suffizienzsicht haben das Potenzial, solche Strategien zu sein.
Die veröffentlichten Impulse für eine Suffizienzstrategie, die daneben die Handlungsfelder Wohnen, Mobilität und Konsum & Produktion mit einschließen, sollen die Diskussion darüber anregen und den Vorschlägen unter dem Dach der Suffizienz einen neuen Kontext geben – eine konsequente Ausrichtung der politischen Rahmenbedingungen hin zu Lebens- und Wirtschaftsweisen, die wenig Energie und Ressourcen verbrauchen. Denn ein „Weiter so“ können wir uns schlicht nicht leisten.
Carina Zell-Ziegler ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Energie & Klimaschutz am Berliner Standort des Öko-Instituts und arbeitet zu Energiesuffizienz.
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