Die EU-Kommission war 2019 mit starken Ankündigungen gestartet. Sie wollte in dieser Legislatur mehr Klimaschutz und Ökologie in Europa umsetzen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte schon in ihrer Bewerbung einen Green Deal für Europa versprochen. Sie verknüpfte die Sicherung eines naturnahen, gesunden Kontinentes darin mit der Ankündigung, Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen.
Knapp fünf Jahre später und kurz vor dem Start des Wahlkampfs für das nächste Europäische Parlament und die nächste Kommission ist davon kaum mehr etwas übrig. Schlimmer noch: Getrieben von Teilen des Europaparlaments wirkt die Kommission so, als habe sie vor allem in der Biodiversitätspolitik den Rückwärtsgang eingelegt. Derzeit versucht sie gar nicht mehr, Fortschritte zu erzielen. Bereits getroffene Vereinbarungen werden sogar zurückgenommen.
Ein Gradmesser für diesen „Roll back“ sind die Diskussionen um die erneute Aussetzung der Grundanforderungen an Brachen und ökologische Rückzugsflächen in der Landwirtschaft (GLÖZ8-Regelung) und der Rückzug des Vorschlags zur nachhaltigen Nutzung von Pestiziden (Sustainable Use Regulation). Das Nature Restoration Law überlebte den Gesetzgebungsprozess nur stark verwässert. Es ist daher an der Zeit für einen Rückblick auf nicht gehaltene Versprechen, die daraus entstehenden Konsequenzen und einen Ausblick auf die Aufgaben, die im Klima- und Naturschutz in der kommenden Legislatur anstehend.
Von Anfang an widerstreitende Positionen zum Green Deal
Die Europäische Kommission hatte den Green Deal 2020 als Strategie vorgestellt, die Wirtschaft klima- und umweltverträglich zu machen. Auch wenn die Kommission betonte, dass die europäische Wertschöpfung zukünftig mit mehr Klima- und Biodiversitätsschutz einhergehe: Der Green Deal sollte zunächst dazu dienen, Wachstum und Wettbewerbsposition der europäischen Wirtschaft zu sichern.
Damit lagen widerstreitende Interessen, wie sie sich in der Diskussion um die Sustainable Use Regulation und das Nature Restoration Law zeigen, von Beginn in der Luft. Der Kampf gegen mehr Flächenschutz und das Verbot des Pestizideinsatzes konnte auch deshalb so erfolgreich im Namen ökonomischer Interessen der Landnutzer:innen und der Agrochemie-Industrie geführt werden, weil der Schutz von Klima und Biodiversität nicht als fundamentale Grundlage einer langanhaltenden gesunden und erfolgreichen Wirtschaft anerkannt wurde. Denn dafür wurden keine entsprechenden Ziele gesetzt.
Beim Natur- und Klimaschutz fehlten verbindlichen Strategien
Um den klimaverträglichen Umbau zu erreichen, wollte die Kommission den Rahmen für einen Umbau in Energieversorgung, Industrie, Mobilität und Landwirtschaft setzen – und machte dabei den zweiten Webfehler: Es fehlten bindende legislative Initiativen. Während es im Klimabereich mit konkreten Vorschlägen zu Verkehr, Gebäuden und Emissionshandel zügig voranging, blieben es bei der Landnutzung und Naturschutz lange bei Absichtserklärungen und unverbindlichen Strategien.
Das betrifft besonders das Nature Restoration Law und die Reform der Pestizidgesetzgebung. Diese boten Möglichkeiten, wichtige Maßnahmen zu verankern: die Wiedervernässung von Mooren, die produktionsintegrierte Reduktion von Pestizide im Rahmen der EU-Agrarförderung und die Ausweisung von pestizidfreien Zonen. Doch schon bei der Vorstellung der Farm-to-Fork-Strategie deutete sich ein fragwürdiger Deal an: Um die Zustimmung für die neue Pestizidgesetzgebung zu erhalten, bot die Kommission die Deregulierung der Neuen Gentechnik an.
In der Zwischenzeit war die EU zudem längst mit Krisen und Konflikten konfrontiert: Die Corona-Pandemie und der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine führten nicht nur zu anderen Prioritäten bei den Ausgaben und in der EU-Politik, sondern boten auch Argumentationsfutter für die Gegner des Green Deal.
Abhängigkeit vom fossilen Dünger schadet Natur und Landwirtschaft
Insbesondere das Nature Restoration Law und die Sustainable Use Regulation wurden mit einer Fake-News-Kampagne torpediert – obwohl die Kommission schon bei den Biodiversitätszielen der Gemeinsamen Agrarpolitik zurückgerudert war. Dabei ist klar: Der Verlust an Ökosystemen und der Vielfalt in der Natur wird die Resilienz und Ertragsfähigkeit unserer Landwirtschaft insgesamt vermindern.
Zudem ist mit massiv steigenden Preisen für fossile Rohstoffe und in der Folge für Mineraldünger deutlich geworden, dass die Abhängigkeit der europäischen Landwirtschaft von weltweiten Öl- und Gas-Vorkommen sowohl für die Höfe als auch für Insekten, Böden und Grundwasser kein Zukunftsweg ist. Es müsste also allen klar sein, dass hier weniger statt mehr Investitionen sinnvoll sind.
Final abgesägt wurden die Biodiversitätsziele des Green Deal schließlich aber vor allem durch die konservative EVP-Fraktion. Sie stellte sich offen gegen ihre Kommissionspräsidentin und erteilte den Biodiversitätszielen eine Absage. Seit Frans Timmermans die Kommission verließ, hat eine Allianz aus Agrarlobby, Agrochemie-Industrie und Konservativen im Europaparlament daran gearbeitet, Fortschritte bei den Dossiers zu hintertreiben. Sie hat die Kommission veranlasst, schon vorgelegte Vorschläge genauso wie getroffene Beschlüsse zurückzunehmen. Das betrifft quasi alles außer Gentechnik.
Umbau der Landwirtschaft wider besseres Wissen erschwert
Nach fünf Jahren Von-der-Leyen-Kommission lässt sich damit leider nur bilanzieren: Die Europäische Kommission hat ihren Green Deal wieder in den Schrank gestellt. Das betrifft vor allem die Biodiversität. Dabei ist eigentlich klar: Ein Europa ohne Schutz der ökologischen Lebensgrundlagen wird langfristig weder gesichert Lebensmittel produzieren noch ein Ort zum Leben sein können. Denn die ökologischen Folgen der Entscheidungen von EU-Parlament und Kommission lassen sich nicht ignorieren.
Im künftigen Parlament und in der künftigen Kommission werden es Ökologie- und Klimathemen vermutlich noch schwerer haben als bisher. Die Konservativen torpedieren derzeit wider besseres Wissen ihre eigene Kommissionspräsidentin und ihre eigenen Wahlversprechen von 2019. Sie erschweren damit zukunftsfähige, schrittweise Umbaulösungen, zum Beispiel für die Landwirtschaft.
Entscheidend wird daher der Ausgang der Europawahlen sein. Vor allem das Ergebnis in Deutschland hat in der Vergangenheit dazu beigetragen, die Machtverhältnisse in Brüssel in die eine oder andere Richtung zu verschieben. Am 9. Juni haben es deshalb nun die Wähler:innen in der Hand, ein Zeichen für die Fortsetzung der dringend notwendigen Transformation zu setzen.