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Agrar & Ernährung

Standpunkte Spiegelklauseln sind keine Lösung

Matthias Wolfschmidt, Tierarzt und NGO-Gründer
Matthias Wolfschmidt, Tierarzt und NGO-Gründer Foto: Lotte Nerz

Als protektionistische Luftnummer bezeichnet Matthias Wolfschmidt das Vorhaben von EU-Agrarkommissar Hansen, beim Import von Agrarprodukten künftig mehr auf die Einhaltung von Standards zu achten. Stattdessen bräuchte es Schutzzölle nach außen und Abgaben auf umweltschädliche Praktiken nach innen, schreibt Wolfschmidt.

von Matthias Wolfschmidt

veröffentlicht am 10.03.2025

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Schon vor drei Jahren hatte die damalige französische Ratspräsidentschaft der EU angekündigt, die europäischen Bauern vor billigeren Importen, beispielsweise von Rindfleisch aus den Mercosur-Staaten, durch „mirror measures“ schützen zu wollen. Die Importeure sollten „spiegelbildliche“ Abgaben zahlen, weil sie angeblich geringere Auflagen beim Tier- und Umweltschutz zu beachten hätten als EU-Landwirte. So entstehe fairer Wettbewerb.

Eine entsprechende Debatte, angezettelt von den französischen Rindfleischproduzenten, hatte zuvor in Frankreich politisch einige Wellen geschlagen. Doch aus dem Vorhaben ist nichts geworden. Offenbar war der Brüsseler Agrarbürokratie aufgefallen, dass die EU ziemlich wenig zu bieten hätte, um erwartbare Klagen bei der Welthandelsorganisation abzuwehren.

Die „mirror measures“ waren nichts weiter als eine protektionistische Luftnummer.

Standards in der EU vielfach unzureichend

Nun greift EU-Agrarkommissar Christophe Hansen die alte Forderung wieder auf, um die „Wettbewerbsfähigkeit“ des EU-Agrarsektors zu gewährleisten. Diesmal soll als Vorwand die erfolgreiche Europäische Bürgerinitiative „End the cage age“ herhalten. Sie forderte 2020 das Ende sämtlicher Käfighaltungsmaßnahmen in der europäischen Nutztierhaltung.

Die damalige EU-Kommission, ebenfalls unter Präsidentin Ursula von der Leyen, kündigte daraufhin eine Gesetzesinitiative bis Ende 2023 an, der zufolge sämtliche Käfighaltungsverfahren irgendwann beendet sein sollten. Geschehen ist nichts.

Die neue Kommission scheint sich im Rahmen ihres neuen Mantras der „EU-Wettbewerbsfähigkeit“ des gebrochenen Versprechens zu erinnern. Doch selbst wenn sie das Käfighaltungsverbot irgendwie umsetzen würde, dürfte das kurz- bis mittelfristig nicht reichen, um bei der Welthandelsorganisation irgendwelche Importzölle für Drittstaaten wegen „Tierschutz“ durchzusetzen.

Denn die Hürden dafür sind hoch, wie 2015 ein Rechtsgutachten im Auftrag von Foodwatch nachgewiesen hat. Der verlorene Kampf um die Abschaffung des tierquälerischen „Kastenstands“ für Muttersauen, in den die Tiere in Deutschland und vielen anderen EU-Staaten gezwängt werden dürfen, ist ein Hinweis auf die erwartbaren massiven Widerstände der Agrarlobby – gegen den Willen der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung.

Situation der Ökosysteme ist prekär

Nicht anders sieht es mit den von der französischen Ratspräsidentschaft Anfang 2022 behaupteten angeblich hohen Umweltschutzanforderungen in der EU-Landwirtschaft aus. Angesichts der nachweislich prekären Situation bei Ökosystemen und landwirtschaftlich genutzten Böden darf man „Umweltschutz in der Landwirtschaft“ getrost als Märchen der Agrarlobby bezeichnen.

Der Europäische Rat hat die Ernährungssicherheit in Europa inzwischen als gefährdet bezeichnet. „Verarmte Böden und geschädigte landwirtschaftliche Ökosysteme sind nur begrenzt in der Lage, Nahrungsmittel zu produzieren. Heute sind bis zu 73 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche von Bodendegradation betroffen“, schrieb der Rat anlässlich der Verabschiedung des Nature Restoration Laws.

Subventionen helfen nicht gegen Umweltzerstörung

Die jetzt von EU-Agrarkommissar Hansen wieder ins Spiel gebrachten „mirror measures“ waren vor drei Jahren und bleiben auch heute nichts anderes als der Versuch, das Scheitern der bisherigen EU-Agrarpolitik zu kaschieren. Protektionismus und die seit der Jahrtausendwende ausgeschütteten 1,5 Billionen (!) Euro an Agrarsubventionen sind keine adäquaten Antworten auf die massive Umweltzerstörung, das unfassbare Leid von Millionen von Nutztieren und – nicht zuletzt – die Zukunftssorgen der nächsten Generation unserer Landwirtinnen und Landwirte.

Wirksame Alternativen liegen auf dem Tisch: Innerhalb der EU bräuchte es Abgaben des Agrarsektors auf Treibhausgase, Pestizide und Mineraldünger sowie einen verbesserten Tierschutz, der den Anforderungen der Weltorganisation für Tiergesundheit WOAH genügt. Um die Landwirte vor dem Druck des Weltmarkts zu schützen, bräuchte es einen Umweltzoll für Importe aus Drittstaaten. Das ließe sich kompatibel mit den Regeln der Welthandelsorganisation gestalten (siehe Standpunkt vom September). Anders kann sich eine nachhaltige Landwirtschaft innerhalb der EU weder entwickeln noch kann sie überleben.

Greift Christophe Hansen dieses umfassende Konzept nicht auf, reiht er sich ein in die Riege all jener Agrarkommissare, die unsere Ernährungszukunft und die Zukunft unserer Landwirte aufs Spiel setzen.

Matthias Wolfschmidt ist Tierarzt und war langjähriger Direktor für Kampagnen und Strategie bei Foodwatch. Er ist Initiator einer in Gründung befindlichen NGO für einen zukunftsfähigen EU-Agrarsektor.

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