Wahltaktisch geschickt hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die protestierenden Bauern vor den EU-Parlamentswahlen im Juni durch das Aufweichen, Verschieben und Aussetzen von ökologischen und tierschützenden Vorschriften besänftigt. In ihrer Bewerbungsrede am 18. Juli im neugewählten EU-Parlament kündigte sie dann eine „angemessene Entlohnung“ für solche Landwirte an, die „Natur und biologische Vielfalt nachhaltig nutzen und dazu beitragen, den Kohlenstoffhaushalt auszugleichen“.
Der von Frau von der Leyen im Januar etablierte Strategiedialog empfiehlt in seinem Anfang September vorgelegten Konsensbericht mehr Geld für freiwillige landwirtschaftliche Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen. In Kapitel fünf „Promoting sustainability and competitiveness in trade policy“ schlägt er reichlich vage „mehr Kohärenz zwischen Handels- und Nachhaltigkeitspolitik vor“.
Dies ist nichts anderes als ein „Weiter so“ eines gescheiterten Systems auf Kosten der Steuerzahler.
Auch die Erwartung, die EU-Landwirtschaft durch die Förderung der ökologischen Landwirtschaft nachhaltiger zu machen, hat sich nicht erfüllt. Diese bleibt mit etwa zehn Prozent Flächenanteil und sieben Prozent Umsatzanteil am gesamten Agrarsektor eine Nische für Besserverdienende.
Neuanfang nur mit Verursacherprinzip und Umweltzöllen
Die Anwendung des Verursacherprinzips („der Verschmutzer zahlt“) in Kombination mit Umweltzöllen würde hingegen die gesamte EU-Landwirtschaft effektiv ökologisch ausrichten.
Die wichtigsten Maßnahmen sind die Entrichtung von Abgaben auf Treibhausgase, auf den Einsatz von Pestiziden und Mineraldünger sowie EU-einheitliche Regulierungen für effektiven Tierschutz. Um zu vermeiden, dass Dumpingimporte aus Drittstaaten diese Maßnahme unterlaufen, müssen Importeure die Abgaben ebenfalls entrichten und – wie es in der ökologischen Landwirtschaft Praxis ist – über Zertifizierung nachweisen, dass die EU-Tierschutzregeln eingehalten wurden.
Dadurch wird die gesamte EU-Landwirtschaft deutlich umwelt-, klima- und tierfreundlicher. Die Produktionskosten werden jedoch steigen und daher zu höheren Verbraucherpreisen führen. Allerdings wird die öffentliche Hand Einnahmen sowohl aus den Abgaben der EU-Landwirte (Pestizide, Mineraldünger, Kohlendioxid) als auch aus den „Umweltzöllen“ auf Importe aus Drittstaaten generieren und Milliarden an Subventionen einsparen.
Dieses Geld kann wiederum an die Verbraucher für eine soziale Abfederung der höheren Lebensmittelpreise zurückgezahlt werden. Auch eine zielgenaue Unterstützung bedürftiger Landwirte wäre möglich.
Die Weltmarktfixierung der EU-Agrar-Handelspolitik überwinden
Die EU ist längst zum weltgrößten Agrarexporteur geworden, ihre Exportschlager sind Molkereierzeugnisse, Fleischwaren und Alkoholika.
Wir alle bezahlen dafür einen enormen Preis: Schädliche Auswirkungen auf Klima, Artenvielfalt, Nutztiere und die körperliche Gesundheit vieler Landwirte. Immer größere Ackerflächen, enge Fruchtfolgen, jährlich fast 35.000 Tonnen (!) Pestizidwirkstoffe, Überdüngung und Bodenverdichtung, Verlust von Bodenfruchtbarkeit und allmählich verschwindende bestäubende Insekten. Mit einem Anteil von 13 Prozent an den gesamten Treibhausgasemissionen liegt der Agrarsektor auf dem Niveau des Verkehrssektors.
Beispiellose Verschwendung von Steuermilliarden
Seit der Jahrtausendwende wurden rund 1,5 Billionen Euro an Steuergeldern allein an EU-Agrarsubventionen ausgegeben. Damit wurden de facto gewaltige, vom derzeitigen Agrarsystem verursachte Umweltschäden in der EU bezuschusst und letztlich die Versorgungsicherheit künftiger Generationen gefährdet.
Auch der Beitrag zur Bekämpfung des steigenden Hungers (und damit von Migrationsursachen) gerade in Afrika, den diese 1,5 Billionen Euro Agrarsubventionen geleistet haben, ist minimal. Nicht einmal das Höfesterben in der EU haben sie verhindert.
EU-Umweltzölle gibt es bereits – konform mit der Welthandelsorganisation
Seit Oktober 2023 gibt es in der EU den sogenannten Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) für die Stahl-, Zement-, Düngemittel-, Elektrizität- und Wasserstoff-Hersteller. Dieser „CO2-Zoll“ gleicht die Kosten der EU-Hersteller für Klimaschutzmaßnahmen so aus, dass Importe aus Drittstaaten gleichwertig belastet, also verteuert werden. Genau das werden auch Abgaben auf Umweltschäden in der Landwirtschaft verbunden mit Außenschutz gegen Billigimporte leisten.
450 Millionen Europäerinnen würden von besseren Lebensmitteln, einer sauberen Umwelt und – dank ausreichender Artenvielfalt – stabileren, den Herausforderungen des Klimawandels trotzenden Ökosystemen profitieren – auch künftige Generationen.
Doch alle Anzeichen deuten darauf hin, dass die gescheiterte Agrarpolitik der vergangenen Jahrzehnte mit noch mehr öffentlichen Geldern wider alle Vernunft fortgesetzt wird.
Thilo Bode ist Diplom-Volkswirt, Foodwatch-Gründer und war bis 2021 Direktor von Foodwatch International. Zuvor war er Direktor von Greenpeace Deutschland und Greenpeace International. Matthias Wolfschmidt ist approbierter Tierarzt, war zwanzig Jahre für das Campaigning bei Foodwatch – zuletzt als Internationaler Strategiedirektor – zuständig. Anschließend war er Vorsitzender des Vorstandes der Aurelia Stiftung.